Payment nach der Corona-Krise: Wie Europa in Zukunft zahlen könnte

Payment-Expertin Nicole Jonat über die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Bezahlverhalten der Deutschen, das Henne-Ei-Problem „Akzeptanz und Kundeneinsatz“, die European Payments Initiative EPI – und was Shakespeare dazu zu sagen hat.


Bezhalverhalten nach Corona-Krise, EPI

Aus allen Ecken Deutschlands und europaweit war seit langem zu hören, dass – wenn nicht wenigstens eine deutsche Bezahllösung existiert – es doch mindestens eine europäische Alternative zu PayPal und den globalen Kreditkartengesellschaften geben müsse.

Versuche für ein solches Bezahlverfahren für die DACH-Region gab es. Doch sie erreichten nie die Durchschlagkraft, um den Big Techs und „Card schemes“ dieser Welt auf europäischer und vor allem internationaler Ebene die Stirn zu bieten. Entsprechend oft wurde folglich gesagt, dass eine weitere deutsche oder europäische Initiative gar keinen Zweck habe. Aber eine dezidierte Beweisführung, warum sie nicht doch Erfolg haben könnte, fehlt bislang.

„Behauptung ist nicht Beweis“, konstatierte schon Shakespeare. Die gesamte Finanzbranche unterliegt einem stetigen Wandel – regulatorisch sowie technologisch – und dennoch blieb das Bargeld bis vor Kurzem stets des Deutschen liebstes Kind. Kartenzahlung war allenfalls noch als Debit Payment sichtbar. Kreditkarten wurden durch den Bundesbürger allenthalben im Urlaub eingesetzt und dabei fast ausschließlich zum Abheben von Bargeld oder zum Anmieten eines Autos.

Erst durch ein Virus gelang eine grundlegende Änderung des Bezahlverhaltens. Und so bewegte sie sich doch noch, die deutsche Payment-Welt. Statt zum vorher heiß geliebten Bargeld wird seit Corona vermehrt zur Karte gegriffen oder mit dem Smartphone bezahlt.

Zwang als Auslöser für Innovation

Selbst auf Händlerseite steht die Akzeptanz von Münzen und Scheinen seitdem auf dem Prüfstand. Man experimentiert nun auf Seiten des Handels zudem mit technischen Neuerungen wie Instore-Navigation, SelfScan-Varianten oder neuen Arten von Einkaufswagen. Oft war in Deutschland hauptsächlich der regulatorische Zwang ein Auslöser für Innovationen in der Branche.

Dass ein Wandel nun deutschlandweit durch ein Virus begründet wird, damit hatte wohl wirklich niemand gerechnet. Der Wunsch nach kontaktlosem Bezahlen – wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr – verleiht der Kartenzahlung Aufwind. Selbst das Henne-Ei-Problem bei Contactless-Mobile-Payment am Point of Sale (PoS) scheint sich auf einmal in Luft aufzulösen.

Auch technisch weniger affine Kunden und vor allem Kunden aller Altersklassen beschäftigen sich auf einmal mit Bargeldalternativen oder gar mit Anlageprodukten. Da sich in der Corona-Krise das Leben und die Arbeit zunehmend zu Hause abspielen, führt das beim Bezahlverhalten verständlicherweise zu einem Paradigmenwechsel.

Dabei kommt es insbesondere zu einem Shift des Endkunden vom stationären Handel zum E-Commerce. Dieser situationsbedingte Wechsel könnte zu „erlerntem“ Bezahlverhalten führen, sodass Kunden zum Teil den präferierten Digital-Kanal beibehalten werden.

Die European Payment Initiative (EPI)

COVID-19 und die Lebensmittelskandale der letzten Jahre haben bei vielen Kunden zum Umdenken geführt. Besonders die Nachhaltigkeit und die Herkunft eines Produkts – selbst eines Finanzprodukts – gewinnen stark an Bedeutung. Das führt zu mehr Verständnis für den regionalen Handel und zu einer erhöhten Solidarität – auch für Europa. Genau darauf zielt die European Payments Initiative, kurz EPI, auf europäischer Ebene ab.

Die Chance für diese Initiative liegt darin, sich ebendieses erlernte Verhalten und den emotional aufgeladenen europäischen Gedanken der Kunden zunutze zu machen – sowohl im stationären Handel als auch im E-Commerce. Brächte man die aktuellen Initiativen innerhalb der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) – hier insbesondere die Zusammenführung etablierter Brands wie paydirekt und giropay, die man aktuell schon verbindet, und KWITT mit dem Deutschen zweitliebsten Kind girocard – in die EPI mit ein, hätte man schon einen ersten deutschen Aufschlag.

Erweitert man dies um starke europäische Brands, käme man so vielleicht sogar zum Europäer liebsten Kind. Allerdings: Am deutschen Payment-Markt hat sich schon so mancher Anbieter einen Zahn ausgebissen. Deshalb gilt es, die besonderen Gegebenheiten aller nationalen Märkte im Detail zu beachten. Nur so bietet sich die Chance, weitere Fragmentierungen bei europäischen digitalen Payments zu umgehen.

Es wäre daher sinnvoll, die European Payments Initiative auch für Beteiligte aus anderen Branchen zu öffnen, um nicht betriebsblind – allein mit der Bankenbrille – dieses Produkt zu entwickeln. Nur wenn alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten in die EPI involviert werden, wie insbesondere Handel und Handelsverbände, wird eine Initiative auch vom Markt getragen werden.

Verschiedene Faktoren entscheidend für den Erfolg

Zumindest müsste dieses Payment auf jeden Fall in der Nutzung so einfach sein, dass ein jahrelanger Kunde von PayPal und Co. es – wenigstens als Alternative – in Betracht zieht. Und das vielleicht auch mit einem unerwarteten Technologieansatz unter Beteiligung von Fintechs, die sich hoffentlich noch reihenweise anschließen?! Verschiedene Faktoren könnten entscheidend für den Erfolg der EPI sein: Je mehr Banken, Länder und Fintechs mitmachen, desto besser.

Je einfacher das Payment, desto mehr User. Je leichter die Integration auf Händlerseite, desto verbreiteter die Lösung. Je mehr Mehrwerte in der Wallet, desto attraktiver. Je personalisierbarer, desto wahrscheinlicher ein Einsatz in den unterschiedlichen (auch jüngeren) Kundensegmenten. Je sicherer, desto öfter der Gebrauch. Und schließlich: Je nachhaltiger, desto überzeugender.

Wünschenswert wäre es nun, dass das veränderte Bezahlverhalten als „erlerntes“ Verhalten Bestand hat und nicht nach dem (hoffentlich baldigen) Ende der Corona-Situation wieder verloren geht. Wenn die European Payments Initiative darüber hinaus die genannten Faktoren erfüllt, kann sie Erfolg haben. Falls diese aber nicht ansatzweise adressiert werden, würde die PaymentInitiative wohl an dem Henne-Ei-Problem „Akzeptanz und Kundeneinsatz“ scheitern.

Da jeder Kunde mit dem von ihm gewünschten und bis dato genutzten Bezahlverfahren weiter bezahlen möchte, könnte ein Lösungsansatz der EPI auch sein, eine Interoperabilität zwischen vorhanden nationalen Bezahllösungen herzustellen. Auf diesem Wege hätte man zumindest das Henne-Ei-Problem gelöst. Ansonsten wäre eine effiziente gemeinsame Infrastruktur unabdingbar und wohl eine der größten Herausforderungen der EPI.

Bis dato sind sechzehn der führenden europäischen Banken und Bankenverbände angetreten und möchten beweisen, dass es eine ideale europäische Payment-Lösung für europäische Nutzer geben kann. Einige Kreditinstitute waren schon durch Corona zum Pausieren gezwungen – nicht dass das Virus auf der einen Seite Disruption zwar begünstigt, sie aber auf der anderen Seite wieder ad finitum führt. Quod erat demonstrandum? Wir dürfen gespannt sein.

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