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„Wir sind Fans des Provisionsverbots“

Karl Matthäus Schmidt, Gründer der Quirin Bank, beantwortet im Interview die Frage, ob das Alleinstellungsmerkmal „Honorarberaterbank“ verloren ginge, sollte es zu einem Provisionsverbot kommen. Außerdem gibt er eine Einschätzung dazu ab, warum nicht viel mehr Banken den Wechsel von Provisions- auf Honorarberatung vollziehen.


„Viele denken, dass unser Alltag aus Stundenschreiben besteht. Das ist nicht der Fall.“ Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank, im Gespräch mit Thorsten Hahn.

BANKINGNEWS: Sie sind vor zwölf Jahren angetreten, um Honorarberatung salonfähig zu machen, und haben einiges an Lobbyarbeit betrieben. Warum gibt es nicht viel mehr Banken, die auf Honorarberatung setzen?

Karl Matthäus Schmidt: Wir sind nicht angetreten, um Lobbyarbeit zu betreiben, sondern weil wir überzeugt davon sind, dass Kunden unabhängig beraten werden wollen. Außerdem war es unser Ziel, ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen aufzubauen, das für unabhängige Beratung steht. Das ist die Idee hinter der Quirin Privatbank. Warum das nicht mehr machen, ist relativ simpel: In der Provisionswelt wird heute noch so viel Geld verdient, dass ein Wechsel für die Häuser keinen Sinn macht. Ein Bankvorstand sagte einmal sehr aufrichtig zu mir: „Herr Schmidt, ich finde Ihr Modell super, aber ich kann de facto gar nicht wechseln, ohne meine Gewinn-und-Verlust-Rechnung zu zerstören.“ Wir schreiben seit fünf Jahren Gewinne und haben bewiesen, dass man ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen kann, ohne auf Provisionen zu setzen.

Aber dann müsste doch – bei den vielfältigen Problemen auf der Ertragsseite – langsam ein „Gärprozess“ in der Branche beginnen, sich mit alternativen Modellen zu befassen.

Ich glaube, dieser Prozess ist schon im Gange – weniger in Bankhäusern, die weiterhin gut verdienen, als vielmehr bei unabhängigen Vermögensverwaltern. Vor der Einführung von MiFID II haben wir uns drei unabhängige Vermögensverwalter angeschaut. Selbst diese hatten nicht-MiFID-konforme Erlöse zwischen 20 und 40 Prozent. Da schrumpfen die Gewinne ganz ordentlich. Daher reift bei einigen Unternehmenslenkern der Gedanke, aufgrund der gestiegenen Transparenz zur unabhängigen Beratung zu wechseln.

„Beratung oder Produktverkauf?“

Verbraucherschützer fordern immer wieder ein Provisionsverbot. Sind Sie ein Befürworter oder wäre es für Sie eher kontraproduktiv, wenn die Provisionsberatung verboten würde und Sie damit Ihr Alleinstellungsmerkmal verlören?

Vorab möchte ich betonen, dass es heute keine Wettbewerbsgleichheit gibt. Als Kunde weiß ich nicht, ob ich es mit einem abhängigen Produktverkäufer oder einem unabhängigen Berater zu tun habe. Nachdem der Gesetzgeber diese Differenzierung bislang nicht gemacht hat, haben wir keine Wettbewerbsgleichheit. Wir sind seit jeher Fans des Provisionsverbots. In Großbritannien hat man die Erfahrung gemacht, dass der Nutzer trotz der Verpflichtung der Banken zu mehr Transparenz überhaupt nicht validieren konnte, ob die 1.000 Euro, die er bezahlt, viel oder wenig sind. Interessanterweise ging die Initiative zum Provisionsverbot nicht nur von verbraucherorientierten Verbänden aus, sondern auch von der Bankindustrie. Sie hat erkannt, dass es eines harten Schnitts bedurfte, weil in der Bankberatung so viel schiefgelaufen war. Wir freuen uns, wenn das Provisionsverbot kommt. Wir als Spezialist, der seit Jahren unabhängige Beratung anbietet, würden uns sehr wohl fühlen und sicherlich Wettbewerbsvorteile haben. Wir befürchten nicht, dass dann unser Alleinstellungsmerkmal verschwindet, sondern wir wären an der Spitze der Bewegung, da wir seit nunmehr fast zwölf Jahren wissen, wie unabhängige Beratung geht.

Der größte Kritikpunkt ist, dass einige Kunden von der Beratung ausgeschlossen werden und sich die Banken nur noch auf vermögende Kunden konzentrieren. Was würden Sie dem entgegnen und was sind die Lehren aus Großbritannien und den Niederlanden?

In der aktuellen Situation sollte man sich zunächst fragen: „Ist das Beratung oder Produktverkauf? Und hätten wir wirklich eine Mangelversorgung, wenn Letzteres weniger werden würde?“ Meine klare These ist: „Nein, manchmal ist weniger mehr und richtet weniger Schaden an.“ In Großbritannien wurden keine Kunden von der Beratung ausgeschlossen. Es sind neue Modelle entstanden, wie zum Beispiel Online-Plattformen, die denjenigen Kunden einen guten Service bieten, denen nicht so viel Geld zur Verfügung steht. Natürlich muss sich der Markt verändern. Aber die Entwicklungen, die wir in England beobachten, sind positiv. Es gibt weniger Berater, aber mit einer höheren Qualität. Außerdem hat sich die Produktwelt vereinfacht. Wir würden also nicht in eine Mangelversorgung geraten, sondern Dinge unterlassen, die eher zum Schaden des Verbrauchers gereichen.

Haben Robo Advisor das Potenzial, die Befürchtung hinsichtlich einer entstehenden Beratungslücke zu egalisieren?

Definitiv. Ähnliches kann man sich auch gut für Versicherungen vorstellen. Allerdings stehen wir im Robo-Bereich noch ganz am Anfang. Es ist noch viel mehr möglich als das, was wir heute sehen. Bei Quirion stellen wir dem Kunden einige Fragen, um ihm gezielt ein Portfolio entsprechend seiner Risikoneigung zuweisen zu können. Ich denke, dass 85 Prozent der Menschen nicht mehr benötigen. Das Robo-Angebot ist extrem attraktiv für die Geldanlage, da ich zu einem günstigen Preis wissenschaftlich fundierte Portfolien erhalte. Viel mehr braucht der Mensch nicht. Ich selbst investiere auch so.

„Wir bewegen uns in eine provisionsfreie Welt“

Wenn die Industrie mit dem Robo Advisor selbst eine Lösung für die angebliche Beratungslücke geschaffen hat, könnte die Politik doch jetzt ein Provisionsverbot erlassen.

Ich glaube, dass die Politik sich dazu entschlossen hat, im Provisionsbereich keine weiteren Belastungen zu schaffen, nachdem die Regulierungen für die Finanzindustrie ohnehin stark angestiegen sind. Es wurden viele kleine Schritte gemacht, ohne einen radikalen Schnitt zu setzen. Die Politik lässt der Branche dabei allerdings sehr viel Zeit für die Umsetzung. Durch neue Transparenzvorschriften wie MiFID II und durch Initiativen der Branche selbst bewegen wir uns de facto immer weiter in eine provisionsfreie Welt. Und das ist folgerichtig, da Provisionsanreize nicht dazu führen, eine objektive Beratung am Kunden leisten zu können.

„Wir möchten den Deutschen die Angst vor der Aktie nehmen“

Die deutschen „Sparweltmeister“ sitzen auf einem riesigen Vermögen, sind aber sehr zurückhaltend bei der Geldanlage in Aktien. Gilt dies auch für Ihre Zielgruppe?

Wir bewegen uns in Deutschland tatsächlich in einer komischen Welt. Die Durchschnittsverzinsung liegt laut Bundesbank bei 1,5 Prozent. Im Vergleich dazu liegt die Durchschnittsverzinsung bei unseren Kunden bei 6,1 Prozent. Die Deutschen sparen falsch. Wir möchten den Kunden die Angst vor der Aktie nehmen und sie zu einem renditereicheren Sparen bewegen. Auf diesem Weg haben wir in den vergangenen zwölf Jahren schon einiges gelernt.

„Es gibt noch keinen Endkunden-Hype um Robo Advisor“

Können Robo Advisor dabei helfen, die Deutschen an das Thema Geldanlage heranzuführen?

Es gibt noch keinen Endkundenhype um Robo Advisor. Diejenigen Kunden, die heute einen Robo Advisor nutzen, sind in der Regel erfahrene Kunden, die bereits genau wissen, was ein ETF ist, aber gelernt haben, dass die Anlage bei einer Bank oder einem Online-Broker auch nicht immer erfolgreich ist. Trotz alledem – und das macht mir Mut – hatten etwa 20 Prozent der Quirion-Kunden zuvor kein Depot. Nun bekommen sie einen Zugang zum Kapitalmarkt. Ich persönlich glaube, dass es noch drei bis fünf Jahre dauert, um eine größere Anzahl an Menschen dafür zu begeistern.

War das auch der Grund, Anfang des Jahres eine Marketing-Kampagne für Quirion zu starten und ein Werbevideo zu drehen?

Ja, mit dieser Kampagne sprechen wir genau diese Menschen an, für die der Weg zum Kapitalmarkt noch etwas weiter ist. Das Video erzielt zwar seine Wirkung und ermutigt einige Betrachter, Quirion zu nutzen. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Der Markt steht ganz am Anfang. Die Erfolge von Scalable etwa kommen vor allem aus dem B2B, nämlich aus der Kooperation mit der ING-DiBa, die es sehr stark auf der Website und im Online Banking bewirbt. Die Robo-Anlage hat unter anderem deshalb ein großes Potenzial, weil sie transparent ist. Ich weiß, was es kostet, und ich weiß, worin angelegt wird, was bei einem Vermögensverwalter nicht immer der Fall ist.

Sie sind mit Quirion deutlich früher an den Start gegangen als Scalable. In Medienberichten fällt jedoch meistens der Name des Marktführers. Waren Sie zu früh?

Nein, wir waren nicht zu früh. Ich glaube, der Unterschied liegt in den Geldern der Finanzinvestoren – namentlich BlackRock. Wir finanzieren Quirion aus uns selbst heraus, wollen als Gruppe Geld verdienen und haben dadurch eine gewisse Limitation. Unser Produkt ist konzeptionell auf Endkunden ausgerichtet, auch hinsichtlich des Pricings: Die ersten 10.000 Euro sind frei, darüber hinaus fallen 0,48 Prozent per anno an. Die Wettbewerber haben ihre Modelle in der Regel für B2B-Deals gebaut. Da der Endkundenmarkt noch nicht so stark angelaufen ist, wird es noch ein wenig dauern. Ich bin aber überzeugt davon, dass der Markt wächst. Derzeit rangieren wir im Wettbewerb zwischen Rang drei und fünf. Das ist gut, aber wir müssen dranbleiben.

„Wir haben nicht zu entscheiden, was der Kunde möchte“

Können Sie sich vorstellen, Quirion als White-Label-Lösung anderen Banken anzubieten?

Für Gespräche sind wir immer bereit. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass die Marke und unsere Erfahrung als Privatbank im Asset Management eine große Rolle spielen. Wir verstehen uns nicht als reiner White-Label-Anbieter.

Im Werbevideo zu Quirion wird die „digitale Geldanlage ohne Berater“ angepriesen, Ihre Bank hat in den letzten Jahren aber selbst zahlreiche neue Berater eingestellt. Ist das kein Widerspruch?

Nein, denn die DNA ist dieselbe. Wir stehen für unabhängige Beratung und Produktauswahl und wir nehmen keine Kickbacks. Es gibt Kunden, die einen Lotsen suchen, der sie durch den Finanzdschungel führt. Die gehen zu einem Berater. Dann gibt es andere, die das nicht wollen, sondern alles digital vom Sofa aus erledigen möchten. Aber auch diese möchten die richtigen Fragen gestellt bekommen. Wir haben nicht zu entscheiden, was der Kunde möchte. Das entscheidet er selbst.

Das Geschäftsjahr 2017 beschreiben Sie in einer Pressemitteilung als Rekordjahr und begründen das positive Unternehmensergebnis unter anderem mit „gezielten Investitionen in wachstumsrelevante Felder der Bank“. Was bedeutet das konkret?

Für uns geht es in erster Linie darum, neue Kunden zu gewinnen und zu begeistern. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir neue Berater eingestellt. Wir haben 13 Niederlassungen mit insgesamt 80 Beratern. Wir sind dazu bereit, unsere Filialen auszuweiten. Dazu brauchen wir Teams, welche diese Standorte aufbauen können. Wenn ein überzeugendes Team unabhängig beraten möchte, dann gehen wir gerne weiter in die Fläche. Weitere Investitionen waren ein zentrales Kontaktmanagement, wir haben mit Immobilien und Altersvorsorge neue Produkte aufgenommen und uns nicht zuletzt als Privatbank neu positioniert, was mit Werbekampagnen für die Privatbank und für Quirion einherging. Das soll nicht das Ende sein. Wir wollen weiter wachsen und bis 2021 fünf Milliarden Euro echtes Beratungsvolumen erreichen.

„Früher hat es gereicht, Anlagekonzeptverkäufer zu sein“

Sie sprechen Immobilien und Altersvorsorge an. Das deckt noch nicht den Gesamtbedarf. Kann der Kunde bei Ihnen eine Haftpflichtversicherung abschließen?

So weit sind wir heute noch nicht. Wir wollten zunächst weitere Bereiche abdecken, mit denen sich fast alle vermögenden Kunden irgendwann beschäftigen – und dazu gehören Immobilien und Altersvorsorge. Aber Sie haben vollkommen Recht: Einen Berater leiste ich mir nur, wenn er mich wie ein Lotse durch all meine finanziellen Belange manövriert. Die Digitalisierung verändert das Beraterbild. Früher hat es gereicht, Anlagekonzeptverkäufer zu sein. Das funktioniert nicht mehr. Anlagekonzepte kann ich bei einem Robo Advisor für wenige Basispunkte bekommen. Als Berater muss ich einen Mehrwert leisten. Daher war der Weg zur Privatbank für uns so wichtig. Das war nicht nur ein Upgrade, sondern eine Erweiterung unserer Beratungsphilosophie. Wir fügen sukzessive weitere Kompetenzfelder hinzu. Die Haftpflicht gehört heute noch nicht dazu.

Ich bin seit jeher ein großer Verfechter der Gesamtbedarfsberatung und glaube, dass dieses Thema gerade eine Renaissance erlebt. Wenn eine digitale Plattform Antworten auf alle Finanz- und Versicherungsfragen hat, bekommen die Banken ein Problem.

Es wird Kunden geben, die all diese Dinge digital verwalten möchten. Keine Frage. Wenn ein Berater nur noch einen kleinen Ausschnitt abdeckt, dann hat er in zehn Jahren ein Problem.

„Viele denken, dass unser Alltag aus Stundenschreiben besteht“

In welchem Verhältnis stehen die Geschäftsbereiche Privatkunden und Kapitalmarktgeschäft? Ist die Honorarberatung der USP für Ihren Markenauftritt, während das tatsächlich erträgliche Geschäft B2B getätigt wird?

Die beiden Geschäftsbereiche agieren weitgehend unabhängig voneinander. Es gibt gewisse Synergien, wenn beispielsweise ein Unternehmer im Kapitalmarktbereich sein Unternehmen verkauft. Und zu Anfang, also bevor das Privatkundengeschäft profitabel war, wurde es durch das Kapitalmarktgeschäft finanziert. Das war bewusst so gewählt. Aber de facto verdienen wir heute Geld im Privatkundengeschäft und dieses kann ohne das Kapitalmarktgeschäft leben. Wenn die Bank ein gutes Jahr hat, dann hilft uns das Kapitalmarktgeschäft mit seinem Ergebnis. Das Privatkundengeschäft ist jedoch viel konstanter. Dies ist ein weiterer Vorteil einer provisionsfreien Welt. Die Erlöse sind stabiler und planbarer, da wir nicht ständig neue Geschichten erzählen müssen, um Provisionen zu generieren. Noch eine Anmerkung zum Begriff „Honorarberatung“: In der öffentlichen Wahrnehmung steht der erste Wortteil meist im Fokus. Das Honorar ist jedoch nur eine Bezahlform. Uns geht es darum, dass wir unabhängig beraten. Und dazu muss gewährleistet sein, dass wir ausschließlich vom Kunden bezahlt werden. Über 99 Prozent unserer Erlöse stammen aus Modellen, in denen wir einen Eurobetrag oder einen Prozentsatz vom Kunden erhalten – teilweise performanceabhängig, teilweise nicht. Viele Menschen – auch Banker – denken, dass unser Alltag aus Stundenschreiben besteht. Das ist nicht der Fall.