„Wir haben gelernt, schneller zu sein“

Andreas Zeiselmaier, Vorstandsvorsitzender der Rheingauer Volksbank, im Gespräch mit Thomas Friedenberger und Thorsten Hahn über Tradition und Innovation, über Filialen und Zukunft – und was er neben dem Riesling noch am Rheingau schätzt.


Andreas Zeiselmaiser

BANKINGNEWS: Herr Zeiselmaier, im Leitbild Ihrer Bank wird die „Offenheit für Veränderungen“ betont. Was wollen Sie denn demnächst so alles verändern?
Andreas Zeiselmaier: Es ist unsere Überzeugung, dass Veränderungen ein Teil des ganz normalen Alltags geworden sind. Doch wir wollen nicht alles verändern, sondern tun das ganz kontinuierlich. Wir haben in der Vertreterversammlung drei strategische Stoßrichtungen kommuniziert: Innovation, Nachhaltigkeit und der Mensch. Wir haben uns intern mit der Mitarbeiterzufriedenheit beschäftigt und haben zum Beispiel ein systematisches Talentmanagement etabliert. Denn nur ein zufriedener und stabiler Mitarbeiter kann in COVID-Zeiten seinen Kunden Stabilität vermitteln und das Gefühl, dass wir für unsere Kunden da sind.

Was haben Sie aus der COVID-Zeit gelernt?
Wir waren in der Situation, dass wir zügig Liquiditätshilfen zur Verfügung stellen mussten. Wir durften unseren Kunden vor allem aber Zuversicht geben und haben nahezu alle Geschäftsstellen geöffnet gelassen, sodass wir immer erreichbar waren. Wir haben vieles daraus gelernt, insbesondere schneller und flexibler zu sein. Wir haben uns noch mehr fokussiert auf die Werte Vertrauen, Zusammenhalt und Solidarität, die in der Region absolut zu spüren sind. Wir glauben, so gilt es weiter zu agieren, wir sind ja noch mitten drin und sollten noch sorgfältiger aufeinander achten.

Vor Corona hieß es, es gebe einen War for Talents. Bekommen Sie die Mitarbeiter in Ihrer Region, die Sie brauchen?
Ganz klar: ja. Wir haben überhaupt keine Probleme, Auszubildende zu finden und auch was das Besetzen von Mitarbeiterstellen angeht, sind wir sehr zufrieden. Es gibt natürlich Unterschiede in verschiedenen Fachrichtungen. Als ich vor vier Jahren angefangen habe, waren wir bei 170 Mitarbeitern und jetzt sind wir bei über 200.Es gab Fusionen, aus denen die Rheingauer Volksbank entstanden ist.

Keine Fusionsgedanken für die nächste Zeit?
Es wäre sicher nicht professionell, wenn wir uns die Frage nach der Zukunftsfähigkeit und einer potenziellen Fusion nicht regelmäßig stellen würden. Dass wir unsere Eigenständigkeit so wie sie jetzt ist bewahren wollen, ist ja gerade Ergebnis solch regelmäßiger und sorgsamer Abwägung und Prüfung. Wir glauben, dass wir in der Region mit unserer Kundennähe ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen haben. Unser Kundenwachstum und die Kundenzufriedenheit stimmen uns hier zu. Da gibt es keinen Grund für eine Kursänderung.

Wir lesen Tradition als gelebte Werte.

Ihr Haus wurde 1862 gegründet. Jede Bank sagt, wie auch Sie auf Ihrer Internetseite, sie sei ein modernes Bankhaus. Ist Tradition manchmal eine Last?
Tradition wäre nur dann eine Last, wenn man durch sie Gegenwart und Zukunft aus den Augen verliert. Wir lesen Tradition als gelebte Werte. Das heißt bei uns: Verbundenheit, Miteinander, Zuversicht, sich gegenseitig stärken. Was sollte davon nicht in die Moderne passen? Im Gegenteil, wir sind der Überzeugung, wer diese Werte verliert, wird bald Schnee von gestern sein.

Wie steht es um die Anzahl der Kunden und die Cost-Income-Ratio Ihrer Bank?
Wir sind dankbar, dass wir jedes Jahr in der Kundenzahl wachsen. Rund 600 bis 800 per annum, das ist für eine Bank dieser Größenordnung sicherlich bemerkenswert. Aktuell betreuen wir rund 30.600 Kunden. Unsere Cost-Income-Ratio liegt bei 72,4 Prozent. Das ist, glaube ich, für eine Regionalbank ein durchaus typischer Wert.

Mit der Cost-Income-Ratio sind Sie im Deutschlandschnitt, aber runde 72 Prozent sind noch kein Wohlfühlfaktor, oder?
Nein, ist es nicht gerade. Aber wir als Genossenschaftsbank sind nicht auf die Gewinnmaximierung aus, sondern haben auch andere Ziele, die für uns wesentlich sind. Natürlich braucht es eine Mindestrendite, und aus gutem Grund diskutiert die Branche darüber, wo Erträge gesteigert und Kosten gesenkt werden können. Dieser Herausforderung haben wir uns zu stellen, und das tun wir auch.

Viele Banken haben Filialen geschlossen. Wie stellen Sie sich die Filialstruktur in Zukunft vor?
Für uns sind unsere Filialen Heimathäfen, in die wir auch weiterhin investieren. Unser Hauptkundengeschäft kommt nach wie vor über den direkten Kundenkontakt in den Filialen. Wir generieren inzwischen einiges auch über die Online-Strecken, dieses Angebot wird aber vor allem von Bestandskunden genutzt. Wir überprüfen unsere Filialen und die Filialstruktur regelmäßig. Welche Filiale ist eine Kopfstelle und was bieten wir dort an? Machen wir eine reine Servicestelle? Wir haben auch SB-Stellen geschlossen, wo sich die Kundenströme verändern und durch Corona das Bargeldthema nicht mehr so dominant ist.

Ändern sich eigentlich die Wege und Orte, wo Sie die meisten Neukunden für Ihre Bank gewinnen können?
Eher nein. Im Bestandskundengeschäft merken wir das. Die Online-Quote unserer Kunden nimmt jedes Jahr kontinuierlich zu. Inzwischen sind auch bei uns mehr als die Hälfte Online-Konten. Auch die Nutzer-Quote unserer App nimmt massiv zu. Unser Kunde darf weiterhin selbst entscheiden, welchen Kanal er nutzen will. Diese Vielfalt unterscheidet uns von Direktbanken, und diesen Unterschied wollen wir auch bewahren.

Wie sehen hier Ihre Preise aus?
Unsere reinen Online-Konten sind kostenlos. Allerdings kostet dafür bei uns die Girocard etwas. Wir sind in unseren Preisen absolut marktkonform und unterscheiden, wie stark jemand online unterwegs ist und inwieweit jemand den analogen Kontakt braucht, etwa beim Kontoauszugsdrucker. Wir stellen ihn weiterhin zur Verfügung, aber dann rutscht der Kunde in ein anderes Kontomodell.

Bei dem RVB-Girokonto-Online sind wir bei null Euro, beim Girokonto Klassik sind wir bei drei Euro im Monat und das Giro-Komfort kostet sieben Euro. Wir berechnen die Girocard mit zwölf Euro im Jahr. Was wir damit nicht querfinanzieren können, ist die Beratungsleistung. Die muss sich am Ende des Tages selber tragen.

Wie glauben an das persönliche Gespräch.

Wie wird es bei der Beratung vor Ort dann weitergehen?
Solange wir diese Wachstumsrate bei der Kundenzahl haben, ist das der Weg, den wir gehen. Wir merken auch jetzt wieder: Die Menschen sind soziale Wesen und suchen den Kontakt. Natürlich versuchen wir, schon ganz allein aus Nachhaltigkeitsgründen, unsere Kunden Richtung online zu bewegen. Wir glauben aber fest daran, dass es gewisse Dienstleistungen gibt, bei denen das persönliche Gespräch nicht zu ersetzen ist. Bislang fahren wir mit diesem Mix sehr gut. Natürlich überlegen wir jedes Jahr, wie jede andere Bank auch, ob der Mix ausgewogen ist und unsere Preise angemessen sind.

Der Provisionsertrag ist bei Deutschlands Banken ja tendenziell eher rückläufig. Nutzen Kunden die Möglichkeiten Ihrer Bank? Und nutzen die Berater alternative Möglichkeiten, weitere Dienstleistungen anzubieten?
Jein. Wenn Sie sich unsere Provisionsspanne angucken, sehen Sie, dass da noch reichlich Luft nach oben ist. Natürlich wollen wir mit den Kunden auch über weitere Themen reden. Nehmen wir das Thema Versicherung: Es kann ja nicht gut sein, dass wir Kunden, die unterversichert sind, nicht darauf ansprechen. Unser Auftrag ist schließlich, die Bedarfslage unserer Kunden umfassend zu erfüllen.

Was machen Sie mit jungen Kunden? Sind die wirklich zu persönlichen Gesprächen bereit?
Aus den Erfahrungen der letzten Jahre kann ich sagen, dass gerade bei jungen Leuten die Bereitschaft wächst, wieder in die Bank zu gehen. Der Beratungsbedarf ist da. Wir haben Umfragen gemacht und mit Kunden aller Altersklassen diskutiert. Da haben wir bei den jungen Leuten sehr wohl eine Bereitschaft zum Gespräch gesehen. Und wenn ich mir unsere Kundenstruktur nach Lebensphasen und Alter anschaue, fällt bei uns die Jugend eher positiv als negativ in der Quote auf.

Dieses Angebot sichert uns eine besondere Nähe zu wichtigen Kunden.

Viele Banken tauschen ihre Berater alle paar Jahre aus und haben dadurch extrem an Kundenbindung verloren. Wie sehen Sie das?
Unsere Berater sind langjährige Kollegen. Sie haben eine tiefe Kunden-Bank-Beziehung aufgebaut. Wir legen großen Wert darauf, dass wir da Stabilität haben, auf der Privat- wie auf der Firmenkundenseite. Denn Vertrauen ist das A und O in diesem Geschäft.

Wir haben schon viele Gespräche mit Vorständen aus dem Genossenschaftsbereich geführt und immer wieder wurde mal angedeutet, dass das Thema Mitgliedschaft nicht optimal als Wettbewerbsvorteil genutzt wird. Wie spielen Sie das Thema?
Die Mitgliedschaft mit ihrer Teilhabe und der Mitbestimmung ist natürlich ein klarer USP unserer Gruppe. Wir haben die Durchdringung der Mitgliederreichweite in den letzten Jahren massiv verbessert. Mitglieder haben bei uns verschiedene Vorteile, etwa nachhaltige Einlagen oder vergünstigte Versicherungen. Viel wichtiger aber ist es, spürbar werden zu lassen, dass man als Mitglied Teil unserer Gemeinschaft wird. Ich glaube, auch das ist ein wesentliches Element für uns als Genossenschaftsbank. Und wenn man sich die Zahlen anschaut: Wir sind Anfang 2018 mit einem Geschäftsguthaben der Mitglieder von vier Millionen Euro gestartet und weisen hier heute 24 Millionen Euro auf. Das ist ein tolles Signal.

Es gibt immer wieder Anstöße des BVR, gewisse Ideen über die gesamte Gruppe auszurollen. Reizt es Sie nicht, dass dieses Modell ein globaleres Modell wird?
Der BVR ist ja mit seiner Strategie-Agenda an wichtigen Themen dran, Stichwort regionales Ökosystem mit genossenschaftlicher Prägung. Wir halten viel davon, dass wir uns als integralen Bestandteil einer Region platzieren müssen – nicht nur für finanzielle Produkte, sondern eben für viele regionale Themen.

Stichwort regionale Themen: Sie haben mit verschiedenen Partnern den Rheingauer Gründungspreis ins Leben gerufen. Ist das nicht ein bisschen spät?
Wir haben zwei Hochschulen mit einer Distanz von acht Kilometern in unserer Region: die EBS und die Hochschule Geisenheim. Das ist natürlich eine tolle Ausgangssituation. Mit beiden haben wir eine Gründungsfabrik aufgebaut und gemeinsam bereits den ersten Gründungspreis vergeben. Seit Gründung haben wir Inhalte und Know-how aufgebaut, Grundlagen für die Gründungsfabrik und das Pitching geschaffen. Sozusagen oben drauf kam dann noch die damit verbundene finanzielle Unterstützung. Mir leuchtet es eigentlich nicht ein, was daran zu spät sein soll.

Zu spät für einen Gründungspreis – das war gemeint.
Wichtig ist, dass wir uns gemeinsam für die Region engagieren und Gründern vor Ort eine Heimat geben. Und da kann ich sagen, die Resonanz war sowohl seitens der Gründer als auch bei den Zuschauern großartig. Zusätzlich haben wir noch einen Sonderpreis für besonderes gesellschaftspolitisches Engagement vergeben. Das war ein voller Erfolg.

Was verspricht sich die Bank davon?
Wir verstehen uns als Teil des regionalen Ökosystems und sehen uns auch als wichtigen Wirtschaftsfaktor der Region. Da wollen wir neue und zukunftsweisende Engagements unterstützen, um die Region weiter attraktiv zu halten und nebenbei wollen wir auch …

… neue Kunden gewinnen.
… am Puls der Zeit sein. Und ja, wenn wir für uns interessante Geschäftsmodelle identifizieren, würden wir sie gerne weiter begleiten – besonders, wenn es nachhaltige Ideen sind. Dadurch lassen sich gegebenenfalls noch Wettbewerbsvorteile erzielen. Und last but not least: Geht es der Region gut, geht es auch uns gut.

Wir verstehen uns als Teil des regionalen Ökosystems.

Sie haben Ihr Tochterunternehmen Rheingauer Winzerbedarf neu besetzt mit jemandem, der Wissen aus dem Weinbau und der Finanzwelt mitbringt. Wofür braucht Ihre Bank diese Tochter, abgesehen davon, dass der Riesling schöne Ergebnisse hervorbringt. Ist das ein profitables Geschäft?
Sie haben vollkommen Recht mit dem Riesling, und ich empfehle auch den Rheingauer Spätburgunder. Aber im Ernst: Bei der Tochtergesellschaft liegt das Hauptaugenmerk nicht auf Gewinnmaximierung. Unsere Kunden und die Region brauchen das, was der Rheingauer Winzerbedarf zu bieten hat, und es gehört zu unserem ursprünglichen Auftrag, uns hier zu engagieren. Dieses Angebot sichert uns eine besondere Nähe zu einem Aushängeschild der Region und zu wichtigen Kunden. Wir sind Hausbank der Rheingauer Winzerschaft.

Haben Sie Projekte zum Thema Nachhaltigkeit, die Sie in Zukunft stärker hervorbringen wollen?
Wir werden uns beim Thema Nachhaltigkeit systematisch anschauen, wo wir stehen, wo wir hinwollen und welche Maßnahmen es braucht. Wir haben neben der Gründungsfabrik, die ja als nachhaltiges Investment zu sehen ist, die „Stiftung Nachhaltiger Rheingau“ mit Unternehmen der Region aufgebaut. Hier unterstützen wir die Aufforstung des Rheingauer Waldes als Grundlage dieser Region. Intern sind wir konsequent dabei, auf papierlos umzustellen, etwa mit E-Postfach oder E-Briefkasten. Auch ein Thema wie E-Mobilität ist uns wichtig. Wir machen das alles aus Überzeugung.

Interview: Thomas Friedenberger, Thorsten Hahn

 

Infos zur Rheingauer Volksbank

Gründungsjahr: 1862
Bilanzsumme: 1.252 Mio. Euro
Kundenkredite: 878 Mio. Euro
Kundengelder: 960 Mio. Euro
Eigenkapital: 125 Mio. Euro
Cost-Income-Ratio: 72,4%
Mitarbeiter (gesamt): 207
davon Auszubildende: 17
Geschäftsstellen: 15
Mitglieder: 16.738

(Stand: 31. Dezember 2020; vorläufige Berechnungen)

Sie möchten mehr Interviews lesen? Hier berichtet Harald Schmitz von der Bank für Sozialwirtschaft über Wachstumsmärkte, Wettbewerber, die Erweiterung der Wertschöpfungskette und das wesentliche Gut der Zukunft. Auch interessant: Markus Dauber, Vorstandvorsitzender der Volksbank in der Ortenau eG, verrät das Geheimnis einer großen Bankenfusion.