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EZB leitet Zinswende ein

Die EZB kündigt an, ihre Anleihekaufprogramme zum Juli zu beenden und den Leitzins erstmals seit über einem Jahrzehnt zu erhöhen. Damit reagiert die Zentralbank auf die Inflationsdynamik im Euroraum und folgt dem Kurs der amerikanischen und britischen Notenbank.


EZB, Zinswende

Viele Indikatoren wie die stark gestiegene Verzinsung von Staatsanleihen deuteten bereits darauf hin, dass die Europäische Zentralbank (EZB) einen baldigen Kurswechsel vollzieht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde konkretisierte die von Experten erwartete Zinswende und kündigte an, die Leitzinsen in zwei Schritten zu erhöhen. Ab Juli ist demnach eine Steigerung von 25 Basispunkten vorgesehen. Die zweite Anhebung im September könnte mit bis zu 50 Basispunkten noch deutlicher ausfallen. 

Im Rahmen der geldpolitischen Beschlüsse der Zentralbank wurde ebenfalls das Ende der beiden Kaufprogramme APP und PEPP verkündet. Sowohl der Ankauf von Vermögenswerten im Rahmen des APP als auch der Erwerb von Anleihen im Zuge des Pandemie-Programms PEPP werden zum Datum der Zinserhöhung eingestellt. Angaben zu möglichen Ersatzprogrammen, die der Entlastung der europäischen Mitgliedsstaaten dienen, wurden nicht gemacht. 

Kritische Stimmen 

Von zentralem Interesse argumentierte die EZB-Chefin auf der Pressekonferenz, sei es, gegen die stark ausgeprägte Inflation vorzugehen. Zwar könne das Ziel, Preissteigerungen im Euroraum auf zwei Prozent zu begrenzen, dieses Jahr nicht eingehalten werden. Spätestens ab 2024 rechne die EZB aber wieder mit einem moderaten Wert von 2,4 Prozent. Dabei betonte sie, dass der EZB-Rat seine Entscheidung einstimmig getroffen habe. Mit dieser Demonstration der Geschlossenheit wandte sich Lagarde auch gegen Kritik von außen. 

Sowohl aus der deutschen Wirtschaft als auch der Finanzbranche wurden Stimmen laut, die den obersten Währungshütern vorwerfen, nicht entschieden genug gegen die Geldentwertung vorzugehen. Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes Dr. Christian Ossig sagte etwa “Das fundamental geänderte Preisumfeld rechtfertigt einen negativen Leitzins bis in den Herbst hinein nicht mehr”. Er empfiehlt daher, die Leitzinsen schon im Juli um 50 Basispunkte zu erhöhen. 

Ähnlich sieht es der Chefökonom der Commerzbank Jörg Krämer. Er befürchtet, dass sich die Inflation infolge der Zurückhaltung dauerhaft auf einem hohen Wert festsetzen könnte. Einen anderen Aspekt bemängelt hingegen Prof. Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er vertritt den Standpunkt, dass insbesondere das Ende der Wertpapierankäufe drei Monate zu spät kommt. Grundsätzlich befürworten aber auch die Kritiker der EZB die nun eingeleitete Zinswende. 

Dynamische Risiken 

Aus Sicht der Zentralbank stellt sich die Problematik jedoch insgesamt komplexer dar. Im Gegensatz zu ihren Pendants in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, die wesentlich schneller auf die Inflation reagierten, muss die EZB nicht nur eine Abwägung zwischen Preisstabilität und Konjunkturentwicklung treffen. Sie trägt zudem Verantwortung dafür, dass die stark variierenden wirtschaftlichen Voraussetzungen unter den EU-Mitgliedsstaaten nicht zum Bumerang für die Gemeinschaft werden. 

Während die nördlichen Mitgliedsstaaten eine eher niedrige Staatsverschuldung aufweisen, fällt der finanzielle Spielraum für die südlichen Länder deutlich enger aus. Eine zu rasche Anhebung des Leitzinses würde in der Folge nicht nur Einzelstaaten in Bedrängnis bringen, sondern auch die jahrelange Praxis des Anleihekaufs konterkarieren. In diesem Zusammenhang ist speziell die Situation Italiens ein hervorzuhebender Faktor: 

Durch die Kombination aus hoher Schuldenquote von 150 Prozent des BIP und hohem Anteil an den Anleihekaufprogrammen der EZB begrenzt die drittgrößte Volkswirtschaft der EU mögliche Zinsanhebungen des Binnenmarkts. Bereits die gemäßigte Ankündigung der Zinswende führte im Verlauf desselben Tags zu einer spürbaren Renditesteigerung bei 10-jährigen italienischen Staatsanleihen von 3,4 auf 3,7 Prozent. 

Wird die Gesamtheit aller Interessen betrachtet, handelt die EZB mit Bedacht. Sie setzt auf Kontinuität und versucht damit größere Schwankungen und Risiken zu vermeiden. EU-Bürger müssen sich aber umgekehrt darauf einstellen, dass die Inflation kurz- bis mittelfristig auf einem hohen Niveau bleibt. 

TIPP: Sie möchten mehr zum Thema Zinswende lesen? Hier können Sie sich über die Beschlüsse der EZB im März informieren. Oder interessieren Sie sich für weitere Kurznachrichten? Hier finden sie aktuelle Nachrichten aus der Finanzbranche.