Die Grenzen des Kündigungsrechtes und für Bonifikationen

BANKINGNEWS im Interview mit Stefanie Schorb, Rechtsanwältin bei Holthausen / Schmitz-Du Mont / Wolff in Köln, zum Schwerpunkt Arbeitsrecht. „Rauswurf weil Sie Frikadellen vom Chef aß!“ Mitarbeiter sind das größte Kapital, aber auch der größte Kostenfaktor im Unternehmen. Werden hier Bagatelle genutzt, um Mitarbeiter zu entlassen? Sicherlich gab es in der Vergangenheit eine ganze Reihe…


BANKINGNEWS im Interview mit Stefanie Schorb, Rechtsanwältin bei Holthausen / Schmitz-Du Mont / Wolff in Köln, zum Schwerpunkt Arbeitsrecht.

„Rauswurf weil Sie Frikadellen vom Chef aß!“ Mitarbeiter sind das größte Kapital, aber auch der größte Kostenfaktor im Unternehmen. Werden hier Bagatelle genutzt, um Mitarbeiter zu entlassen?

Sicherlich gab es in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Fällen, in denen ein Arbeitgeber versucht hat, ein sogenanntes Bagatelldelikt eines seiner Mitarbeiter für eine Kündigung für sich „nutzbar zu machen“. Spätestens seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 10.06.2010 im bundesweit bekannt gewordenen Fall „Emmely“ wird Arbeitgebern ein solches Vorgehen jedoch deutlich erschwert. Die Erfurter Richter haben in der Art eines juristischen Paukenschlags die Kündigung der Supermarktkassiererin wegen der Unterschlagung zweier Leergutbons aufgehoben.
Zwar liege der gesetzlich geforderte „wichtige Grund“ zur Kündigung vor. Daran ändert nach Ansicht des Senats auch der Umstand nichts, dass es sich lediglich um einen geringfügigen wirtschaftlichen Schaden handelt. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertrauensbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage trete gerade unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden seien. Für die kündigungsrechtliche Bewertung komme es auch nicht auf die strafrechtliche Bewertung der maßgebenden Handlung an. Gleichwohl halten die Richter die fristlose Kündigung im Ergebnis nicht für gerechtfertigt, da die Umstände des vorliegenden Einzelfalles und die Abwägung der widerstreitenden Interessen diese „härteste Waffe“ des Arbeitgebers nicht trugen.
Mit diesen Erwägungen hat das Gericht eine Bewertung der maßgeblichen Umstände in jedem zu entscheidenden Einzelfall eingefordert und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu neuer Geltung verholfen. Maßgebliche Kriterien bei der einzelfallbezogenen Abwägung sollen in Zukunft insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung sein, das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes, ihre wirtschaftlichen Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr, sowie die bisherige Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Anhand dieses „Bündels“ an Kriterien soll künftig stets geprüft werden, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich wieder vertragstreu verhalten.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung sind die Gerichte nunmehr dazu angehalten, der Interessenabwägung im zu entscheidenden Einzelfall größeres Gewicht beizumessen. Was durch die Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der einen Seite als Gewinn für rechtsstaatliche Prinzipien gelobt wird, ist auf der anderen Seite angesichts der fließenden Grenzen mit einem Verlust an Rechtssicherheit verbunden. Eine Grenze für Bagatellkündigungen gibt es weiterhin nicht. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gerichte künftig der Herausforderung stellen, die ihnen das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung aufgegeben hat.

Ebenfalls ein Thema mit großer medialer Präsenz ist die Videoüberwachung. Mitarbeiter eines Supermarktes wurden ohne deren Wissen durch Kameras überwacht. Die Aufnahmen wurden ausgewertet und beurteilt. Der Schalterbereich einer Bank wird mit Wissen der Mitarbeiter überwacht. Ist also auch die Auswertung der Videos legal?
Für die Frage der Zulässigkeit einer Videoüberwachung ist grundsätzlich danach zu differenzieren, ob die Videoüberwachung in öffentlichen, der Allgemeinheit zugänglichen oder aber in solchen Räumen erfolgen soll, die nur für die Mitarbeiter eines Unternehmens zugänglich sind.
Wird die Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen durchgeführt, stellt das Bundesdatenschutzgesetz eine gesetzliche Vorschrift zur Verfügung, die die Frage der Zulässigkeit ausdrücklich regelt. In diesen Fällen hängt die Zulässigkeit der Überwachung somit schlicht davon ab, ob die gesetzlichen Anforderungen eingehalten sind oder nicht. Unter anderem müssen die Betroffenen auf die bestehende Videoüberwachung hingewiesen werden. Die Verarbeitung und Nutzung so gewonnener Daten ist nur eingeschränkt möglich. Nicht mehr benötigte Daten sind unverzüglich zu löschen.
Sind die überwachten Räume hingegen der Allgemeinheit nicht zugänglich, mangelt es an einer solchen ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Als Maßstab für die Frage der Zulässigkeit der Überwachung dienen in diesen Fällen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Danach stellt die Überwachung von Mitarbeitern grundsätzlich einen unzulässigen Eingriff in das grundgesetzlich verbriefte Persönlichkeitsrecht dar. Dieser Eingriff ist ausnahmsweise nur dann gerechtfertigt, wenn ganz konkrete und überwiegende Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht und weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung eines bestimmten Verdachts vollständig ausgeschöpft sind. Eine bloß vage Vermutung oder ein lediglich pauschaler Verdacht gegen die gesamte Belegschaft ist nicht ausreichend. Ebenso wenig zulässig ist eine Überwachung aus Gründen der „Bespitzelung“ bzw. zur Leistungskontrolle von Mitarbeitern. Die verdeckte Videoüberwachung muss also praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellen und darf insgesamt nicht unverhältnismäßig sein. Nur in diesem Fall führt ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Mit rechtswidrig erlangten Videoaufzeichnungen kann der Arbeitgeber eine Kündigung somit grundsätzlich nicht begründen.

Ein weiteres sehr heikles Thema in der Öffentlichkeit: Boni-fikationen. Kann der Staat per Gesetz oder Anweisung den Anspruch bzw. die Höhe reglementieren?
Im Lichte der öffentlich und international geführten Debatte erscheint der Gedanke durchaus populär, Bonuszahlungen an Banker gesetzlich zu deckeln. Aus rechtlicher Sicht wird die Politik gewaltige Prämienzahlungen im Finanzwesen jedoch auch künftig nicht verhindern können. Zwar hat sich die Europäische Union mittlerweile darauf verständigt, die umstrittenen Bankerboni strengeren Regeln zu unterwerfen. Die grundsätzlich bestehende Vertragsfreiheit darf der Gesetzgeber jedoch auch in Krisenzeiten nicht willkürlich beschneiden, da er andernfalls die Grundwerte unseres marktwirtschaftlichen Systems in Frage stellen würde. Ein wesentlicher Aspekt dieses Systems ist die Möglichkeit, Verträge frei zu verhandeln. Vor diesem Hintergrund beanspruchen zwischen den Arbeitsvertragsparteifreien ausgehandelte Verträge Geltung, so dass einmal zugesagt Boni auch weiterhin ausgezahlt werden müssen.

Vielen Dank, Frau Schorb, für diese ausführlichen Antworten!