Tokenisierung als Wettbewerbsvorteil

Die Tokenisierung von Vermögenswerten gehört zu den Innovationsversprechen der Finanzbranche. Über Chancen und Herausforderungen auf dem Weg der Implementierung berichtet Susanne Geber von DONNER & REUSCHEL.


Iurii Motov via Getty Images

Der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Weg Europas führt an der Weiterentwicklung technologischer Möglichkeiten nicht vorbei. Der Erhalt solider Wettbewerbsbedingungen ist im Lichte protektionistisch agierender Wirtschaftsnationen längst zu einer Grundbedingung geworden. Innovative Technologien gehören inzwischen dazu.

Das Wettbewerbsumfeld

Metaverse, Web3.0, DeFi- und End-to-end-Prozess-Automatisierungen sowie Distributed-Ledger- Technologien sind seit geraumer Zeit Teil unseres Alltags – sei es im B2B- oder B2C-Umfeld. Anwendungsfälle lassen sich leicht finden, so zum Beispiel beim Betreten der virtuellen Welt mittels Avatar oder 3D-Brille, bei regulären Bezahlvorgängen oder im Finanzwesen.

Kernstück bilden gegenwärtig allerdings Krypto Assets und deren Verwahrung sowie Teilaspekte der Fondswelt. Hier spielt Tokenisierung eine gewichtige Rolle. Doch worum geht es? Mit Hilfe von Tokenisierung können – vereinfacht gesagt – große Einheiten in kleinere Teile aufgeteilt werden, um sie so einer größeren Anzahl von Personen zugänglich zu machen. Anders ausgedrückt geht es um das Erzeugen digitaler Abbilder eines realen Gegenstands oder Werts.

Diese Abbildung erfolgt beispielsweise auf einer verteilten Ledger-Technologieinfrastruktur in Form von sogenannten Token und ermöglicht eine rechtssichere Übertragung. Durch den Umstand, dass sich nahezu alle Gegenstände (Oldtimer, Immobilien, Kunst) oder Finanzwerte in digitaler Form abbilden, das heißt „tokenisieren“ lassen, wird der Technologie und ihrer Produkt- und Entwicklungsmöglichkeiten großes Potenzial zugesprochen.

Das Technologiepotenzial

Der Kapitalmarkt kennt derartige Einsatzgebiete und Anwendungsfälle bereits durch die Abbildung digitaler Finanzprodukte. Zu nennen ist hier insbesondere die Begebung von „papierlosen“ Schuldverschreibungen und InvestmentfondsAnteilscheinen durch Eintragung in ein elektronisches Wertpapierregister oder Kryptowertpapierregister. Ferner ist die Emission von Kryptofondsanteilen möglich, die es Anbietern von Investmentfonds mittels KryptoFAV erlaubt, Kryptofondsanteile an Sondervermögen zu begeben.

Angebote von Verwahrdienstleistungen und Registerführung – bei entsprechenden Lizenzen – runden das Bild im Finanzwesen ab. Daher muss die zukünftige Bedeutung einer tokenisierten Wirtschaft für Europa sowie im internationalen Kontext nachhaltig herausgestellt werden. Technologischer Fortschritt kann Anlass zur Weiterentwicklung etablierter Geschäftsmodelle sein und bietet großes Potenzial, neue Geschäftsmodelle entstehen zu lassen.

Auf diese Weise können in einer sich stetig stärker vernetzenden Welt interaktive Dienstleistungen oder konzeptionell fortentwickelte Produkte geschaffen werden. Dabei gilt es Wettbewerbsaspekte der globalen Konkurrenzsituation, wie die Sicherung von Standortvorteilen und Produktionsbedingungen, zu beachten. Der europäische Markt befindet sich nicht im luftleeren Raum. Vielmehr sieht er sich finanzwirtschaftlich starken Märkten wie den USA und asiatischen Einflussbereichen ausgesetzt.

Um das Potenzial der technologischen Neuerung ausschöpfen zu können, bedarf es zweifellos eines rechtssicheren Rahmens, der von Finanzmarktstabilität, Verbraucherschutz und Marktintegrität flankiert wird. Aus Sicht vieler Entrepreneure und Beteiligter gilt es, das Innovations- und Wettbewerbspotenzial des digitalen Lebens – dazu zählt das Finanzwesen – weiter zu erschließen und zu fördern. Gleichzeitig müssen immanente Risiken adressiert und vermindert werden.

Aus der praktischen Anwendung ist bekannt, dass Innovationen in der Tendenz mit höheren Risiken einhergehen. Ihre Anwendungsfälle oder die zugrundliegenden Technologien sind teilweise noch von Kinderkrankheiten betroffen und bedürfen einer fortwährenden wie konsequenten Weiterentwicklung. Dieser Umstand darf den europäischen Markt jedoch nicht vom Einsatz innovativer Lösungen abhalten. Konkurrierende Märkte sehen sich denklogisch mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Es ist mithin kein europäisches Phänomen.

Eine europäische Angelegenheit

Bei der Tokenisierung stehen mit europäischen Norminitiativen zu Kryptowerten und Ledger-Technologien (MiCA, DLT-Pilot-Regulierung) sowie zur Betriebsstabilität digitaler Systeme (DORA) Handlungsrahmen bereit. Produktideen, Technologie und Marktpotenziale befinden sich allerdings erst am Anfang ihrer Entwicklung.

Doch die Chancen, mit Mut und Innovationsgeist zukunftsfähige Anwendungsfälle zu entwickeln, Kosten einzusparen und neue Investorengruppen zu erreichen, stehen gut. So kann langfristig das Potenzial von praxistauglichen Anwendungsfällen durch die Tokenisierung gehoben werden. Der europäische Gesetzgeber sollte daher weiterhin die Tür des Kapitalmarktes über sogenannte Sandbox-Versuchslabore öffnen wie im Fall des DLT-Pilot-Regimes.

Beschränkt auf einen quantitativen und sachlichen Anwendungsbereich werden regulatorische Erleichterungen genutzt, um neue Prozesse von Handel und Settlement im Bereich digitaler Assets zu erproben. Damit bleibt das Risko für den Finanzmarkt, seine Stabilität und die Anwender beherrschbar.

Die Jurisdiktionen

Technik macht nicht an Landesgrenzen oder Jurisdiktionen halt. Umso wichtiger ist das Agieren der Player in einem ordnungspolitischen Rahmen mit definierten Leitplanken. Die Chancen stehen gut: Nahezu alle relevanten Parteien, Normsetzer, Zentralbanken, Unternehmen, Kreditinstitute und Anleger befassen sich mit der „neuen Welt“, die durch Technologie entstehen kann.

Das ist gut und richtig. Waren Schreibmaschine und das Faxgerät vor Jahrzehnten noch gesetzter Branchenstandard, so ist Kommunikation via EMail, Mobiltelefon sowie smarte Kurznachrichten heute selbstverständlich. In der Umsetzung praxisnaher Anwendungsfälle bedeutet dies Zusammenarbeit und die Etablierung von praxistauglichen Use Cases.

Üblicherweise sind Regulatoren und Fintechs „gedanklich“ sehr weit voneinander entfernt. Beiden ist jedoch gemeinsam, Sicherheit für Anwender und Attraktivität der Produkte und ihrer Anwendungen erreichen zu wollen. Konsequenterweise kann sich daraus ein Zusammenarbeitsmodell ergeben, von dem alle profitieren.

Die Tokenisierung unterschiedlicher Vermögensgegenstände und daran anknüpfende Use Cases leisten hier einen Beitrag. Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass die Darstellung und der Handel digitalisierter Vermögenswerte absehbar an Bedeutung gewinnen werden. Erste Anwendungen konnten sich bereits erfolgreich etablieren.

Alle Akteure der Finanzbranche sind dazu angehalten, an der Entwicklung mitzuwirken und damit zukünftige Standards zu setzen. Bündeln sie die Kräfte und arbeiten stärker zusammen, kann daraus ein europäischer Wettbewerbsvorteil erwachsen.

Susanne Geber

DONNER & REUSCHEL

Susanne Geber ist Bankdirektorin und verantwortlich für die Bereiche Governance & ESG bei DONNER & REUSCHEL

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