„In Vertrauen investieren“

Andreas Suchanek, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik, erläutert den Stellenwert von Verantwortung in der Finanzberatung. Interview: Philipp Scherber


Prof. Dr. Andreas Suchanek ist Lehrstuhlinhaber des Dr. Werner Jackstädt-Stiftungslehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Die Forschungsschwerpunkte des Dipl.-Volkswirts sind Unternehmensverantwortung und Vertrauensmanagement.

BANKINGNEWS: Sind ethisches Handeln und Verantwortung ein Luxus, den sich auf Wirtschaftlichkeit und Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmen gar nicht leisten können?

Nein! Luxus ist Konsum, an dem man sich unmittelbar erfreut. Verantwortung betrifft Investitionen in die eigene Integrität und Vertrauenswürdigkeit gegenüber anderen, die einem unmittelbar gerade nicht Spaß machen, die sich aber – vernünftig durchgeführt – langfristig lohnen: Kunden und andere Stakeholder kooperieren immer lieber mit Partnern, die sie als verantwortlich Handelnde wahrnehmen.

„Versprechen einzuhalten ist nicht trivial“

„Vertrauen erfordert Investitionen.“ Worin bestehen diese Investitionen, die Vertrauensnehmer (z.B. der Bankberater) und Vertrauensgeber (der Kunde) leisten müssen?

Es beginnt damit, dass der Vertrauensgeber überhaupt in die Beziehung eintritt; schon das kann man als Investition ansehen. Und da das in der Wirtschaft nicht naiv erfolgen sollte, gehört z.B. auch dazu, dass man sich vorher erkundigt, ob das Vertrauen gerechtfertigt ist. Und ich würde auch hinzuzählen, dass man enttäuschtes Vertrauen nach Maßgabe der eigenen Möglichkeiten hinterher sanktioniert, denn sonst wird es vom Vertrauensnehmer beim nächsten Mal (oder dem nächsten Kunden) wieder ausgebeutet. Auf Seiten des Vertrauensnehmers geht es grundsätzlich darum, sich an bestehende Regeln zu halten und gemachte Versprechen einzuhalten. Das klingt trivial, ist es aber nicht, weil es so oft Versuchungen – oder Druck – gibt, sich auf Kosten des Vertrauensnehmers Vorteile anzueignen. Deshalb gehört es auch zu den Investitionen auf Seiten von Vertrauensnehmern, organisatorische Vorkehrungen zu treffen – die Theorie spricht hier von Selbstbindungen –, dass man in der konkreten Situation auch tatsächlich die Regel einhält bzw. das Versprechen erfüllt.

Sie sagen: „Unternehmensethik müsste demnach elementarer Bestandteil all jener Ausbildungen sein, die sich mit unternehmensbezogenen Aktivitäten befassen.“ Haben Sie den Eindruck, dass dies in der Praxis auch geschieht?

Einerseits kann man konstatieren, dass die Themen Verantwortung, Compliance und Integrität usw. heute sehr viel präsenter sind als früher. Gleichwohl ist mein Eindruck, dass der Großteil des normalen Alltagsgeschäfts oft noch wenig durchdrungen ist von einem Verständnis, was verantwortliches Handeln konkret bedeutet – auch deshalb, weil dies in der Ausbildung noch immer stiefmütterlich behandelt wird. So liegen oft zwischen den Seminarinhalten in Finance oder Accounting einerseits und Unternehmensethik andererseits Welten, die kaum etwas miteinander zu tun haben.

„Schöne Anzeigen reichen nicht“

Kann eine stärkere Regulierung Vertrauen von Kunden und Öffentlichkeit gegenüber Banken schaffen? Oder kann das nur der Berater im persönlichen Kontakt, der vielleicht durch eine zuvor geleistete gute Beratung einen Beweis seiner Kompetenz und Ehrlichkeit angetreten ist?

Regulierung ist erforderlich, kann es aber allein nicht richten. Und man kann ja wirklich nicht behaupten, dass es zu wenig Regulierung im Bankensektor gibt. Der Kern des Problems ist die Einstellung bzw. Kultur in vielen Unternehmen bzw. generell der Branche. Das verlorengegangene Vertrauen wird nur zurückgewonnen werden, wenn ich als Kunde wieder den Eindruck haben kann, dass die Banken und ihre Berater tatsächlich meine Interessen ernst nehmen und nicht auf meine Kosten Gewinn erzielen wollen. Dazu werden schöne Anzeigen und Spots nicht reichen; das wird ein weiter Weg, der darin bestehen muss, Vertrauenserwartungen nicht (wieder) zu enttäuschen.

„Informationsasymmetrien im Bankgeschäft“

Vermuten Sie, dass die heute verfügbaren Informationsmöglichkeiten für den Privatkunden, z.B. über Vergleichsportale und Foren, Auswirkungen auf das (Vertrauens-) Verhältnis zwischen Kunde und Berater haben?

Auf jeden Fall, allerdings sind die Wirkungen nicht eindeutig. Mehr Information kann ja auch zum bekannten Overload führen – mit unklaren Folgen. Zudem bedeutet mehr Information ja keineswegs, dass man als Kunde diese Information auch vernünftig einordnen kann. Gerade das Bankgeschäft ist gekennzeichnet durch Informationsasymmetrien, die man als Anbieter auch ausnutzen kann. Das Problem lässt sich nur sehr begrenzt durch Zertifizierungen oder Labels lösen, denn woher weiß ich als Kunde, wie glaubwürdig diese Zertifikate sind?  Und deshalb stellt sich auf Portalen und Foren wieder das Problem des Vertrauens. Was noch einmal verdeutlicht: Investitionen in Vertrauen(swürdigkeit) sind heute wichtiger denn je, setzen aber entsprechende Kompetenzen voraus.