Dienstag, 22. Juli 2025

Auch schwierige Zeiten bieten Chancen für Anleger

Das Aktienjahr 2022 wird als eines der herausforderndsten in die Börsenge schichte eingehen. Bestand zunächst die Hoffnung, dass die negativen Implikationen der Corona-Pandemie auf die Weltwirtschaft suk zessive ihren Schrecken verlieren werden, wurde COVID-19 Ende Februar durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Hauptbelas tungsfaktor für die Aktienmärkte abgelöst.

Seitdem ist nichts mehr so, wie es war. Ga loppierende Inflationsdaten und Sorgen vor einem Gasnotstand führten allenthalben zu hohen Unsicherheitsgraden. Darüber hinaus ist die Pandemie alles andere als überwunden, wie man besonders an den momentanen Infektionswellen in China beobachten kann. Die Notenbanken wurden 2022 massiv unter Druck gesetzt, die Leitzinsen signifikant zu erhöhen, um der Inflation Einhalt zu gebieten. So erhöhte die US-Notenbank ihren Leitzins innerhalb weniger Monate von null auf eine Spanne von 4,25 bis 4,5 Prozent. Auch die Europäische Zentralbank initiierte eine Zins wende.

Der rasante Erhöhungskurs blieb für die Aktienmärkte naturgemäß nicht folgen los, gewannen die Renditen der Alternativen zur Aktienanlage doch massiv an Attraktivität. Die Jahrestiefstkurse wurden Ende September 2022 erreicht, seither haben diese wieder deutlich zugelegt. Erschwerend kam im Anlagejahr 2022 hinzu, dass auch die Rentennotierungen aufgrund der anziehenden Renditen markant gefallen sind, sodass es für Investoren schwierig war, sich vor fallenden Kursen zu schützen.

Wachstumsimpulse für die Weltwirtschaft

An den Aktienmärkten wird die Zukunft gehan delt, so ein Börsenmantra. Aktuelle Belastun gen rücken im Bewusstsein der Investoren in der Regel in den Hintergrund, wenn es berechtigte Hoffnungen auf eine baldige Verbesserung der Lage gibt. Laut Einschätzung der NATIONAL BANK bestehen diese berechtigten Hoffnungen für die globalen Aktienmärkte im Anlagejahr 2023: Der Zinserhöhungspfad der Notenbanken sollte weitgehend beschritten sein, die Lieferket tenproblematik sich nahezu normalisieren und damit der Druck auf die Inflationsdaten sukzes sive nachlassen.

Zudem sollten durch die Abkehr der chinesischen Regierung von der Null-Covid Strategie starke Impulse ausgehen. Diese Umkehr dürfte spürbare Nachholeffekte in der Wirtschaft auslösen und somit zu deutlichen Wachstumsim pulsen für die Weltwirtschaft insgesamt führen. Folglich kann man zuversichtlich sein, dass die Aktienmärkte 2023 im Fahrwasser wieder sin kender Zinsen an Fahrt aufnehmen. In diesem Umfeld ist es gut vorstellbar, dass die im Jahr 2022 arg gebeutelten Technologiewerte eine Renaissance erfahren werden.

Zudem sollten Unternehmen mit überzeugendem Geschäfts modell und einer konstanten Ausschüttungs politik weiterhin in einem international und segmentspezifisch diversifizierten Aktiendepot ausreichend dotiert werden. Gerade zyklische Werte sollten in Erwartung eines sich verbessernden Umfeldes im Jahr 2023 wieder eine stärkere Berücksichtigung in An legerdepots erfahren. Diese sind in 2022 mit erheblichen Bewertungseinbußen bestraft wor den, obwohl sich ihre Umsatz- beziehungsweise Gewinnsituation grundsätzlich robust gezeigt hat. Zudem ist die Dividendenrendite einer Vielzahl von zyklischen Werten gerade aus dem Automobilsektor oder Energiebereich attraktiv.

US-Anteil im Depot stärker ausbauen

Von der Bewertungsseite betrachtet ist der breite US-Aktienindex S&P 500 trotz der Kursverlus te weiterhin merklich höher bewertet als DAX und EuroStoxx 50. Die USA werden dauer haft von ihrer nahezu vollständigen Energie autarkie profitieren. Eine Anlageempfehlung der NATIONAL-BANK lautet deshalb auch, den US-Anteil im Depot noch stärker auszu bauen, trotz der momentanen relativen Stärke der europäischen Indizes. Die Geopolitik als Belastungsfaktor für die Kapitalmärkte hat 2022 stark an Signifikanz hinzugewonnen.

Das ist insbesondere am Ver hältnis zwischen den USA und China erkennbar, welches inzwischen überwiegend durch Gegner schaft gekennzeichnet ist. Symbolhaft dafür gel ten die neuen US-Exportbeschränkungen für die Halbleiterindustrie, die gravierende Folgen für die chinesische Seite haben werden. So wird die Reichweite der Maßnahmen, mit denen Chinas technologische und militärische Fortschritte ein gedämmt werden sollen, beträchtlich erweitert. Hinzu kommt der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der viele Annahmen über die euro päische Nachkriegsordnung und über „funktio nierende Abhängigkeiten“ – gerade im Energie sektor – pulverisiert hat.

Auch die Belastungen, die mit der sukzessiv zunehmenden Polarisierung in der US-Innenpolitik einhergehen, treten im mer stärker in den Vordergrund. Eine Schwä chung der USA von innen heraus wäre jedoch fatal. Der Krieg in der Ukraine hat eindeutig gezeigt, dass ohne die politische Führerschaft der USA eine angemessene Antwort auf das rus sische Machtstreben kaum möglich erscheint.

Decoupling als Bedrohung für Globalisierung

Ist mit den unheilvollen Entwicklungen der letz ten Jahre das Ende der Globalisierung eingeläutet worden? Mitnichten. Die Globalisierung zeigte sich selbst im Krisenjahr 2022 sehr robust. Eine Strukturveränderung findet momentan nur der gestalt statt, dass sich die Globalisierung stärker als früher auf den Dienstleistungssektor und dort besonders auf den grenzüberschreitenden IT Dienstleistungsverkehr verlagert. Das mitunter verbreitete Bild der De-Globalisierung ist daher grundlegend falsch.

Jedoch ist mittlerweile der Konkurrenzkampf zwischen den USA und China zu einem Leitbild des Wettkampfes um Einflusssphären geworden. Dabei werden Fragen der Technologieentwick lung und -nutzung stellvertretend als Ausdruck des systemischen Wettbewerbs zwischen den USA und China verstanden. Dieses „Decou pling“ der größten Volkswirtschaften der Welt stellt für die Globalisierung eine ernstzunehmen de Bedrohung dar. Vor dem Hintergrund dringend benötigter Wachstumsimpulse für die chinesische Wirtschaft ist in nächster Zeit aber keine weitere Verschär fung dieses systemischen Konfliktes zu erwarten.

Es wäre auch angesichts der Vorteile der Globali sierung äußerst kontraproduktiv: Geringere Kos ten für Waren und Dienstleistungen, gestiegene Lebensstandards für breite Bevölkerungsschich ten, Impulse zu gesteigerter Kreativität und Inno vation durch stetige Optimierungsprozesse sowie einen leichteren Zugang zu anderen Kulturen durch grenzüberschreitende Arbeitsverlagerungen belegen deren Vorteilhaftigkeit. Weiterhin erscheinen die Künstliche Intelli genz, der Gesundheitssektor und erneuerbare Energien als Zukunftsthemen aussichtsreich. Diese Themenfelder sollten dauerhaft und aller geopolitischen Volten zum Trotz ihre Vorteil haftigkeit behalten.

Tipp: Sie möchten gerne weitere Marktkommentare lesen? Dann erfahren Sie hier warum Zentralbankverluste doch eine Rolle spielen könnten oder hier mehr zur Europäisierung der Neo-Broker.

Dr. Frank Wohlgemuth ist Leiter Research der NATIONAL-BANK AG.

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