KI ist wie Statistik auf Speed

Wenn es um Künstliche Intelligenz im Bankenbereich geht, stellt Damian Beldycki die alles entscheidende Frage: Muss es denn wirklich immer Big und Smart sein?


Schneller Mensch als KI
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Es wird mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Nachdem bei vielen Banken die notwendige Transformation in den letzten Jahren vor allen Dingen durch die Themen Digitalisierung und agiles Arbeiten geprägt war, gibt es nun ein neues Hype-Thema: Künstliche Intelligenz, kurz KI, oder auch Big/Smart Data oder Advanced Analytics genannt. Bitte nicht falsch verstehen: Die Möglichkeiten, die KI bietet, sind enorm. Und die potenziellen Auswirkungen auf die Bankenlandschaft damit auch. Der Hype ist also gerechtfertigt.

Aber die Diskussionen in der Bankindustrie und der oftmals damit einhergehende Aktionismus zeigen auch, dass zumeist ein eher rudimentäres Verständnis darüber vorherrscht, was KI tatsächlich ist. KI ist nichts anderes als ein Werkzeug, mit dem statistische und zum Teil selbstlernende Verfahren auf einer performanten IT-Infrastruktur durchgeführt werden.

Banken haben KI schon immer genutzt

Dabei haben Banken statistische Verfahren – und somit KI – schon immer genutzt. Banken waren sogar früher Kompetenzführer in diesem Feld. So werden im Risikomanagement schon seit Jahrzehnten statistische Verfahren zur Berechnung von Kredit- oder Marktpreisrisiken genutzt, zum Beispiel mittels logistischer Regressionen oder Zeitreihenanalysen. So neu ist die Sau im Dorf also gar nicht. Neu ist allerdings das viel größere Skalierungspotenzial durch den Fortschritt bei der Hardware. Die heutige KI ist gewissermaßen „Statistik auf Speed“.

Eine weitere Neuerung liegt in den Anwendungsfeldern. KI nimmt im Vertriebsumfeld im Sinne einer ganzheitlichen kundenzentrierten Betreuung eine immer wichtigere Rolle ein, gleichermaßen eine 360-Grad-Sicht. So ist eine automatisierte und strukturierte Auswertung der Daten mit Hilfe von KI der Beginn von quantitativer Kundenzentrierung und mündet schließlich in einer individualisierten und somit besseren Beratung für den Kunden.

„Bankkunden werden auch heute noch von einigen Instituten mit generischen Kontobeilegern bombadiert.“

Die relevanten Daten sammeln Banken schon seit Jahrzehnten, allerdings nutzen sie diese bisher nicht strukturiert. Stattdessen werden Bankkunden auch heute noch von einigen Instituten mit generischen Kontobeilegern bombardiert. Wie es besser funktioniert, machen uns die Konzerne aus dem Silicon Valley seit Jahren vor. Bei Amazon heißt es dann etwa: „Kunden, die das angesehen haben, haben auch jenes angesehen“.

Dass diese Anzeigen meist chirurgisch präzise sind, ist kein Zufall. Sie sind Ergebnis einer bereits vor Jahren umgesetzten stringenten KI-Strategie, bei der in Millisekunden Millionen von individuell gesammelten Datenpunkten mit Millionen von Datenpunkten aller Nutzer in Echtzeit abgeglichen werden. Das Ganze nennt sich „Next-Best-Action“ oder „Next-Best-Offer“. Die Zielgruppe ist tot, es lebe das Individuum.

KI kann Kosten senken und Erträge steigern

Den Einsatzfeldern, auch im Bankgeschäft, sind dabei keine Grenzen gesetzt: Wie wäre es mit einer Lebenspartnersuche auf Basis der Kontoumsatzdaten, der passenden Zuordnung von Berater und Kunde auf Basis von Interessensprofilen oder einfach mit einem optimalen Produkt-Kanal-Mix? Beispielsweise könnten so Menschen zusammengebracht werden, die ähnliche Hobbies haben, gleiche Filme oder Musik mögen oder einfach eine ähnliche Risiko- und Sparneigung haben. All diese Schlüsse lassen sich, mit etwas Aufwand, aus den Kontoumsätzen ziehen. Für einen Data Scientisten macht es keinen Unterschied, ob er Produkte, Kreditausfälle oder Liebe prognostizieren soll. Am Ende steht immer eine Wahrscheinlichkeit in Prozent.

Worum geht es dann also bei der Aufregung um Künstliche Intelligenz? Es ist weniger die Methodik als die Hoffnung vieler Führungsmannschaften, über KI alle Herausforderungen, denen sich die Banken heute gegenübersehen, mit einem einzigen Instrument bewältigen zu können. Denn richtig eingesetzt, kann KI die Kosten senken und gleichzeitig die Erträge steigern.

Aber wie bei vielen Dingen ist der Weg von der Theorie zur Praxis beschwerlich und es lauern viele Fallstricke. Denn auch wenn die Methode nicht neu ist, die Integration in bestehende Bankprozesse und in die Expertenkultur einer Bank ist eine große Herausforderung. Was sollten Sie beachten, wenn Sie KI in Ihrem Haus einführen wollen? Basierend auf meinen Erfahrungen und Beobachtungen als Risikomanager, Berater, Digital Leader und Data Scientist habe ich meine fünf wichtigsten Erkenntnisse zusammengestellt – aber natürlich gilt auch hier: Es gibt kein Patentrezept, denn jede Bank ist anders.

Starten Sie mit einem relevanten Anwendungsfall

KI ist ein Werkzeug, wie ein Hammer. Niemand würde auf die Idee kommen, mit einem Hammer eine Schraube in die Wand zu nageln. Mit KI wird aber immer wieder so verfahren. Die Anwendungsgebiete (Use Cases) stammen meist erratisch aus der Organisation. In der Regel ist der Nutzen oder die Machbarkeit solcher Use Cases eher gering.

Um den besten Use Case auszuwählen, eignet sich daher vielmehr ein strukturierter Workshop mit den relevanten Sponsoren beziehungsweise Führungskräften. Die Priorisierung möglicher Anwendungsfälle wird dabei über ihre Wirkung (etwa Erträge, Kosten, Leuchtturmcharakter) und Machbarkeit (Datenverfügbarkeit, Regulatorik, Infrastruktur) abgeleitet.

Stellen Sie den Geschäftsnutzen in den Vordergrund

Viele KI-Projekte starten mit langjährigen und teuren Infrastrukturprojekten. Warum? Weil die meiste Kompetenz in der IT sitzt oder IT der Treiber ist. Problematisch dabei ist, dass die Früchte der Arbeit erst spät und kostenaufwendig geerntet werden. Sinnvoller wäre es, pragmatisch zu starten und die notwendige Basis, wie etwa ein Data Warehouse oder Extract-Transform-Load-Prozesse (ETL), nachzuziehen. Fokussieren Sie sich auf das Datenverständnis

Data Science wird oft mit Modellierung von neuronalen Netzen oder modernen Modellen assoziiert. Dabei wissen erfolgreiche Data Scientisten, dass die Modellgüte, also die „Prediction Power“, zu rund 80 Prozent im Datenverständnis steckt. Anstatt also das nächste Hidden Layer im neuronalen Netz zu programmieren, sollte lieber geprüft werden, ob alle Daten und Kombinationen hinreichend ausgeschöpft sind.

Fangen Sie mit Kerndaten an

Bevor Social-Media- oder auch Cookie-Daten integriert oder externe Daten dazugekauft werden, sollten zunächst einmal alle verfügbaren Daten aus dem Kernbanksystem ausgelesen werden. Die Informationen über Umsätze oder Produktnutzung sind meist umfassender als aus anderen (externen) Datenquellen. Darüber hinaus ist die Datenqualität im Kernbanksystem vergleichsweise gut und die Historie stabil. Faktoren, die auch wichtig für ein gutes Datenverständnis sind und somit elementar für ein gutes Modell.

Beziehen Sie den Endanwender mit ein

Der Klassiker unter den Fallstricken ist, Data Science im stillen Kämmerchen zu betreiben. Das Wichtigste für einen erfolgreichen KI-Use-Case ist also, den Fachbereich als Endanwender von Anfang bis Ende einzubinden. Sonst wird die Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Fachbereichen abgelehnt, egal wie gut sie ist.

Und damit kommen wir zur größten Herausforderung bei KI: der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses und echter Akzeptanz zwischen Fachbereich und Data Scientisten. Für uns als Bankmitarbeiter heißt es also im Umgang mit dem KI-Hype, so schnell wie möglich die theoretische Ebene zu verlassen und echte relevante KI-Lösungen mit der Organisation zu entwickeln. Nur dann ist es möglich zu begreifen, was hinter der Methode steckt und vor allen Dingen, wie diese im Bankalltag helfen kann. Denn das haben die Hype-Themen Digitalisierung, agiles Arbeiten und KI gemeinsam: Neue Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.

Tipp: Auf unserer Infografik „Wie viel KI steckt in der Finanzbranche“ erfahren Sie mehr zum Thema KI. Außerdem empfehlen wir Ihnen unsere Artikel „Künstliche Intelligenz ‚Made in Europe‘“ und „Von Künstlicher Intelligenz und menschlicher„.

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