Sam und Clara lernen sich über eine Dating-App kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb sehr gut, sie tauschen viele Nachrichten, Fotos und persönliche Informationen aus. Sam glaubt, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Clara erzählt ihm von einer Trading-App, mit der sie angeblich enorme Gewinne macht. Sam ist zunächst skeptisch, doch er vertraut ihr. Er versucht sein Glück und investiert zunächst nur wenig, doch als er seine Gewinne sieht, immer mehr – bis schließlich sein gesamtes Erspartes, 100.000 Euro, auf der vermeintlichen Trading-Plattform investiert ist. Dann der Schock. Als Sam seine Gewinne abbuchen will, eine Fehlermeldung. Das Geld wird unzugänglich und auch der Kontakt zu Clara bricht abrupt ab. Sam wurde betrogen, um seine Liebe und um sein Geld. Doch „Clara“ auf der anderen Seite hat kein besseres Schicksal – vermutlich sogar ein noch schlimmeres. Denn neben finanzieller und emotionaler, muss sie vermutlich auch körperliche und sexuelle Ausbeutung erdulden. Clara ist genauso Opfer wie Sam.
Die Geschichte von Sam und Clara ist fiktiv, aber leider für sehr viele Menschen so oder ähnlich zur Realität geworden. Doch zurück zum Anfang: Was heute als Pig-Butchering bekannt ist – eine skrupellose Kombination aus Romance-Scam und vermeintlichen Krypto-Investments – hat seine Wurzeln in den 1990er-Jahren in Taiwan und China. Schon damals entstanden dort erste betrügerische Investmentmaschen, die sich später international professionalisierten. Auch die Bezeichnung leitet sich aus dem chinesischen „Shāzhūpán“ (Sha Zhu Pan) – sinngemäß „Das Schwein schlachten“ – ab. Der Begriff beschreibt auf erschreckend bildliche Weise die Methode, bei der das Opfer zunächst durch emotionale Bindung „gemästet“ und dann finanziell „geschlachtet“ wird. Die Schlachtung erfolgt dadurch, dass das Opfer dazu gebracht wird, auf gefälschten Trading-Plattformen in Kryptowährungen zu investieren.
Moderne Sklaverei
Nach verstärkten Regulierungsmaßnahmen in China und Taiwan verlagerte sich der Online-Betrug zunehmend nach Südostasien – insbesondere in das sogenannten „Goldenen Dreieck“, das Grenzgebiet zwischen Laos, Myanmar und Thailand, wo durch den Drogenhandel bereits etablierte kriminelle Strukturen existierten, meist unter der Kontrolle chinesischer Mafiabanden. Der enge Kontakt zu lokalen Machtträgern ermöglichte es insbesondere während der Pandemie, oft hinter Fassaden von klassischen Kasinos, illegale Online-Betrugszentren aufzubauen.
Auch wenn das Phänomen dieser speziellen Betrugsform nicht neu ist, werden Behörden, Banken und Betroffene durch Künstliche Intelligenz (KI) und Deepfake-Technologien oder auch gefälschte DeFi-Interfaces sowie Voice Cloning vor immer neue Herausforderungen gestellt. Eine neue Stufe der Eskalation hat laut Yellow somit im Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreicht.
Besonders diabolisch: Die meisten Menschen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, sind selbst Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei. Sie werden mit falschen Jobversprechen gelockt, verschleppt, bei Arbeitsverweigerung häufig misshandelt und dazu gezwungen, andere zu betrügen. Die Strukturen dieser Betrugszentren ähneln ganzen Städten. Nicht umsonst werden die abgegrenzten Büro- und Wohngebäudekomplexe auch „Scammer-Cities“ genannt – geschützt durch korrupte Behörden. Die internationale Strafverfolgung bleibt schwierig, da politische und wirtschaftliche Verflechtungen die Ermittlungen behindern. Hilfsorganisationen vor Ort sind unterfinanziert; eine koordinierte globale Zusammenarbeit ist dringend erforderlich.
Die bereits angesprochene emotionale Bindung zu den Opfern wird über jedwede Social-Media- sowie Messaging-Plattform oder Dating-App aufgebaut. Diese breite Streuung bedeutet, dass weltweit Menschen jeden Alters, Ethnie, Religion, Geschlecht usw. zu Opfern werden können. Die sinnbildlichen Schlachtbanken der Zielpersonen – Trading-Apps, die nicht als Fake erkennbar sind – werden häufig als harmlose App, wie zum Beispiel ein QR-Scanner, entwickelt und zugelassen, nur um dann später zu einer professionell wirkenden Trading-App umfunktioniert zu werden. Zudem sind Kryptozahlungen kaum nachverfolgbar, weswegen das Vermögen oft verloren ist.
Pig-Butchering-Scams verursachen weltweit Milliardenschäden
Auch wenn der Schaden nur schwer genau anzugeben ist, ist klar, dass Pig-Butchering-Scams weltweit enorme Schäden verursachen. Laut ACAMS wurden zwischen 2020 und Anfang 2024 durch diese und ähnliche Betrugsformen weltweit rund 75 Mrd. US-Dollar erbeutet. Chainalysis schätzt den weltweiten Schaden durch Krypto-Betrug im Jahr 2024 auf mindestens 9,9 Mrd. US-Dollar, wobei ein erheblicher Anteil auf Pig-Butchering-Scams entfällt. Der Schaden durch diese Art des Betrugs wird für 2024 von TRM Labs auf etwa 2,5 Mrd. US-Dollar geschätzt, etwas weniger als im Vorjahr. Dennoch warnen Expertinnen und Experten davor, dass Krypto-Betrug insgesamt weiterhin wächst und langfristig zunehmen dürfte.
Red Flags für potenzielle Opfer
Um sich vor einem potenziellen Pig-Butchering-Angriff zu schützen, können unter anderem folgende Maßnahmen sinnvoll sein:
- Persönliche Daten schützen
Um Betrügern das Sammeln von Informationen und das Anlegen von Profilen zu erschweren, sollten möglichst wenige persönliche Informationen online preisgegeben werden – das Verwenden von Pseudonymen ist unter anderem sinnvoll. Daneben gibt es auch verschiedenen Tools, um zum Beispiel Datenschutz-Einstellungen anzupassen, oder inaktive sowie risikoreiche Online-Konten zu erkennen und zu löschen. - Vorsicht bei Online-Bekanntschaften
Auch langjährigen Online-Kontakten sollte immer mit Vorsicht begegnet werden, da Betrüger oft über längere Zeit Vertrauen aufbauen. Das Informieren von Familie und Freunden über die Betrugsmasche ist sinnvoll, um auch sie vor finanziellen sowie psychischen Schäden zu schützen. - Keine sorglosen Investitionen
Investitionen in dubiose Anlagen, auch oder gerade, wenn diese hohe Gewinne versprechen, sollten vermieden werden. Denn hohe Gewinne bedeuten meist auch hohe Risiken. Es sollte zudem niemals Geld investiert werden, dessen Verlust nicht verkraftbar ist. Besonders Krypto-Investitionen sind mit Blick auf die Pig-Butchering-Methode riskant.
Handlungsempfehlungen für Banken
Was können Banken tun, um Kundinnen und Kunden aber auch sich selbst zu schützen?
- Verbraucherwarnungen
Banken sollten, auch in der Zusammenarbeit mit Behörden wie der BaFin oder der Polizei, ihre Kundinnen und Kunden aktiv über Betrugsszenarien aufklären, zum Beispiel durch Hinweise in Banking-Apps oder Newslettern. Vor allem ältere Menschen bedürfen besonderer Fürsorge. - Transaktionsmonitoring
Das Arbeiten mit KI-gestützten Systemen sollte dabei helfen, ungewöhnliche Muster – wie etwa hohe Summen, neue Empfängerinnen und Empfänger oder virtuelle Währungsaktivitäten – bei autorisierten Zahlungen zu erkennen. Banken sollten bei hohen oder untypischen Transfers aktiv intervenieren, um das Haftungs- und Reputationsrisiko zu minimieren. - Informationsaustausch
Banken sollten Informationen mit anderen Instituten, Plattformen und Behörden teilen, um Fraud-Strukturen frühzeitig zu erkennen. Dieser Informationsaustausch ist entscheidend, um Fake-Seiten, Telefonnummern und Konten letztlich blockieren zu können. - Schulung von Mitarbeitenden
Mitarbeitende sollten gezielt geschult werden – unter anderem zu Social Engineering, Elder-Abuse-Fällen oder dem Einsatz von KI, zum Beispiel in Form von Deepfakes.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Phänomen des Pig-Butchering-Scams äußerst gefährlich ist, da es sowohl finanzielle als auch psychologische Schäden verursacht. Die brutale Ausbeutung der Menschen, die innerhalb dieses Systems arbeiten, kann nur durch internationale Zusammenarbeit bekämpft werden – hier ist die Politik in der Verantwortung. Auch wenn die Betrugsmasche nicht neu ist und die stetige Weiterentwicklung der Vorgehensweisen Opfer und Banken vor immer neue Herausforderungen stellt, gibt es einige Vorsichtsmaßnahmen, die dabei helfen können, weniger Menschen auf die sinnbildliche Schlachtbank zu führen.
Margaretha Müller absolviert seit Oktober 2024 ein redaktionelles Volontariat beim BANKINGCLUB. Ihren Bachelor in Philosophie und Geschichte schloss sie an der Universität Trier ab.



