Die sechste EU-Geldwäscherichtlinie (AMLD6) markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der europäischen Finanzregulierung. Sie ist Teil des umfangreichen EU-AMLPakets, das erstmals eine weitreichende Harmonisierung der Geldwäscheprävention innerhalb der Union anstrebt. Neben der Richtlinie selbst umfasst das Paket auch eine direkt geltende Verordnung (AMLR), die Einrichtung einer zentralen EU-Geldwäscheaufsichtsbehörde (AMLA) sowie neue sektorspezifische Vorschriften. Das Ziel: ein einheitliches, risikobasiertes und effektiveres System zur Bekämpfung von Finanzkriminalität.
Harmonisierung trifft Realität: Die regulatorische Zeitenwende
Der Anspruch der AMLD6 geht weit über punktuelle Reformen hinaus. Der Rechtsrahmen wird tiefgreifend vereinheitlicht, die bisherigen Spielräume der Mitgliedstaaten massiv reduziert. Damit unterstreicht die EU beispielsweise auch die Verknüpfung von Finanzmarktstabilität mit Nachhaltigkeitszielen. Durch die AMLR gelten viele Regeln künftig unmittelbar. Dieser Paradigmenwechsel hat Folgen: Institute müssen Prozesse, Systeme und Verantwortlichkeiten EU-weit auf ein konsistentes Niveau bringen. Gleichzeitig entstehen neue Berichtspflichten, insbesondere zu wirtschaftlich Berechtigten und Hochrisiko-Drittstaaten. Die Komplexität steigt, der Zeitplan ist sportlich: Die Frist zur Umsetzung endet im Juli 2027.
Der Anpassungsaufwand ist erheblich. Die neue Gesetzgebung betrifft alle Kernprozesse der Geldwäscheprävention: Risikoanalyse, Know-Your-Customer (KYC), Transaktionsmonitoring, Outsourcing, Datenmanagement. Besonders herausfordernd sind dabei die gestiegenen Anforderungen an Datenqualität und -verfügbarkeit, etwa bei der Erstellung präziser Risikoindikatoren oder bei der Führung zentraler Register. Hinzu kommen personelle und technische Herausforderungen. Der Aufbau ausreichender Kapazitäten – sowohl intern als auch bei Dienstleistern – wird entscheidend für die fristgerechte Umsetzung sein. Versäumnisse können nicht nur zu Sanktionen führen, sondern auch die Reputation erheblich schädigen.
Chancen nutzen: Effizienz, Innovation und Governance stärken
Doch jede Veränderung birgt auch Potenzial. Die AMLD6 zwingt nicht nur zur Anpassung, sie schafft auch Raum für Optimierung. Prozesse, die bislang historisch gewachsen und ineffizient waren, können neu gedacht werden. Vor allem der konsequente Einsatz moderner Technologien – von Automatisierung bis KI-gestützter Mustererkennung – ermöglicht massive Effizienzgewinne.
Die Richtlinie stärkt zudem das risikobasierte Arbeiten. Vereinfachte Sorgfaltspflichten können gezielter eingesetzt werden, etwa bei EU-internen Transaktionen, bei geringem Risikoprofil oder bei digital eindeutig identifizierten Kunden. So lassen sich Ressourcen dorthin lenken, wo sie den größten Effekt haben – ein Quantensprung für die Risikosteuerung. Nicht zu unterschätzen ist auch die Governance-Dimension. AMLD6 und AMLR verlangen klare Zuweisungen von Rollen und Verantwortlichkeiten. Damit steigt die Transparenz im Unternehmen – und die Wirksamkeit der Kontrollsysteme.
Regulatorische Klarheit: Was die aktuellen RTS schon jetzt vorgeben
Die European Banking Authority (EBA) hat bereits mehrere Entwürfe für Regulatory Technical Standards (RTS) und Leitlinien veröffentlicht. Darunter zentrale Vorgaben zur kundenbezogenen Risikoanalyse, zu Transaktionsüberwachungssystemen und zur Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten. Besonders praxisrelevant sind hier neue Anforderungen an die Auslagerung von AML-Funktionen und die Nutzung von Drittanbietern. Diese RTS konkretisieren den rechtlichen Rahmen und ermöglichen es Unternehmen, sich frühzeitig auf konkrete Prüfanforderungen vorzubereiten – eine Gelegenheit, die genutzt werden sollte.
Der Weg zur Compliance ist kein Sprint, sondern ein strukturiertes Transformationsprojekt. Erfolgsentscheidend ist eine ganzheitliche Herangehensweise, die mit einer fundierten Analyse der regulatorischen Anforderungen beginnt. Darauf aufbauend sollten Zielbilder für Prozesse, Rollen und Systeme entwickelt und in konkrete Maßnahmen übersetzt werden. Der technologische Fortschritt – insbesondere durch KI, Machine Learning und intelligente Datenverarbeitung – kann dabei zum Erfolgsfaktor werden. Unternehmen, die heute investieren, sichern sich nicht nur regulatorische Konformität, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil durch Effizienz und Resilienz.
Fazit: AMLD6 ist Chance und Pflicht zugleich
Die sechste Geldwäscherichtlinie ist mehr als ein weiteres Kapitel im Regulierungsdschungel. Sie ist Ausdruck eines klaren politischen Willens: Finanzkriminalität auf europäischer Ebene wirksam zu bekämpfen. Für Unternehmen bedeutet das Aufwand, aber auch die Möglichkeit, durch bessere Prozesse, stärkere Governance und gezielten Technologieeinsatz zukunftsfähig zu werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, den Wandel strategisch zu gestalten – und aus regulatorischem Druck unternehmerischen Nutzen zu ziehen.
Jens Oliver Kreiter ist Director Head of Group Anti Money Laundering bei der Deutschen Börse