BANKINGNEWS: Sie sind seit 2016 Vorstand für Firmenkunden bei der TARGOBANK, welche auf eine fast hundertjährige Historie zurückblickt. Was von der ursprünglichen DNA ist noch in Ihrer Bank enthalten?
Berthold Rüsing: Ich bin seit Anfang 1997 dabei, das heißt, ich habe beide Eigentümer miterlebt – Citibank genauso wie Crédit Mutuel Alliance Fédérale. Die DNA des Unternehmens ist noch immer vorhanden und entwickelte sich mit dem neuen Eigentümer weiter, weil neue Perspektiven hinzukamen. Ich stelle aber immer noch diesen ganz besonderen Spirit fest – eine Art Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt und Identifikation mit dem Unternehmen. Zudem ist mir schon zu Beginn der hier herrschende Pragmatismus und die Lösungsorientierung aufgefallen. Das hat vielleicht auch ein bisschen was mit der Unternehmensgröße zu tun. Es sind keine 70.000 Leute, über die wir reden, sondern gut 7.000. Und wir haben hier mit 80 verschiedenen Nationalitäten eine diverse Gruppe von Menschen. Unsere DNA, verbunden mit den Impulsen unserer neuen Muttergesellschaft – das hat unser Geschäftsmodell vorangebracht. Das hat geholfen, die Bank in die Richtung zu entwickeln, in der sie heute ist.
Was ganz entscheidend ist: Wir haben Zeit. Und diese nutzen wir für eine langfristige Entwicklung.
Sie befinden sich gerade in einem Transformationsprozess. Wie kam es zu dem Schluss, sich zur Universalbank weiterzuentwickeln?
Das Modell der Universalbank ist in Frankreich sehr gängig und erfolgreich. Und wenn wir auf unsere Muttergesellschaft schauen, ist sie mit Sicherheit das Vorbild gewesen, dieses Modell nach Deutschland zu transportieren. Was auch ein Unterschied ist zu dem ein oder anderen Wettbewerber: Wir schauen eher langfristig, das bringt der Eigentümer auch mit sich, anders als es vielleicht noch in der Vergangenheit war. Es geht um die Frage, wie wir wachsen und langfristig erfolgreich sein können. Wir bewegen uns von einem relativ fokussierten Geschäftsmodell, was das Produktangebot und das Kundensegment angeht, in Richtung Universalbank, die beides deutlich erweitert: Einerseits die Kundensegmente, also die Zielgruppe, und andererseits die Angebote. Das beste Beispiel ist das Firmenkundengeschäft, was ja ein völlig neues Kundensegment und -angebot mit sich bringt.
Was zeichnet das Firmenkundengeschäft aus?
Wir beobachten, dass viele europäische und zuletzt auch amerikanische Wettbewerber in den Markt einsteigen. Das heißt, der Markt muss von außen betrachtet attraktiver sein als das, was man häufig über ihn hört. Gleichzeitig ist er aber eben auch umkämpft. Wir wollen im Firmenkundengeschäft wachsen und stehen da natürlich im Wettbewerb, vor allem mit den etablierten Instituten in Deutschland. Eine entscheidende Frage dabei ist: Muss ich innerhalb von zwei Jahren einen Marktanteil X haben und jedes Quartal an den Kapitalmärkten Erfolge verzeichnen, oder habe ich einfach ein bisschen mehr Zeit, sowas mittel- und langfristig aufzubauen? Ich glaube, da ist der Hauptunterschied, wenn ich auf uns schaue.
Würde man einen Mittelständler fragen, wer die etablierten Player im Mittelkundengeschäft sind, dann würden die wahrscheinlich noch nicht auf die TARGOBANK kommen, oder?
Die großen Player mit den größeren Marktanteilen werden zweifelsohne deutlich häufiger genannt. Da muss man aber ein bisschen differenzieren. Wenn wir zum Beispiel über das Factoring-Geschäft reden, das wir 2016 akquiriert haben, sind wir mit einem signifikanten Marktanteil einer der beiden Marktführer in Deutschland. Wenn wir über die Investitionsfinanzierung reden, dann haben wir einen kleinen einstelligen Marktanteil. Was ganz entscheidend ist: Wir haben Zeit. Und diese nutzen wir für eine unsere mittel- und langfristige Entwicklung. Wir machen eine Fünf-Jahresplanung und unsere Muttergesellschaft gibt uns die Möglichkeit, das, was hier verdient wird, zu reinvestieren. Wir müssen für die nächsten vier Jahre keine Gewinne abführen, sondern können das nutzen, um das Geschäftsmodell in Richtung Universalbank zu entwickeln. Das zeigt ein hohes Vertrauen, aber auch, dass ein klarer Plan dahintersteht. Und das ist wichtig.
Was sind die Investitionspfade?
Das sind in erster Linie neue Produkte und teilweise neue Geschäftsfelder. Die Wohnimmobilien-Finanzierung ist zum Beispiel ein großes Thema auf der Retail-Seite. Das haben wir bisher nicht gemacht. Das heißt natürlich auch, dass wir da wirklich von Grund auf etwas Neues aufbauen müssen. Wir sprechen hier von einem großen Schritt, der nicht in einem Jahr erledigt ist. Ebenfalls arbeiten wir auf der Retail-Seite für die Geldanlage zum Beispiel an einem Neobroker. Auch das muss erst auf- und ausgebaut werden. Das sind Beispiele für große Themen, die neben anderen kleineren Veränderungen von null starten und einen langen Atem brauchen.
Wir müssen bis 2027 keine Gewinne abführen, sondern können das nutzen, um das Geschäftsmodell in Richtung Universalbank zu entwickeln.
Heißt das, dass Sie das Geschäftsmodell in Deutschland in Richtung des französischen entwickeln?
Ja, das geht definitiv in die Richtung und wir werden sehen, wie weit wir gehen. Denn der französische Markt ist in der Hinsicht schon länger unterwegs und anders entwickelt – die Produktvielfalt ist immens. Im Bereich der Investitionsentscheidungen, sei es für ein Auto oder ein Haus, stellt sich immer die Frage, was aus Kundensicht eigentlich alles dazugehört. Dadurch ist das Produktangebot in Frankreich allgemein und auch bei unserer Muttergesellschaft viel größer als das, was man in Deutschland gemeinhin sieht.
Im Privatkundengeschäft ist die Digitalisierung schon relativ weit, im Firmenkundengeschäft weniger – stimmen Sie zu?
Ich glaube, wenn man digital oder innovativ im Sinne von automatisiert versteht, dann gibt es diese zwei Welten. Einer der Gründe dafür ist die Standardisierung: Auf der Privatkundenseite ist der Anteil an standardisierten Prozessen und Produkten deutlich höher als auf der Firmenkundenseite. Da, wo es standardisierte Prozesse und ein wiederkehrendes – vielleicht hochfrequentes Geschäft – gibt, ist der Automatisierungsgrad auch extrem hoch. Im Firmenkundengeschäft ist es aber häufig so, dass wir eine komplexe Kundensituation und ein komplexes Geschäftsmodell haben, und dann ist man relativ weit weg von standardisiert und hochfrequent. Teilprozesse, wie zum Beispiel eine Kreditzusage, gehen relativ schnell, auch wenn die mal ein bisschen komplexer sind. Da gibt es digitale Ansätze bei einzelnen Komponenten, aber wenn es um die Vertragsgestaltung geht, um Freizeichnungen, die ich von anderen Banken brauche und so weiter – da kann es dann auf einmal richtig lange dauern. Bei uns sind zum Beispiel die Bereiche der Investitionsfinanzierung und des Leasinggeschäfts relativ stark automatisiert. Da gibt es ein Frontend, eine digitale Unterschrift, die Lieferantenrechnungen werden in unser System hochgeladen und die Informationen übertragen. Das ist zwar noch nicht ganz Dunkelverarbeitung, aber es ist schon relativ nah dran. Darüber hinaus gibt es auch viele Bereiche, in denen eher Manufaktur-Modelle zum Tragen kommen. Factoring zum Beispiel ist hochfrequent, doch die Anbahnung ist komplex und eher manuell, weil man sich mit dem Kunden zusammen sehr viele Sachen angucken muss. Insgesamt wird noch eine Menge digitalisiert werden müssen, einfach weil Kunden Geschwindigkeit wollen. Kunden suchen Convenience – und wir suchen Effizienz, um Zeit für andere Dinge freizumachen. Deswegen wird langfristig – wo es möglich ist – immer mehr digitalisiert.
Wie schwer ist es aktuell Nachwuchs oder grundsätzlich Mitarbeitende zu bekommen?
Das große Wort Fachkräftemangel gilt für uns genauso, wie für alle Marktteilnehmer und wir stehen in einem extrem starken Wettbewerb um die Talente. Aber es ist uns 2023 gelungen, stark zu wachsen und gerade im IT-, Compliance- und Operations-Bereich Mitarbeitende einzustellen. Deswegen trauen wir uns auch zu, das weiterhin zu bewerkstelligen. Wichtig ist aber auch die Außenwahrnehmung. Beispielsweise sind in unserem Unternehmen 80 Nationen vertreten und der Frauenanteil in Führungspositionen liegt bei 35 Prozent. Solche Zahlen zeigen unsere Diversität und machen uns für viele Bewerberinnen und Bewerber attraktiv.
Wie halten Sie Ihre Mitarbeitenden und welchen Einfluss haben gehaltsfremde Benefits für die Mitarbeiterbindung?
Wichtig sind zunächst eine attraktive Vergütung, Benefits sowie ein interessantes Aufgabengebiet und Entwicklungschancen. Auf der Seite der Entwicklungsmöglichkeiten können wir zum Beispiel damit punkten, dass wir junge Mitarbeitende schnell in Verantwortung bringen. Das sind alles Sachen, die extrem wichtig sind. Auch die Corona-Zeit und die erhöhten Inflationsraten haben ein paar Möglichkeiten geboten, sich gut um seine Mitarbeitenden zu kümmern. Da haben wir uns, glaube ich, sehr gut verhalten und das wird goutiert. Das Unternehmen wird an dem gemessen, was tatsächlich gemacht wird. In dem Zusammenhang sind auch Green Benefits ein Riesenthema bei Mitarbeitenden. Wir haben beispielsweise Balkonkraftwerke subventioniert oder private Wallboxen bezahlt. Das sind Themen, die außerhalb von Vergütungsskalen laufen. Die tatsächliche Mitarbeiterbindung kann man nur über eine längere Zeit messen. Wir messen den Bindungsgrad zum Beispiel durch Mitarbeiterbefragungen. Dabei fragen wir nach der Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen und versuchen, Verbesserungsvorschläge zu bekommen und umzusetzen.
Wir bringen junge Mitarbeitende schnell in Verantwortung.
Wie stellen Sie dabei Chancengleichheit und damit auch Diversität sicher?
Ich glaube, im ersten Schritt muss dafür gesorgt werden, dass die Priorisierung von Diversität, Chancengleichheit und Inklusion seitens des Unternehmens bekannt ist. Wir reden über solche Themen und das machen wir auch auf Social Media, unserer Internetseite oder in unseren Stellenanzeigen sichtbar. Der zweite Schritt ist, dass das nachher auch greifen muss. Denn sowas spricht sich relativ schnell rum. So ist beispielsweise entscheidend bei den Stellenanzeigen – wo immer es möglich ist – nicht nur in Vollzeit, sondern auch in Teilzeit zu annoncieren. Das gilt besonders auch für Führungspositionen. Das ist zum Beispiel für potenzielle Mitarbeitende, die wegen ihres Nachwuchses eine gewisse Zeit zu Hause geblieben sind, ein wichtiges Kriterium.
Wie positioniert sich Ihr Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit?
Auf der externen Seite bietet die Investitionsfinanzierung ein paar Möglichkeiten auf Green Assets zu schauen – zum Beispiel die ganze Transformation im öffentlichen Personennahverkehr. Das ist ein klassisches Segment für Investitionsfinanzierung. Wir versuchen hier stärker einzusteigen und unsere Produkte sowie Programme darauf zu justieren. Zum Investitionsbereich gehören klassischerweise klassischerweise Dinge wie Arbeitgeber-Leasingprogramme, zum Beispiel für E-Bikes. Ansonsten wenden wir sogenannte Sector Policies an, um anhand definierter Kriterien zu unterscheiden, ob wir eine Zusage geben können. Wenn wir zum Beispiel auf Öl und Gas schauen, dann sind bestimmte Investitionen oder die Unterstützung von bestimmten Firmen nicht möglich. Also dort, wo neue Exploration noch stattfindet, das würden wir nicht finanzieren. Jeder Marktteilnehmer hat da seine Programme, aber das ist etwas, wo wir sehr stark drauf achten. Bei Kohle zum Beispiel sind wir sehr restriktiv. Wenn der Umsatzanteil, der mit Kohle zusammenhängt, einen bestimmten Wert überschreitet, würden wir das nicht als unsere Zielgruppe bezeichnen. Auch Luftfahrt ist ein klassisches Beispiel. Aus den Bereichen Sportflugzeuge und Businessjets halten wir uns aus Nachhaltigkeitsgründen heraus.
Wie ist die TARGOBANK in Sachen Omnikanal-Banking aufgestellt?
Ich glaube, wenn man beide Welten anbieten möchte, die persönliche Beratung in Filialen und gleichzeitig Remote-Kanäle hat und der Kunde selbst entscheidet, was er wo und wann machen möchte, dann ist das die Herausforderung. Machbar ist das, aber die Frage ist, inwieweit. Wir sind noch nicht am Ziel, aber im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich einiges entwickelt. Die Apps sehen moderner aus, die Schnittstellen sind andere und die Wechselmöglichkeit zwischen verschiedenen Kanälen im Rahmen eines Produkantrags ist etwas, was wir uns ziemlich genau angucken. Auch wenn die Umsetzung nicht für alle Produkte sofort möglich war, ist das etwas, was unter den Oberbegriff Omnikanal-Banking fällt. Aber das In dem Zusammenhang sind permanente Entwicklungen, weil permanent alle Kanäle mit allen Dienstleistungen und Produkten weiterentwickelt werden müssen. Denn unser großes Ziel ist wie gesagt die Weiterentwicklung zur Universalbank.
Vor zehn Jahren sprachen wir mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Franz-Josef Nick im Interview, unter anderem über die Kooperationen mit Fintechs. Mittlerweile ist der Markt geradezu explodiert. An welchem Punkt stehen Sie heute?
Eines vorweg: Dieses ganze Thema nimmt rund um Cyber- und Datensicherheit sowie um Datenintegrität einen sehr hohen Stellenwert ein. Für uns ist es wichtig, mögliche Kooperationen danach zu scannen. Wir haben Kooperationen mit Fintechs, aber eher auf der Privatkundenseite, zum Beispiel als Teil der Antragsstrecke, im Bereich der Legitimation. Das sind klassische Dinge, die aus unserer Sicht nötig sind und von der Kundenseite gefordert werden, und die die Sicherheitsthemen erfüllen. Ähnliches gilt auch auf der Firmenkundenseite. Was ich mir vorstellen könnte, wo viele externe Player noch auf den Markt kommen, ist der ganze ESG- und Nachhaltigkeitsbereich, bei dem es um das Generieren von Daten geht. Das Berichtswesen ist eine große Herausforderung für alle Marktteilnehmer sowohl auf der Kunden- als auch auf der Anbieterseite. Und da könnte ich mir vorstellen, dass da einige Zulieferer mit Expertise, Intelligenz und Daten in diese Prozesskette eingreifen werden.
Interview: Thorsten Hahn
Dieses Interview wurde im Oktober 2024 geführt.

Berthold Rüsing
Vorstand Firmenkunden bei der TARGOBANK
Berthold Rüsing startete 1997 bei der vormaligen Citibank Deutschland und war in verschiedenen leitenden Positionen tätig, etwa im Bereich Customer Service und Industrialisierung. Von 2004 bis 2007 war er Geschäftsführer des Dienstleistungszentrums, verantwortlich für das Callcenter und Operations. 2007 übernahm er die Leitung des Vertriebs Privatkunden, seit August 2008 als Mitglied des Vorstands. Seit Oktober 2016 ist Berthold Rüsing Vorstand Firmenkunden bei der TARGOBANK.
TARGOBANK
Gründung: 1926
Unternehmenssitz: Düsseldorf
Mitarbeiter: 7400
Geschäftsstellen: 340
Bilanzsumme: 44,9 Mrd. €
Stand: 2024