„Immer, wenn jemand ein anhaltend untypisches Verhalten zeigt, sollte genauer hingeschaut werden“

Über psychische Erkrankungen wird zu wenig gesprochen. Das gilt sowohl gesamtgesellschaftlich als auch für die Finanzbranche. Janina Blume, Gesundheitsmanagerin in der Sparda-Bank Berlin, beschreibt, warum sich das so schnell wie möglich ändern sollte und wie die Bank die psychische Gesundheit von Mitarbeitern gezielt in den Fokus rückt.


Psychische Gesundheit von mitarbeitern in banken, Gesundheitsmanagement in banken

BANKINGNEWS: Vor welchen Herausforderungen stehen Arbeitnehmer in der modernen Arbeitswelt? Welche Auswirkungen hat dies gerade auf die psychische Gesundheit?
Janina Blume: Die Arbeitswelt befindet sich an vielen Stellen im Umbruch. Das bringt viele Chancen mit sich, allerdings fällt dadurch auch ein Bezugsrahmen weg, der Sicherheit gegeben hat. Wenn beispielsweise primär von zu Hause gearbeitet wird, fehlt die spontane soziale Unterstützung durch die Kollegen. Wenn (zu Recht) hierarchische Strukturen aufgebrochen werden, fordert das vom Einzelnen deutlich mehr Eigenverantwortung. In der Sparda-Berlin gibt es zum Beispiel ab November keine Zentrale mit festen Arbeitsplätzen mehr. Stattdessen kann man sich in kleineren Coworking-Einheiten einbuchen und verabreden. Jedes Team legt dann selber fest, wann und wie häufig es sich noch „live“ austauschen möchte. Der Umgang mit diesen Veränderungen ist natürlich sehr unterschiedlich und hängt stark von persönlichen Präferenzen und Lebensphasen ab. Vor allem Familien mit kleinen Kindern freuen sich über die gewonnene Flexibilität. Alleinstehende oder ältere Kollegen vermissen vielleicht eher den täglichen persönlichen Austausch. Ich gehe davon aus, dass sich in Bezug auf den Arbeitsort hybride Modelle durchsetzen werden, so wie es sich auch unsere Mitarbeitenden explizit wünschen.

Wie bewerten Sie den Umgang mit psychischen Erkrankungen in der Arbeitswelt? Bemerken Sie, dass hier ein Umdenken stattfindet?
Ja, aus meiner Sicht hat sich hier in den letzten zehn bis 15 Jahren viel getan. Das Bewusstsein und auch die Akzeptanz psychischer Erkrankungen sind gestiegen. Früher wurde das Thema gerne belächelt, das Tabu war einfach noch viel größer. Heute wird die Problematik ernstgenommen und als Risikofaktor für die Produktivität verstanden. Dieser Effekt hat sich durch die Pandemie verstärkt, da alle harte Jahre erlebt haben, die nicht spurlos an uns vorbeigegangen sind. Nichtsdestotrotz hatten wir das Problem auch vor der Pandemie schon. Ich glaube und hoffe, dass heutige Generationen schon mit einem anderen Verständnis für psychische Gesundheit aufwachsen. Heute sprechen auch viele Prominente öffentlich über ihre Erkrankung. Das war vor nicht allzu langer Zeit noch eine absolute Seltenheit.

Welche sind häufige psychische Erkrankungen in einer Bank? Gibt es hier Unterschiede zwischen Führungskräften und Mitarbeitern?
Dazu gibt es meines Wissens keine Zahlen. Ich gehe davon aus, dass sich hier das Bild der Gesamtbevölkerung spiegelt und da stehen Angststörungen sowie Depressionen ganz oben auf der Liste, Suchterkrankungen belegen Platz 3. Das vielbesprochene „Burn-out-Syndrom“ ist übrigens keine eigene Diagnose, die Betroffenen leiden in der Regel an einer Depression. Wichtiger als die Frage, welche Diagnose im Einzelfall vorliegt, ist es meiner Einschätzung nach, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welchen Risikofaktoren Mitarbeitende von Banken ausgesetzt sind. Zum einen denke ich hier an den Vertriebsdruck und den Dienstleistungscharakter in der Beratung und im Service. Zum anderen stellt sich in der Finanzbranche derzeit besonders die Frage nach der Daseinsberechtigung und der Existenz. Wird es Banken in der jetzigen Form in zehn Jahren noch geben? Was bedeutet das für mich persönlich? Das sind Fragen, die die Menschen bewegen. Auch wenn an den Rahmenbedingungen oft nichts zu ändern ist, macht es doch einen großen Unterschied, wie mit diesen Themen und Herausforderungen umgegangen wird. Ob die Themen zum Beispiel offen angesprochen werden dürfen oder unter den Teppich gekehrt werden oder ob Raum ist für Emotionen und deren Verarbeitung oder einfach weitergemacht wird.

Gibt es so etwas wie „Frühwarnsignale“, auf die Führungskräfte und Kollegen achten können?
Auf jeden Fall. Als Faustregel kann man sich merken: Immer, wenn jemand ein anhaltend untypisches Verhalten zeigt, sollte genauer hingeschaut werden. Und zwar auf den Ebenen Sozialverhalten, Arbeitsverhalten, Stimmung und Auftreten. Diese können sich unterschiedlich zeigen. Ist ein sonst geselliger Kollege plötzlich auffällig zurückhaltend und distanziert sich vom Team? Hat die Kollegin plötzlich häufige Fehlzeiten oder macht mehr Fehler als gewohnt? Wirkt jemand dauerhaft bedrückt, der normalerweise eher optimistisch auf die Dinge schaute? Diese Fragen können hilfreich sein, die drei Ebenen auf Auffälligkeiten zu überprüfen.

Wie sieht der Umgang mit dem Thema psychische Gesundheit konkret in der Sparda-Bank Berlin aus?
Wir haben das Thema psychische Gesundheit zum Schwerpunktthema unseres Gesundheitsmanagements gemacht. Seit letztem Jahr bilden wir in Kooperation mit dem Programm Mental Health First Aid Botschafter für das Thema psychische Gesundheit aus. Die Botschafter lernen, wie sie psychische Belastung in ihrem Umfeld erkennen und wie sie ganz konkret Kollegen auf diese Belastung ansprechen können. Ziel ist, diese Kollegen möglichst schnell in eine professionelle Beratung weiterzuleiten. Denn hier liegt ein großes Problem: die meisten Betroffenen suchen sich relativ spät Hilfe. Dadurch ist die Krankheit meist schon fortgeschritten und die Behandlung umso aufwändiger. Bis Ende des Jahres werden wir rund 100 Mitarbeitende zu Botschaftern ausgebildet haben.

Gibt es weitere Maßnahmen in diesem Bereich?
Ja, denn wir haben außerdem eine externe Sozialberatung, an die sich jeder Mitarbeitende niedrigschwellig und anonym wenden kann. Wir als Arbeitgeber erhalten natürlich keine Information darüber. Da die durchschnittliche Wartezeit für einen Psychotherapieplatz bei mehreren Monaten liegt, kann das ein Segen sein. Denn hier  kann ein Betroffener schnell eine erste Beratung bekommen und wird mit seinem Thema erstmal aufgefangen. Seit diesem Jahr kann außerdem jeder Mitarbeitende an einem acht-wöchigen Programm zur Achtsamkeitsmeditation teilnehmen. Das Programm Mindfulness Based Stress Reduction ist wissenschaftlich fundiert und anerkannt, um Stress entgegenzuwirken oder präventiv Stressresilienz aufzubauen.

Seit wann engagiert sich die Bank in diesem Bereich konkret und welche Veränderungen konnten Sie seitdem feststellen?
Das Thema spielt schon lange eine Rolle, aber deutlich ausgebaut wird es seit 2019. In der Regel erhalten wir sehr positives Feedback aus der Belegschaft hierzu. Gerade im Einzelgespräch stelle ich fest, welchen Mehrwert einzelne Maßnahmen bringen. Das wirkt sich neben der Verbesserung der Gesundheit auch positiv auf die  Arbeitnehmerzufriedenheit und damit das Image als Arbeitgeber aus.

Welche Maßnahmen planen Sie für das Gesundheitsmanagement der Sparda-Bank Berlin in Zukunft?
Momentan beschäftigt uns besonders die Frage nach unseren Rahmenbedingungen und wie sich diese auf die Gesundheit der Mitarbeitenden auswirken. Da sich hier einiges tut, wie etwa die Auflösung der Zentrale und verstärktes digitales Arbeiten, möchten wir unsere Belegschaft demnächst konkret zu diesem Thema befragen. Denn die beschriebenen Maßnahmen sind das eine, genauso wichtig ist es aber, immer wieder auf das System zu schauen und zu prüfen, wo Fallstricke liegen könnten.

Interview: Laura Kracht

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