Ein Blick auf die ersten sechs Monate des Jahres zeigt Bemerkenswertes: Eine signifikante Outperformance der europäischen Aktienindizes gegenüber ihren US-Pendants. In Zahlen manifestiert, blickt der DAX respektive der Euro Stoxx 50 im ersten Halbjahr auf ein Jahresplus von 20,1 % bzw. 8,3 %, der S&P 500 ist in lokaler Währung um 5,5 % gestiegen. Die Outperformance umfasst nicht nur die Aktienmärkte, sondern zeigt sich auch sehr deutlich im Währungspaar, wo der Euro 13,8 % per Halbjahresbilanz gegenüber dem USD zulegte. Die relative Stärke der europäischen Aktienmärkte zu ihren US-Pendants hat aufgrund der chaotischen US-Zollpolitik insbesondere im ersten Quartal stattgefunden, im zweiten Quartal und in den ersten Wochen des dritten Quartals haben die US-Indizes – angefeuert vor allem von einer signifikanten Rally der Tech-Unternehmen – wieder deutlich in die Erfolgsspur zurückgefunden.
Ein diversifiziertes Weltaktiendepot ist weiterhin das Maß aller Dinge für den Anleger. Unsicherheiten bezüglich Aktienanlagen in den USA basieren vorrangig auf den Risiken, welche durch die erratische Handelspolitik der US-Regierung ausgelöst werden. Momentan gehen die Aktienmärkte jedoch davon aus, dass das Schlimmste diesbezüglich bereits überstanden ist. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass bei der Zollproblematik längst noch keine Lösung erzielt ist. Es scheint auf eine Fülle von Einzelregelungen in Abhängigkeit des bilateralen Verhandlungsgeschicks hinauszulaufen. Zudem kommen die Sorgen vor dem induzierten Verschuldungseffekt der von Präsident Trump als „big and beautiful“ titulierten umfassenden Gesetzgebung, welche insbesondere Steuersenkungen und die Reduzierung von Sozialausgaben umfasst.
Technologischer Fortschritt vs. politische Stabilität
Die Renaissance der US-Aktien steht aus unserer Sicht trotz aller Unkenrufe auf soliden Füßen. Gerade die merklich höhere Produktivität der US-Wirtschaft im Vergleich zu Europa führt dazu, die historisch höhere US-Aktienmarktbewertung zu legitimieren. Gerade der immense Vorsprung der USA gegenüber Europa hinsichtlich der Verwendung von künstlicher Intelligenz in der Unternehmenslandschaft sollte das US-Produktivitätswachstum zukünftig weiter ankurbeln. Die technologische Führung der USA gegenüber Europa erscheint so weit vorangeschritten, dass es nahezu unmöglich sein wird, diese spürbar zu reduzieren. Für die europäischen Aktienmärkte spricht hingegen das grundsätzlich weniger erratische Vorgehen der Politik sowie eine neu entfachte Investitionsfreude, welche sich im Besonderen in massiven Investitionen in die Rüstungsindustrie niederschlägt. Ein weiterer Pfeiler resultiert aus dem Unternehmenssektor, welcher sich im Rahmen des neuen Investitionspakts „Made for Germany“ verpflichtet, über 600 Mrd. Euro in den nächsten Jahren in den Standort Deutschland zu investieren.
Aber auch viele europäische Unternehmen erscheinen unter diesen Rahmenbedingungen aussichtsreich. Für sie spricht der oftmals sehr hohe Anteil an Umsätzen, die im nichteuropäischen Ausland erzielt werden. Dieser ermöglicht den in Rede stehenden Unternehmen eine weitgehende Abkoppelung von der anhaltenden Konjunkturschwäche im Euroraum. Gerade zuletzt hat sich dies als sehr vorteilhaft für die ausgewiesenen Umsätze respektive Erträge erwiesen. Die internationale Diversifikation der Geschäftstätigkeit hat sich folglich zu einem zentralen Erfolgsfaktor entwickelt. Ein diesbezüglicher Risikofaktor ist jedoch das Währungsrisiko, welches abgesichert werden sollte.
In Europa ist die Hoffnung groß, dass die neue deutsche Regierung – in Verbindung mit den bereits beschlossenen umfangreichen fiskalischen Impulsen – einen nachhaltigen Wachstumsschub auslöst, der durch zusätzliche fiskalische Maßnahmen anderer Länder verstärkt wird und die europäische Wirtschaft aus dem Tal der Tränen reißen könnte. Die aufgrund der Zollvolten zu erwartende stärkere Bestrebung zum Abschluss zusätzlicher Handelsabkommen mit anderen Handelspartnern als den USA sowie die ohnehin zu beobachtende Tendenz eines zunehmenden Handels zwischen den Ländern des globalen Südens könnte über die Zeitschiene dazu führen, dass die Auswirkungen auf den Welthandel durch das restriktive US-amerikanische Zollregime begrenzt bleiben dürften. In einem „Weltaktiendepot“ sollten auch die asiatischen Volkswirtschaften Berücksichtigung finden. Für diese spricht grundsätzlich eine wesentlich höhere Dynamik der Wirtschaft, eine starke Hinwendung zu technologischen Branchen sowie oftmals eine Fülle an fiskalpolitischem Potenzial zur weiteren Stützung der Wirtschaft.
Zinssenkungen, Geopolitik und Anlagetrends
Ein wesentlicher Pfeiler für die positive Börsenentwicklung der letzten Wochen ist zudem die klare Erwartungshaltung der Kapitalmarktteilnehmer nach weiteren deutlichen Zinssenkungen der bedeutsamen Notenbanken. An erster Stelle ist diesbezüglich die US-Notenbank zu nennen, welche sich momentan im Verharrungsmodus befindet, bis sie sich in der Lage sieht, die Auswirkungen der Zollerhebungen der US-Regierung besser abschätzen zu können. Aus unserer Sicht spricht vieles dafür, dass die US-Zölle zwar einen inflationssteigernden Effekt haben werden, dieser dürfte aber von den disinflationären Signalen, die bereits seit geraumer Zeit vom US-Arbeitsmarkt ausgehen, überkompensiert werden. Die Fed sollte daher im weiteren Verlauf des Jahres und darüber hinaus in der Lage sein, ihren zinssenkenden Kurs wieder aufzunehmen. Bis Mitte nächsten Jahres kann mit drei Zinssenkungen der US-Notenbank auf einen Leitzinsstand von 3,75 % gerechnet werden. Dies sollte den Aktienmärkten weiteren Auftrieb verleihen. Des Weiteren dürfte der europäische Zinssenkungszyklus noch nicht am Ende sein.
Für den interessierten Beobachter der Finanzmärkte ist es immer wieder erstaunlich, wie gering der Einfluss der Geopolitik mit all ihren Volten und Wendungen grundsätzlich für die Kapitalmärkte ist. Ein gutes Beispiel ist, wie schnell sich der US-Volatilitätsindex VIX – der auch als Maß für die Unsicherheit oder das Risiko an den Kapitalmärkten gilt – nach der Einführung der einseitigen Strafzölle durch die Trump-Regierung und dem kurz darauf verkündeten Moratorium dieser Zölle wieder auf das normale Niveau der letzten Monate zurückgebildet hat. Die Aufregung in der Medienlandschaft und bei sonstigen Interessierten war noch sehr hoch, die Kapitalmärkte waren längst wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt. Auch sonstige geopolitische Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, waren – wenigstens an den Kapitalmärkten – schnell wieder überwunden. Es zeigt sich: Der Einfluss der Geopolitik auf die Kapitalmärkte wird grundsätzlich markant überschätzt, die Fähigkeit der Kapitalmärkte zur Normalität zurückzukehren, signifikant unterschätzt. Für den Anleger bedeutet dies: Als langfristig, mehrjährig orientierter Anleger sollte man sich von geopolitischen Ereignissen nicht irritieren lassen, sondern an seinen Überzeugungen festhalten. Es gibt immer eine Menge an Gründen, warum man gerade jetzt seine Aktien verkaufen sollte, es ist aber selten eine gute Idee.
Nicht vernachlässigt werden bei der Finanzanlage sollte das Segment der Verteidigung respektive Militärtechnologie, gerade auch im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz. Dieses Segment entwickelt sich zu dem Zukunftsthema schlechthin. Wenn die letzten Jahre leider etwas gezeigt haben, dann dies, dass ohne Sicherheit alles nichts wert ist. Diesen Gedanken sollten sich auch die Anleger zu eigen machen.
Dr. Frank Wohlgemuth ist Leiter Research der NATIONAL-BANK AG.