Schon seit Jahren befindet sich die digitale Transformation unter den Top-Themen für die Banken- und Finanzbranche. An Bewusstsein über die Dringlichkeit von Veränderung mangelte es nicht, und trotzdem erwies sich Deutschland in der konkreten Umsetzung als vergleichsweise zögerlich. Laut der ifo-Studie im Jahr 2021 lag man im internationalen Vergleich hierzulande nur im Mittelfeld mit den größten Defiziten bei digitalen Verwaltungsdiensten und Innovationsfähigkeit.
Auch 2024 bestätigte eine Studie von KfW Research, dass die Digitalisierungsaktivitäten Deutschlands eher gering ausfallen. „Deutschland wird einen langen Atem brauchen, um bei der Erforschung und Nutzung digitaler Technologien zu den führenden Ländern aufzuschließen“, so Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Besonders die Finanzbranche kämpft immer wieder etwa mit strengen Auflagen und Legacy-IT-Systemen, die bisher kaum mit modernen Technologien vereinbar waren. Es fehlte schlichtweg eine langfristige und ganzheitliche Digitalstrategie.
Deutschlands Stärkung als innovativer Wirtschaftsstandort
Zur Mitte des Jahrzehnts scheint sich jedoch ein Wandel abzuzeichnen: Mit der Gründung des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) am 6. Mai 2025 unter Führung von Dr. Karsten Wildberger etabliert sich ein neuer Motor für die Digitalisierungsentwicklung des Landes. Deutschland scheint seine Schwäche erkannt zu haben, denn das BMDS identifiziert sich als Ministerium für Umsetzung. Ziel ist es, die eigene Position als moderner und innovativer Wirtschaftsstandort sowohl in Europa als auch weltweit zu stärken.
Und so verändern sich die Headlines aktuell, neue Digitaleinheiten werden geschaffen, KI-Nutzung schreitet voran, das Firmenkundengeschäft wird digitaler, digitale Identitäten sind auf dem Vormarsch. Dies gänzlich auf die Gründung des neuen Ministeriums zurückzuführen mag mehr Narrativ als Tatsache sein, nichtsdestotrotz besteht hier Grund zur Hoffnung auf eine tatsächliche digitale Transformation. Denn das BMDS soll als Gerüst dienen, um digitale Strukturen zu festigen, aber besonders in Zusammenarbeit zwischen Staat und Finanzsektor sollen konkrete Vorhaben vorangetrieben werden. Am Sparkassentag 2025 würdigte Wildberger die Gruppe als Vorreiter: „Im Vergleich mit dem Staat – das muss ich zugeben – da haben Sie in Sachen Digitalisierung einen Vorsprung.“
Worin Deutschland noch einen Vorsprung zu haben scheint, ist in der Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI). Die immense Bedeutung von KI für die Innovations- und damit auch Wettbewerbsfähigkeit ist durchgedrungen, was eine aktuelle KI-Studie von Deloitte unter Beweis stellt: Deutschland übertrifft den globalen Durchschnitt, was die Nutzungsintensität angeht, und belegt sogar den ersten Platz in Puncto Experimentierfreudigkeit. Auch das Thema KI-Agenten verzeichnet ein gesteigertes Interesse: 62 Prozent deutscher Unternehmer sind bereit entsprechende Projekte zu verfolgen, wohingegen es im globalen Durchschnitt nur 52 Prozent sind.
Ritterschlag von OpenAI
Darüber hinaus erfreut sich Deutschland eines Ritterschlages von OpenAI: Nach Paris, Brüssel und Dublin soll in München der nächste europäische Standort von dem ChatGPT-Gründer errichtet werden. Langfristig könnte München Berlin als Tech-Hauptstadt vom Thron stoßen, denn neben der KI-Firma sind es auch andere große Konzerne, die sich in Bayerns Landeshauptstadt ansiedeln. Die Startup-Szene in München gedeiht, erzielt in einer Datenerhebung von Dealroom zu den größten und erfolgreichsten Tech-Szenen Platz 17 und schlägt damit internationale Größen wie Peking oder Mumbai. „Wir wollen Heimat für Hightech sein und Bayern zu einem Premiumstandort für die Zukunftstechnologien im Herzen Europas entwickeln“, meint Bayerns Digitalminister Fabian Mehring. Der Status Münchens als ein zentraler Standort für Maschinen und Deep Tech wird auch von Ministerpräsident Markus Söder manifestiert, der neue Spitzenforschungszentren ins Leben gerufen hat – gleich mehrere davon im Bereich KI.
Doch der neu entfachte Digitalisierungsschub kommt nicht ohne Herausforderungen – insbesondere im Hinblick auf Daten- und Cybersicherheit. Denn je mehr Prozesse digitalisiert und automatisiert, vernetzt, aber auch entbürokratisiert werden, desto angreifbarer wird das System. Gerade in einer Branche, in der Vertrauen das höchste Gut ist, darf technologischer Fortschritt nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. Die kommende Zeit wird zeigen, ob Deutschland nicht nur bei Innovationskraft, sondern auch bei digitaler Resilienz zur Spitze aufschließen kann. Die Weichen dafür sind gestellt – jetzt gilt es, sie entschlossen zu nutzen.
Fiona Gleim absolvierte von August 2021 bis Dezember 2022 ihr redaktionelles Volontariat bei der BANKINGCLUB Plattform GmbH und ist seitdem auch als festes Redaktionsmitglied beschäftigt. Davor schloss sie ihren Bachelor of Arts an der Universität Kassel ab.