„Wir müssen Tempo gewinnen“

Die NRW.BANK ist die Förderbank des Landes NRW. Die Umsetzung der Transformationsthemen ist zurzeit ihre wichtigste Aufgabe. Wie sie das angehen will und welche Herausforderungen dafür zu überwinden sind, das beschreibt Vorstandsmitglied Claudia Hillenherms im BANKINGNEWS-Interview.


Claudia Hillenherms im Gespräch mit Thorsten Hahn vom BANKINGCLUB

BANKINGNEWS: Frau Hillenherms, seit Juni 2022 gehören Sie dem Vorstand der NRW.BANK an. Wie haben Sie sich eingelebt?

Claudia Hillenherms: Ich bin sehr gut angekommen, was unter anderem an der tollen Kultur und den Kolleginnen und Kollegen in der NRW.BANK liegt. Auch die Vielfalt in Nordrhein-Westfalen, sowohl in Bezug auf die Wirtschaftszweige als auch in Bezug auf die Menschen hier, fasziniert mich. Da ich bei der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen innerhalb der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) 18 Jahre im öffentlich-rechtlichen Bankensektor verbracht habe, ist mir dieses Umfeld sehr vertraut.

Sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Hessen finden wir eine starke Wirtschaft vor, die in beiden Bundesländern vom Mittelstand mitgeprägt wird. Der Mittelstand ist das, was insbesondere im Fokus unseres jeweiligen Förderauftrags liegt, wenn es um die Förderung der Wirtschaft geht.

Was macht den Standort NRW zu einem besonderen?

In Hessen ist der Fokus mit dem Finanzplatz Frankfurt durchaus auch dienstleistungsgetrieben; in Nordrhein-Westfalen haben wir eine der führenden Industrieregionen Europas – mit dem Ziel die erste klimaneutrale Industrieregion zu werden. Vor dem Hintergrund der Energieintensivität haben wir einen hohen Transformationsbedarf, den wir mit unseren Förderinstrumenten besonders gut unterstützen können. Uns liegt daran, den Weg der Transformation gut zu begleiten, denn es ist nicht viel gewonnen, denen zu helfen, die schon fast am Ziel sind, sondern die gut zu begleiten, die sich ehrgeizige Ziele setzen und sich eben erst aufgemacht haben zur Transformation. Gerade in krisenhaften Zeiten sichern die Transformation und Innovation den künftigen Fortbestand.

Neben der Helaba waren Sie ja unter anderem auch beim Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) tätig. Was macht die Aufgabe bei der NRW.BANK im Vergleich dazu aus?

Gerade in heutigen Zeiten sind die Aufgaben einer Förderbank besonders spannend. Weil wir Gutes tun – wir haben einen sehr starken Purpose, nämlich die Menschen in unserem Bundesland zu unterstützen. Dabei stehen die nachhaltige und die digitale Transformation im Mittelpunkt all unserer Aktivitäten. Was die wenigsten wissen: Die NRW.BANK ist eine Bank mit Banklizenz. Wir refinanzieren uns selbst am Kapitalmarkt, sind also weitgehend haushaltsunabhängig. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der NRW.BANK gegenüber ähnlichen Instituten. Wir haben den Vorteil, uns durch unseren Eigentümer im Rücken sehr günstig refinanzieren zu können. Und die generierten Mittel können wir wiederum zu marktüblichen Zinsen anlegen. So können wir dem Kunden besonders günstige Kredite anbieten. Das war für mich übrigens auch neu im Vergleich zur Helaba: die um ein Vielfaches größere Dimension, die größere Vielfalt und die Selbständigkeit der NRW.BANK – auch in der Frage der Erwirtschaftung der Fördermittel.

In welchen Bereichen vergeben Sie denn Fördermittel?

Unsere Förderfelder sind Wirtschaft, Infrastruktur/Kommunen und Wohnraum. Auf diesen Feldern vergeben wir Kredite, Eigenkapital und stellen Beratung zur Verfügung. Weiterhin wickeln wir auch Bundesprogramme ab und verteilen Zuschüsse. Das alles in enger Zusammenarbeit mit unserem Eigentümer, dem Land NRW.

Sie selbst sind ja für Wohnraumförderung zuständig…

Genau, die Wohnraumförderung ist auch eines meiner Herzblutthemen. Wir wickeln die öffentliche Wohnraumförderung des Landes ab, stellen eigene Förderprogramme zur Verfügung und leiten die KfW-Programme für die Sparkassen in NRW durch. An einigen Stellen ergänzen wir auch die Förderung des Bundes durch eigene Förderangebote. In der öffentlichen Wohnraumförderung gehen die wesentlichen Mittel in den Mietneubau beziehungsweise -sanierung. In unseren eigenen Programmen zielen wir eher private Bauherren und -damen an.

Insgesamt haben wir in diesem Förderfeld 2022 2,9 Milliarden Euro vergeben. Im dritten Quartal 2023 waren es schon 1,6 Milliarden Euro – das Gesamtjahresergebnis werden wir im März vorstellen. Daran sieht man: Die Mittel werden aktuell gut nachgefragt. Gerade 2023 haben wir eine Trendwende gesehen. Nicht nur, was die Immobilienpreise angeht, sondern auch in der Wohnraumförderung. Eine ganze Reihe von Unternehmern, die bisher eher hochpreisig gebaut haben, wenden sich jetzt den Fördermöglichkeiten von Land und NRW.BANK zu.

Reicht das denn angesichts der Wohnungsknappheit?

Das grundlegende Problem ist, dass sich die zur Verfügung stehenden Mittel nicht einfach mal eben mit einem Zauberstab in Häuser aus Stein, Beton oder Holz verwandeln lassen. Von der Planung über die Bewilligung bis zur Bauphase und Fertigstellung vergeht einige Zeit. Gleichzeitig gibt es einen großen Bedarf. Das ist ein Riesenproblem. Dagegen müssen wir anbauen, vor allem auch den Bestand sanieren. Vieles genügt den energetischen Standards jetzt oder in absehbarer Zeit nicht mehr, oder wird einfach unbezahlbar, aufgrund der explodierenden Nebenkosten. Hier fehlen aktuell verlässliche Rahmenbedingungen. Was nützt es mir, heute eine Entscheidung zu treffen, was meine Heizung angeht, wenn ich gar nicht weiß, ob ich in zwei Jahren an die Fernwärme angeschlossen bin und einen Anschlusszwang kriege. Darunter leidet die Investitionsbereitschaft. Die Menschen warten ab.

Welche Zielgruppen haben Sie in Sachen Wohnraumförderung im Fokus?

Wir haben sowohl die Wohnungsbauinvestoren als auch alle, die privat erwerben oder bauen wollen, im Blick. Manche Programme hängen von bestimmten Einkommensgrenzen ab. Uns ist eines wichtig: Wir haben für fast jeden Bedarf das passende Produkt. Das gilt generell in unserer Förderung. Im letzten Jahr haben wir unsere Wohnraumprogramme stark angepasst, um sie noch attraktiver zu gestalten. Hier sind wir in der Lage, mehr und auch langfristiger etwas zu unternehmen, beispielsweise wenn es darum geht, Anschlussfinanzierungen sicherzustellen oder Nachhaltigkeit zu fördern. Aber ist das genug? Die bittere Antwort lautet: Momentan ist wahrscheinlich nichts genug. Wir müssen vor allem Tempo gewinnen.

Wo liegen die räumlichen Schwerpunkte der Bautätigkeit?

Nach wie vor besteht großes Interesse an den Ballungsräumen plus den angrenzenden Gebieten, die durch den ÖPNV oder aber auch infrastrukturell so gut erschlossen sind, dass man von dort die Großstädte gut erreichen kann. Das Thema Home-Office hat für Entlastung gesorgt. Menschen, die nicht mehr fünf Tage die Woche im Stau stehen, sind jetzt eher bereit, weiter rauszuziehen. Man sieht das aber noch nicht in den aktuellen Zahlen, weil der Flüchtlingszuzug in die Ballungsräume das überlagert.

Welche Rolle spielt Verdichtung dabei?

Verdichtung bleibt grundsätzlich ein interessantes Thema – allerdings auch ein sehr komplexes. Man kann nicht eben mal irgendwo ein Stockwerk draufsetzen. Und noch mehr urbane Flächen zu versiegeln, können wir uns wegen des Klimawandels gar nicht erlauben. Vielleicht müssen wir hier und da wieder über neue größere Quartiere sprechen – und sie diesmal anders denken als in der Vergangenheit. In Köln-Chorweiler läuft ja aktuell ein vielsprechender Versuch, die Lebensbedingungen zu verbessern. Diese Lösungsmöglichkeiten müssen geschickt kombiniert werden und wir werden mehr innovative Ideen brauchen.

Welche Konsequenzen hat das Karlsruher Urteil zum Bundeshaushalt vom vergangenen Herbst für die NRW.BANK?

Das Urteil betrifft uns zum Glück nicht direkt. Wir wickeln zwar auch Bundesprogramme der KfW-Förderbank ab, aber vor allen Dingen unsere eigenen – mit unserem eigenen Geld. Kurz vor Weihnachten hatte die KfW ein Programm gestoppt, dass wir aktuell durch ein eigenes kompensieren. So können Familien weiter belastbar und verlässlich planen.

Wie bewerten Sie das Potenzial von KI für die NRW.BANK und andere Banken?

Im Massengeschäft mit ständig wiederkehrenden Prozessen liegt unser Schwerpunkt eher auf Automatisierungen. Aber das ist nicht unser Kerngeschäft und wird es auch nicht werden. Aber ich kann Ihnen sagen, wo ich großes Potenzial sehe. Und zwar anhand eines Beispiels aus der Medizin: Hier gibt es ja schon KI, die CT-Aufnahmen oder Röntgenbilder analysiert und vorsortiert. Meine Hoffnung wäre, dass dem Arzt dadurch mehr Zeit bleibt, sich auf die wirklich dringenden Fälle und auf hochwertige Analysetätigkeiten zu konzentrieren. Das wäre generell auch auf die Entscheidungsprozesse in Banken so übertragbar.

Was können Sie mit den vier Buchstaben DORA anfangen?

Grundsätzlich stehe ich, wie viele andere auch, der ausufernden Regulatorik kritisch gegenüber. Bei DORA sehe ich das tatsächlich ein bisschen anders, obwohl es die Banken aufgrund des hohen Personalbedarfs und der damit verbundenen Kosten vor massive Herausforderungen stellt. Ich glaube, dass wir Banken uns – mit oder ohne DORA – auf jeden Fall vor der Kriminalität da draußen schützen müssen. Deswegen ist der Widerstand auch nicht so groß wie bei anderen gesetzgeberischen Projekten in letzter Zeit. Denn unterm Strich hat jedes Institut mindestens davon gehört oder selbst schmerzlich erfahren müssen, dass es da draußen einen kriminellen Markt mit schier unbegrenzten finanziellen Ressourcen gibt, der sich täglich neu erfindet und gewaltigen Schaden anrichtet.

Das gefährdet die Reputation der Banken massiv. Wir pflegen da unter den Förderbanken einen sehr engen Austausch, um dem zu begegnen. Deswegen sage ich über DORA: Es gibt so oder so an dem Thema kein Vorbeikommen. Das ist und wird eine Daueraufgabe für uns bleiben. Das Dilemma ist: Eigentlich liegt unsere Funktion darin, unseren Kunden zu helfen, und nicht unsere IT zu verbarrikadieren.

Wenn wir schon über „ausufernde Regulatorik” sprechen: Kann es ein 2008 nochmal geben? Oder ist die Branche mittlerweile besser aufgestellt?

Ich glaube tatsächlich, dass Banken im Wesentlichen gut aufgestellt sind und aus der großen Krise gelernt haben. Aber auch die Politik ist klüger geworden. Seit 2008 haben die Gesetzgeber vieles unternommen. Damals hatten Banken aus einem gesellschaftlichen Zwang heraus Produkte konstruiert, die das damals gängige Versprechen von grenzenloser Rendite erfüllen sollten. Da ist man heute etwas vorsichtiger unterwegs. Als Bankvorstand hat man ein Gespür dafür, welche Produkte man anbieten kann und von welchen man besser ablässt – meistens jedenfalls.

Was schätzen Ihre Mitarbeiter an der NRW.BANK?

Unsere Mitarbeitenden sind in der Regel lange und auch gerne bei uns, weil sie unser gutes Miteinander schätzen, sich an unseren Standorten wohlfühlen und wir gute Rahmenbedingungen bieten. Dazu gehört an erster Stelle der klare „Purpose, gepaart mit interessanten Aufgaben. Wir sind „die guten Banker“. Und wir bieten sehr gute Benefits, wie betriebliche Altersvorsorge, flexible Arbeitszeiten und am Ende auch scheinbar profane Dinge, wie ein sehr gutes Essen in den Betriebsrestaurants. Dafür kommen manche sogar extra aus dem Home-Office rein. Unser positives Image spiegelt sich auch auf Plattformen wie Kununu wider. Es gibt sehr viele Weiterempfehlungen durch unsere Mitarbeitenden. Damit sind wir am Arbeitsmarkt im Moment noch sehr erfolgreich.

Und in Zukunft?

Natürlich wird es auf lange Sicht schwieriger, weil der Arbeitsmarkt immer überschaubarer wird. Als ich 1993 zum Berufsstart einen Job suchte, war ich bei weitem nicht die Einzige, aber der Markt ändert sich: 30 Prozent unserer Belegschaft wird in den nächsten zehn Jahren das Haus verlassen. Darum müssen wir schauen, dass wir das wenigstens annähernd kompensieren. Vielleicht können wir mit KI und Automatisierung einige Lücken schließen, aber es wäre völlig absurd zu glauben, dass das ausreicht. Die Aufgaben werden schließlich nicht weniger.

Interview: Thorsten Hahn

Claudia Hillenherms

Vorständin bei der NRW.Bank


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