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„Ich persönlich sehe keine Tendenz zur Deregulierung“

Dr. Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, spricht im Interview mit Thorsten Hahn und Thomas Friedenberger über Regulierung, Banken-Champions, Bargeldnutzung, Blockchain – und wie „sozial“ seine Rolle als Staatssekretär noch ist.


BANKINGNEWS: Herr Kukies, bei Ihnen ging der Weg vom regulierten Banker zum Regulierer. Wie fühlte sich das an?

Jörg Kukies: Gut, es war ein sehr interessanter Weg. Ich habe wahnsinnig viel gelernt und wir haben ja auch einiges erreicht in den letzten Jahren.

Ist „Insiderwissen“ aus der Finanzbranche gut für die Politik, weil Sie ein anderes Verständnis für Banken haben? Auf jeder Bankentagung wird ja nach Regulierung gefragt und alle wollen weniger davon …

Ich persönlich sehe keine Tendenz zur Deregulierung. Ich glaube, auch in der Bankenwelt ist mittlerweile anerkannt, dass eine deutlich erhöhte Regulierung als Antwort auf die Finanzmarktkrise erforderlich war. Ich sehe eher die Notwendigkeit, zu überprüfen, ob alles auch zielsicher war, was man sich ausgedacht hat und das tun wir bereits aktiv.

Der Staat sollte nicht vorschreiben, wie bezahlt werden darf.

Sind wir in Deutschland und Europa nicht ins Hintertreffen geraten zu amerikanischen Banken, wo das Regulierungsthermometer etwas abgekühlt ist?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Die USA haben nach der Finanzkrise in vielen Bereichen noch weitgehendere Vorschriften erlassen. Von denen werden jetzt einige, je nach Größe der Bank, teilweise relativiert. Aber was vorhergesagt wurde, nämlich dass
eine Deregulierungswelle unter Präsident Trump die US-Bankenlandschaft durchwehen wird, hat es in der Form nicht gegeben.

Auf unseren Risikomanagement-Kongressen stellen wir immer die Frage, ob wir in Deutschland jetzt krisenfest sind. Was sagen Sie?

Es ist da schon einiges vorangekommen, es kann aber immer noch besser werden. Die Ertragskraft der Banken in Deutschland ist natürlich nicht so stark, wie sie sein könnte. Wenn man sich die normale Maßgröße von Eigenkapitalrendite anschaut, dann kann man schon sagen, dass im Schnitt die Kapitalkosten von den Banken nicht verdient werden – und das ist selbstverständlich eine Herausforderung. Allerdings können wir sehen, dass die notwendigen Aufgaben in jeder der drei Säulen des deutschen Bankensystems deutlich angegangen werden. Es wird bei den Sparkassen und im genossenschaftlichen Sektor immer davon geredet, dass es keine Konsolidierung gibt. Aber der genossenschaftliche Sektor hat auf der Zentralinstitutsebene vollständig konsolidiert und konsolidiert auf der Ebene der Primärbanken auch sehr eifrig. Und die Zahl der Sparkassen und Landesbanken hat sich seit der Bankenkrise auch deutlich reduziert.

Eine große Fusion ist 2019 gescheitert. Damit haben wir auch nicht den großen Banken-Champion, den wir in Deutschland vielleicht brauchen. Ist da Wehmut bei Ihnen?

Wir haben im Finanzministerium immer bewusst davon gesprochen, dass wir starke Banken brauchen, aber im Plural. Die Entscheidung der beiden Institute haben wir zur Kenntnis genommen. Das ist eine rein betriebswirtschaftliche Entscheidung und das haben wir auch immer wieder betont.

In Deutschland werden Kapitalkosten von den Banken nicht verdient.

Was den Beitrag der Banken zum Bruttoinlandsprodukt angeht, könnte man aus politischer Sicht ja sagen, sie sind uninteressant. Aber müssen die Banken vielleicht gar nicht so viel Geld „verdienen“, weil sie den Auftrag haben, realwirtschaftliche Zahlungsströme abzubilden oder die Kreditversorgung zu gewährleisten?

Wir messen den Erfolg von Finanzmarktpolitik nicht an der Ertragskraft von Banken als rein betriebswirtschaftliche Größe. Das ist eine Optimierung, für die die Banken schon selbst sorgen müssen. Wir haben andere Bestimmungsfaktoren, etwa Finanzmarktstabilität. Das ist für uns das Thema, das weit oben steht. Natürlich ist die Fähigkeit von Banken, ihre Kapitalkosten zu verdienen, auch eine wichtige Komponente der Finanzmarktstabilität – das ist aber nur eine von vielen. Und aus meiner Sicht ist ein großes Hindernis, dass einlagenstarke Banken in Deutschland keinen regulatorischen Rahmen vorfinden, der es ihnen erlaubt, paneuropäische Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das ist ein großes Defizit Europas. Das sagen auch die französischen, niederländischen, spanischen und italienischen Banken.

Müssten wir da nicht eine große europäische Bank haben, bei der wir in Deutschland über eine Fusion vielleicht den Fuß mit in der Tür haben?

Wir brauchen jetzt dringend einen Binnenmarkt für Bankdienstleistungen, der die Voraussetzung schafft, dass grenzüberschreitende Geschäftsmodelle erfolgreich werden können. Ob sie über Fusionen oder organisches Wachstum hergestellt werden, das ist dann wieder die betriebswirtschaftliche Entscheidung. Aber im Moment ist ein Wettbewerbsnachteil Europas, dass wir Finanzierungen immer noch überwiegend nationalstaatlich organisieren und nicht paneuropäisch. Das ist ein massives Defizit der europäischen Volkswirtschaft gegenüber der amerikanischen oder chinesischen. Da müssen wir vorankommen.

Sie haben sich schon als Investmentbanker bei Goldman Sachs für Finanzmarktregulierung interessiert. Was kann Europa bei dem Thema von Amerika lernen?

Wenn man in Amerika 20 oder 30 Jahre zurückgeht, dann war damals der amerikanische Bankenmarkt gar nicht so anders. In den USA gab es zum Beispiel auch große Restriktionen, zwischenstaatliches Finanzierungsgeschäft, etwa zwischen Texas und Wisconsin, zu betreiben. Als diese Grenzen aufgehoben wurden, hatte das positive Wachstumseffekte auf die amerikanische Volkswirtschaft. Ich glaube, wir können einiges lernen von dem, wie es die Vereinigten Staaten von Amerika geschafft haben, einen einheitlichen Finanzierungsmarkt zu schaffen, der durchaus positive Wirkungen auf Beschäftigungen, Arbeitsplatzwachstum und Produktivität hatte. Finanzierung ist eine zentrale volkswirtschaftliche Größe – das wird oft ignoriert.

Der Begriff Fintech hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Dort steht, dass Sie den Fintech-Standort stärken wollen. Was passiert da konkret?

Wir haben viele Aktivitäten entfaltet, etwa über Direktinvestitionen mit der KfW Capital. Wir arbeiten eng mit der Europäischen Investitionsbank zusammen, die über ihre Tochter EIF sehr aktiv in Deutschland ist. Das heißt, wir haben den öffentlichen Sektor als Finanzier von Start-ups und Technologiefirmen stark ausgebaut und einen Beschluss in der Koalition gefasst, dass wir einen Beteiligungsfonds von bis zu zehn Milliarden Euro ins Leben rufen, der in digitale Ideen und Umwelttechnologie investieren wird – eine Größenordnung, die sehr respektabel ist.

Es passiert enorm viel im Fintech-Bereich in Deutschland

Können wir mit mehr als 800 Fintech-Start-ups in Deutschland Technologieführerschaft gewinnen oder sind wir da auch schon wieder abgeschlagen?

Halt, wir sind alles andere als abgeschlagen. In allen Rankings von Fintech-Metropolen ist Berlin ganz weit oben. Und wir haben vielversprechende Geschäftsmodelle in Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, München, Leipzig, im Rheinland und vielen anderen Regionen. Wir haben einige Einhörner, also Start-ups mit einer Bewertung von über einer Milliarde Euro. Ich würde sagen, dass im Fintech-Bereich in Deutschland enorm viel passiert.

Kryptowährung und Token stehen auch im Koalitionsvertrag, da soll ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen werden. Wie weit sind Sie?

Leider gab es im Bereich Krypto-Währungen einige Marktteilnehmer, die mit großer krimineller Energie betrogen haben. Die müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpft werden und werden das in Deutschland auch. Wir haben mit dem Geldwäschegesetz einen klaren Rechtsrahmen geschaffen, um die ernsthaften Marktbetreiber abzugrenzen von denen, die kein seriöses Geschäftsmodell betreiben. Dieser Kurs muss weitergefahren werden. Die ersten Neuansiedlungen als Folge unseres neuen Regelwerks haben wir schon gesehen. Was wir auch tun wollen, ist zu versuchen, über Tokenisierung und Digitalisierung von Wertrechten Innovationen zu fördern, auch Blockchain und Distributed- Ledger-Technologie. Und wir wollen für faire Wettbewerbsbedingungen in der Plattformökonomie sorgen. Da hat der Bundestag eine weitreichende Entscheidung getroffen.

Große Plattform-Konzerne können die Finanzmarktstabilität gefährden.

Wie wollen Sie das fördern?

Einer der Punkte, über den wir uns Gedanken machen, ist die Frage, ob die Innovationskraft der großen Plattformkonzerne zum Innovationshemmnis durch überwältigende Marktmacht wird. Der Bundestag hat, auch mit unserer Unterstützung, entschieden, dass Plattformbetreiber ihre Schnittstellen öffnen müssen. Dies sorgt für ein „level playing field“ und das brauchen wir auch. Die großen Plattformkonzerne können die Finanzmarktstabilität gefährden, wenn sie nicht richtig reguliert werden. Und marktwirtschaftliche Kräfte, die für Wettbewerb sorgen, können durch die große Marktmacht der Plattformunternehmen möglicherweise sogar gehindert werden. Ich glaube, es ist sehr gut, dass sich Regulierer Gedanken machen, wie wir eine faire Wettbewerbssituation herstellen können. Das Prinzip „Same business, same risk, same regulation“ muss gerade für die Plattformkonzerne gelten.

Kommen wir zum Thema Bargeld: In anderen Ländern, wo die Bargeldnutzung noch höher ist als in Deutschland, ist man eher distanziert beim Thema zentrales Digitalbankgeld. Aber müsste man das nicht diskutieren beim schwindenden Bargeldumsatz?

Es ist völlig okay, wenn Verbraucher entscheiden, dass sie digital bezahlen wollen. Der Staat sollte nicht vorschreiben, wie bezahlt werden darf, oder gar das Bargeld infrage stellen. Das steht überhaupt nicht zur Diskussion und sollte auch nicht zur Diskussion stehen. Aber dass mehr und mehr Menschen ihre Konsumgewohnheiten ändern und mehr digital, mehr mit Karte und mobil bezahlen, das ist eine freie Entscheidung jedes Einzelnen. Was wir aber tun müssen, ist dort die Vorschriften zur Identifizierung erhöhen, wo Bargeld nach unserer „Nationalen Risikoanalyse zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ überproportional für kriminelle Aktivitäten eingesetzt wird. Das haben wir mit der Novellierung der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie getan und zum Beispiel die Pflicht zur geldwäscherechtlichen Identifizierung bei Goldkäufen von 10.000 auf 2.000 Euro heruntergesetzt.

Sozialer Ausgleich liegt mir am Herzen.

Was wollen Sie damit erreichen?

Wir wollen, dass sich jemand in einem Bereich, der als Verwundbarkeit für die Bundesrepublik Deutschland analysiert wurde, ab einer niedrigeren Schwelle identifizieren muss, wenn er Gold bar bezahlt. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir fördern im Bereich des Zahlungsverkehrs aktiv Innovationen. Die Blockchain-Strategie der Bundesregierung zeigt, dass wir den Trend, dass sich der Finanzmarkt digitalisiert, positiv begleiten und natürlich ist die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs ein Teil davon. Das wollen wir mit Förderung, Investitionen und dem richtigen gesetzlichen Rahmenwerk unterstützen. Da ist das Finanzministerium bei der Blockchain Strategie der Bundesregierung sehr aktiv, gerade im Gesetzgebungsprozess.

Sie hatten vor Ihrer Karriere als Investmentbanker auch eine politische Karriere, Sie waren Juso-Chef. Wie sozial ist Ihre Rolle als Staatssekretär noch?

Sozialer Ausgleich liegt mir am Herzen und das bringe ich bei meiner Arbeit ein. Ich mache mich für den Verbraucherschutz stark. Wir haben da wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht, etwa bei der „Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes“, wo wir bis auf die Frage des Provisionsdeckels fast alle Maßnahmen durchhaben. Und wir drängen auch beim Grauen Kapitalmarkt auf einen besseren Verbraucherschutz. Dort ist es in einigen Fällen zu großen Schäden gekommen, Kleinanleger wurden um ihre Ersparnisse gebracht. Das Thema Verbraucherschutz und der Zugang zu fairen Kapitalmarkt-Produkten gehört für mich absolut zur Kernkompetenz. Ich bin im Finanzministerium ja auch für die EU-Themen zuständig. Da tragen wir gerade während unserer Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr eine besonders große Verantwortung. Nur ein einiges, wettbewerbsfähiges und solidarisches Europa ist auch ein starkes Europa.

Interview: Thorsten Hahn, Thomas Friedenberger