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„Wie das Gehirn eines Neugeborenen“

Mark Lohweber von adesso ist davon überzeugt, dass Chatbots die Banking-Apps ablösen werden. Wie alle KI-Lösungen müssen sie bis dahin drei Dinge tun: lernen, lernen, lernen.


Mark Lohweber glaubt, dass es „zu einer regulatorischen Auflage wird, dass Beratungsprozesse durch eine zentrale KI unterstützt werden und Entscheidungen nicht mehr allein in der Hand des einzelnen Beraters liegen.“

BANKINGNEWS: Werden Chatbots irgendwann zum ersten Anlaufpunkt für Kunden, die eine Frage an ihre Bank haben?

Mark Lohweber: Auf jeden Fall. Chatbots werden die Nachfolger der mobilen Anwendungen. Vor allem jüngere Menschen werden Voicebots nutzen. Spracherkennung, Speech-to-Text und Text-to-Speech sind Erweiterungen des Chatbots und machen es möglich, dass der Kunde endlich wieder mit der Bank spricht. So wird Banking viel persönlicher als bei den heutigen Banking-Apps.

Wann wird dieser Schritt erfolgen?

Es braucht noch etwas Zeit. Die Technologie ist schon sehr weit fortgeschritten: Spracherkennung funktioniert sehr gut. Die dahinterliegenden vielstufigen neuronalen Netze und maschinellen Lernverfahren sind extrem leistungsfähig. Die Zugriffsmöglichkeiten von einem Smartphone auf ein hochskalierbares Rechnernetz in der Cloud in Near-Realtime sind gegeben. Das war lange Zeit nicht der Fall. Auf der anderen Seite haben Banken das Problem, dass die Daten in die Clouds von Microsoft, IBM, Google oder Amazon und damit aus der EU gehen. Häufig unterschätzen Banken das Investitionsvolumen und haben zu hohe Erwartungen an die KI bezogen auf ihr Kerngeschäft. Dennoch führt für sie kein Weg daran vorbei, eine KI aufzubauen, also ein Gehirn, das das gesamte Wissen ihres Universums beherrscht. Es ist eine Investition in die Zukunft. Und dafür können sie mit Chatbot-Projekten starten – am besten zunächst nur intern und nicht mit Endkunden.

Wo liegt dabei der Vorteil?

Ein Bankmitarbeiter ist viel toleranter als ein Endkunde, wenn die erste Version des Chatbots keine befriedigende Antwort liefert, und postet keine bösen Kommentare im Internet. Aus einem eng umrissenen, internen Use Case können viele wichtige Schlüsse gezogen werden. KI basiert auf einem Modell aus repräsentiertem und modelliertem Wissen, das durch Lernen erweitert wird. Im Falle eines Bots ist Benutzerfeedback notwendig. Er kann nur besser werden, wenn die Nutzer Fragen stellen. Es ist nicht möglich, alles vorwegzunehmen, und es ist viel manuelle Bearbeitung notwendig.

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Aber wie viel KI steckt dann überhaupt in einem Chatbot, wenn man doch manuell nachbearbeiten muss?

Einer der größten Irrglauben ist, dass eine KI per se intelligent ist. Wenn man ein Projekt startet, ist es wie bei einem Neugeborenen: Es hat ein High-End-Gehirn, verfügt aber nicht über Wissen. Bis dieses Gehirn effektiv arbeiten und komplexe Probleme lösen kann, braucht es viel Erziehung und Übung. Die Banken erwarten häufig, dass dieses „Babyhirn“ in zwölf Monaten alle Fragen beantworten kann. Das geht nicht. Es muss lernen. Unsere Systeme sind heute zwar viel leistungsfähiger als vor 30 Jahren. Das Problem ist aber das fehlende Wissen der Kerneinheiten, da die Anbieter das gesammelte Wissen aus einem Kundenprojekt häufig nicht bei einem anderen Projekt anwenden dürfen.

Werden Bots nicht nur Apps, sondern auch Bankmitarbeiter ersetzen?

Auf Standardfragen kann ein Bot genauso gut antworten wie ein Mensch. Ich glaube, dass es sogar zu einer regulatorischen Auflage wird, dass Beratungsprozesse durch eine zentrale KI unterstützt werden und Entscheidungen nicht mehr allein in der Hand des einzelnen Beraters liegen, der sich im Zweifel nicht an MiFID hält oder manche Vorgaben gar nicht kennt. Kreativleistungen in komplexen und Ausnahmefällen werden weiterhin Menschen leisten müssen. Dazu ist eine KI, die sich im Grunde simpler Logiken und eines Trial-and-Error-Ansatzes bedient, nicht in der Lage. Daher glaube ich an den persönlichen Berater. Allerdings kann ein Chatbot, der in die Geschäftsprozesse integriert ist und die Customer Journey verbessert, Freiräume schaffen für Dinge, bei denen der Berater wirklich gefragt ist.

Interview: Thorsten Hahn