Als Christian Lindner im Dezember 2021 das Amt des Bundesfinanzministers übernahm, ging ein spürbares Raunen durch die Finanzbranche. Der FDP-Chef, wirtschaftsliberal geprägt, galt als Hoffnungsträger für solide Staatsfinanzen, steuerliche Entlastungen, eine modernisierungsfreundliche Finanzpolitik und nicht zuletzt für eine digitale Agenda, die Bürokratie abbauen, Startups fördern und die Finanzaufsicht zukunftstauglich machen sollte. Die Erwartungen waren hoch, sowohl in der Gründerszene Berlins als auch in der etablierten Finanzwelt Frankfurts. Dreieinhalb Jahre später stellt sich die Frage: Welche nachhaltigen Veränderungen hat Lindners Amtszeit tatsächlich bewirkt?
Schuldenbremse als Dogma
Von der wirtschaftspolitischen Innovationskraft, die die FDP im Bundestagswahlkampf 2021 versprochen hatte, war im Finanzministerium schon bald nur noch wenig zu spüren. Statt digitaler Aufbruchsstimmung prägte ein anderes Thema die Agenda: die Schuldenbremse. Lindners kompromissloses Festhalten an ihr – trotz Energiekrise, Inflation und konjunktureller Unsicherheit –wurde zum ständigen Begleiter jeder finanzpolitischen Debatte. Mit der Zeit entwickelte sie sich zum zentralen Konfliktpunkt innerhalb der Ampel-Koalition. Während SPD und Grüne auf mehr finanzielle Spielräume für soziale, klimapolitische und infrastrukturelle Vorhaben drängten, rückte Lindner zunehmend in die Rolle des Blockierers. In Brüssel wie in Berlin wurde bald klar: Der deutsche Finanzminister steht für Haushaltsdisziplin, nicht für mutige Reformen oder politische Flexibilität. Doch der Preis für diesen Kurs war hoch. Viele Projekte der Ampel-Regierung wurden gekürzt, verschoben oder ganz gestrichen. Und trotz mehrfacher Ankündigungen blieb Lindner die große Reform im Inland schuldig – ob beim Subventionsabbau, der Altersvorsorge oder der Neuaufstellung staatlicher Förderinstrumente. Sein Ministerium wurde zum Krisenmanager und verlor den Spielraum für das, was er ursprünglich versprochen hatte: Impulse für ein modernes und wettbewerbsfähiges Land zu setzen. „Schuldenbremse first, alles andere second“ – so schien die neue Devise zu lauten.
Einige Fortschritte gab es dennoch. So gelang es dem Bundesfinanzministerium, den Zuschlag für die neue EU-Anti-Geldwäschebehörde (AMLA) nach Frankfurt zu holen – ein strategischer Erfolg für den deutschen Finanzstandort, der sich damit im europäischen Wettbewerb klar positionieren konnte. Christian Lindner hatte sich persönlich stark für die Ansiedlung eingesetzt: Er verdoppelte das deutsche Finanzierungsangebot auf 20 Millionen Euro jährlich, versprach zusätzliche Personalkapazitäten und warb offensiv mit den 400 hochqualifizierten EU-Stellen, die die Behörde mit sich bringen würde. Die Zusage gilt als politischer Prestigegewinn und als bleibender Beitrag zur Stärkung Frankfurts im europäischen Finanzsystem.
Auch das Zukunftsfinanzierungsgesetz II wurde vom Kabinett auf den Weg gebracht, befindet sich aber noch im parlamentarischen Verfahren. Es sieht steuerliche Verbesserungen für Reinvestitionen und Beteiligungen an Personengesellschaften sowie erste Ansätze zum Bürokratieabbau vor. Im Bereich der Geldwäschebekämpfung verabschiedete Lindner ein Gesetz zur Reform der FIU (Financial Intelligence Unit). Künftig sollen Verdachtsmeldungen risikobasiert vorsortiert werden, um Ressourcen gezielter einzusetzen. Ergänzend wurde ein neues parlamentarisches Kontrollgremium eingerichtet. Die grundlegende Neuaufstellung – etwa durch ein zentrales Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität – blieb allerdings aus: Das entsprechende Gesetz (FKBG) kam nicht über das Kabinett hinaus. Der Aufbau der geplanten Superbehörde BBF wurde 2025 offiziell gestoppt.
Auch viele andere der größeren Reformvorhaben gingen über Ankündigungen nicht hinaus. Das geplante Generationenkapital – im Koalitionsvertrag vereinbart und öffentlich als Vorzeigeprojekt des Finanzministers präsentiert – blieb in Lindners Amtszeit ein theoretisches Konstrukt. Die dazugehörige Rentenreform steckt weiterhin fest. Auch die Finanzierung großer klimapolitischer Investitionen blieb hinter den Erwartungen zurück. Vorhaben wie die Kindergrundsicherung, die BAföG-Reform oder neue Förderprogramme mussten aufgrund haushaltspolitischer Engpässe gestrichen oder verschoben werden.
Neustart unter neuen Vorzeichen
Mit Lars Klingbeil hat jetzt ein SPD-Politiker das Finanzministerium übernommen und setzt auf klare Abgrenzung zu Lindner. Statt Blockade kündigt der Minister eine Investitionsoffensive an: steuerliche Sonderabschreibungen, gezielte Infrastrukturmodernisierung und eine neue Rolle als modernes Investitionsministerium sollen den Wandel vorantreiben. Im Bundestag bewirbt Klingbeil bereits „Rekordinvestitionen“ über 115 Milliarden Euro für 2025, inklusive Ausbau von Schienen, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung. Parallel wird an einer flexiblen Reform der Schuldenbremse gearbeitet, die Spielräume für nachhaltige Projekte eröffnen soll.
Der Kurswechsel ist deutlich. Ob die angekündigte Investitionswende gelingt, wird sich jedoch erst zeigen müssen. Auch Christian Lindner startete mit einer langen Liste ambitionierter Reformversprechen, viele davon mit unmittelbarer Relevanz für den Finanzplatz. Seine Zeit im Finanzministerium blieb jedoch geprägt vom Spagat zwischen dem Beharren auf haushaltspolitischer Sicherheit und dem Anspruch, das Land mit mutigen Investitionen zukunftsfähig zu machen. Im Verlauf der Legislatur verlagerte sich sein Gewicht in der Koalition zunehmend auf die Seite der Sparpolitik und entfernte sich damit immer weiter vom politischen Aufbruch. Am Ende standen mehr verwaltete Krisen als vollzogene Reformen. Was bleibt, ist ein haushaltspolitisch abgesicherter Status quo – und viel Raum für seinen Nachfolger, es anders zu machen.
Daniel Fernandez ist seit 2025 Chefredakteur der BANKINGNEWS. Seine journalistische Laufbahn begann er 2017 in der Redaktion als Volontär. Er studierte English Studies an der Universität Bonn (B.A. 2016) und vertiefte seine akademische Ausbildung mit einem Master in English Literatures and Cultures, den er ebenfalls in Bonn abschloss. Erste redaktionelle Erfahrungen sammelte er parallel zum Studium als freier Werbetexter.