„Der Anspruch von Tomorrow ist, Vorreiter bei UX zu sein“

Als nachhaltiger Anbieter für mobiles Banking setzt die Tomorrow GmbH auf Investments mit möglichst kleinem ökologischem Fußabdruck. Wie sie es geschafft hat, sich mit diesem Geschäftsmodell durch eine multiple Krisenlandschaft zu manövrieren, und was sie als Marke zu etwas Besonderem macht, beschreibt Mitgründer Michael Schweikart im Interview.


BANKINGNEWS: Die Tomorrow GmbH versteht sich seit ihrer Gründung 2018 als „Social Business“. Wie definieren Sie den Begriff?

Michael Schweikart: Es geht darum, gesellschaftsrelevante Themen und Probleme anzugehen. Genau das macht aus unserer Sicht ein Sozialunternehmen, ein Social Business, aus. Man identifiziert Themen, die weder von der Wirtschaft noch der Gesellschaft oder Politik angegangen werden und versucht, diese unternehmerisch zu lösen.

Dann ist Nachhaltigkeit nur ein Teil davon?

Genau. Nachhaltigkeit ist aber das zentrale Themenfeld, dem sich Tomorrow verpflichtet fühlt. Das Problem des Klimawandels steht hier im Fokus. Darüber hinaus sind für uns Equality und Financial Empowerment von großer Bedeutung. Wir möchten Menschen dazu befähigen, ihre Finanzen besser zu organisieren, aber auch benachteiligte Bevölkerungsgruppen fördern und somit zur Gleichberechtigung beitragen.

In Deutschland gibt es bereits einige Nachhaltigkeitsbanken. Ist die Nische groß genug für weitere Institute?

Ich glaube, die Geschwindigkeit, mit der wir gewachsen sind, und auch wie uns der Markt aufgenommen hat, bestätigen die Richtigkeit unserer Ausrichtung. Natürlich gab es schon vorher Nachhaltigkeitsbanken und die machen auch einen guten Job. Bei den etablierten Nachhaltigkeitsbanken ist es allerdings gar nicht so einfach, ein Konto zu eröffnen. Diesen Prozess wollen wir vereinfachen, mit einer coolen Marke und einer sehr guten und kundenfreundlichen App.

Wir versuchen nahbar, menschlich und kunstvoll-ästhetisch zu erscheinen.

Da sind Neobanken einen Schritt voraus.

Neobanken haben die UX-Seite revolutioniert und es vereinfacht, Banking mobil von unterwegs oder von der Couch aus mit smarten Hilfsmitteln zu betreiben. Das ist die Zukunft. Aber diese Neuerungen beschränken sich auf das Thema User Experience. Das Plus, das wir unseren Kunden bieten, geht darüber hinaus: Wir wollen für unsere Kunden einen positiven Impact erzielen.

Sie betreuen Unternehmen aus diversen Branchen. Wie wichtig ist die Kenntnis der Produkte und des jeweiligen Marktumfeldes?

Extrem wichtig. Nur, wenn wir den Sektor und den Kunden verstehen und darauf basierend eine Lösung kreieren, entscheidet sich der Kunde für uns. Er soll an uns denken, sobald er überlegt zu investieren. Wir müssen im Sektor beim jeweiligen Unternehmen wissen, warum es investieren muss, sogar bevor das Unternehmen es selbst weiß. Und wenn der Kunde investiert, müssen wir wissen, wie am besten.

Wie sieht die User Experience aus, die die Tomorrow GmbH anstrebt?

Der Anspruch ist: Die Tomorrow GmbH will Vorreiter sein, was das Thema UX betrifft. Wir überlegen uns immer, wie der nächste Schritt aussehen soll und werden daher denen, die nur kopieren, immer einen Schritt voraus sein. Die Kombination aus Marke und UX ist das, was am Ende das Kundenerlebnis ausmacht. Die Bedeutung der Marke – ein komplexes Gefüge, das sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt – sollte dabei nicht unterschätzt werden.

Sie betreuen derzeit etwa 120.000 Kunden. Reicht das aus, um rentabel zu wirtschaften?

Eine N26 benötigt schon ihre zehn Millionen Kunden, um am Markt bestehen zu können. Wir brauchen diese Größe nicht. Bei uns funktioniert das alles auch in einem kleineren Maßstab, weil wir genügend Differenzierung bieten. Kurzum, unser Geschäft ist rentabel, aber wir wollen nicht stehenbleiben, sondern weiterwachsen

Nur, wenn wir Sektor und Kunden verstehen und eine Lösung kreieren, entscheiden sich die Unternehmen für uns.

Trotzdem wurde Personal reduziert.

Ja, diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Sie wurde vor dem Hintergrund der allgemeinen Marktsituation getroffen. Die zurückliegenden Krisenjahre haben uns gezwungen, den Aspekt der Wirtschaftlichkeit deutlich stärker zu betonen. Aber letztlich steigern wir mit dieser Kraftanstrengung in Richtung Profitabilität nicht nur unsere Krisen-Resilienz, sondern machen uns auch unabhängiger von externen Geldern.

Die EU ist im Kontext von Nachhaltigkeit bemüht, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, Stichwort Taxonomie. Sind die Pläne ambitioniert genug?

Es ist gut, dass es diese Bestrebungen gibt. Dennoch müsste man gleich mehrere Schippen drauflegen. Dass man auf Bestreben Deutschlands und Frankreichs Erdgas und Atomenergie in die Taxonomie einbezogen hat, war ein regelrechter Schuss ins Knie. Solche Beispiele haben Signalwirkung und können dem ohnehin ausufernden Greenwashing weiter Auftrieb verleihen.

Neben dem ökologischen Fußabdruck spricht man heute auch vom „ökologischen Handabdruck“, der den positiven Impact von Unternehmen dokumentiert. Wie sieht der bei der Tomorrow GmbH aus?

Wir verwenden bei jeder Zahlung einen Teil der Interchange Fee, die wir als kartenausgebende Bank erhalten, für Klimaschutzprojekte. Zum Beispiel finanzieren wir die Aufforstung eines Speckbaum-Waldes, der besonders viel CO2 speichern kann. Es geht um eine ganzheitliche Herangehensweise und deshalb bespielen wir vom Konto bis zur Zahlung alle Felder. Aber natürlich bleiben die Themen Investment und Geldanlage zentral. Wir sind mit einem nachhaltigen Aktienfonds gestartet, einem Artikel-9-Fonds. Im Sommer haben wir Real-Asset gelauncht, bei denen der Impact noch deutlich größer ist als bei einem öffentlichen Aktienfonds. Das erste Projekt war eine Solaranlage.

Wie sieht es mit den Renditen aus?

.Ich glaube fest daran, dass man mit nachhaltigen Investments die gleichen Renditen erzielt, denn nachhaltige Projekte bekommen die besseren Talente. Sie haben die besseren Langzeitstrategien. Sie berücksichtigen frühzeitig perspektivische Risiken, wie etwa Klimarisiken. Um es greifbar zu machen: Wenn man Unternehmen mit geringem CO2-Ausstoß finanziert oder solche, die beabsichtigen, diesen zu reduzieren, hat man etwa deutlich weniger Stress, wenn zu einem späteren Zeitpunkt der CO2-Preis in die Höhe schnellt.

Wie bewerten Sie das Vorhaben der BaFin, Banken bei nachhaltiger Beratung stärker kontrollieren zu wollen?

Ein guter Ansatz. Allerdings glaube ich, dass sich die Banken da leicht herauswinden können, indem sie klassische ESG-Fonds anbieten. Dann können sie der BaFin gegenüber behaupten, sie würden nachhaltige Anlagen anbieten. Es schaut aber dann niemand genau hin, ob hinter dem Label nicht Anteile von Exxon Mobile oder Nestlé schlummern.

Aber wie soll man bei komplexen Fonds-Produkten herausfinden, ob es sich nicht um grünen Etikettenschwindel handelt?

Das ist nicht leicht. Es gibt aber schon diverse Unternehmen, die das analysieren können. Gleichzeitig sind Firmen inzwischen verpflichtet, Nachhaltigkeitsreports zu erstellen. Das heißt, Transparenz ist ein wichtiger Bestandteil für die Bewertung. Ich glaube, wir hätten die Mittel, um das umzusetzen. Aber man stößt auch auf jede Menge Vorurteile und es gibt Besitzstandswahrer, die mit dem aktuellen Geschäftsmodell viel Geld verdienen und sich weigern, das zu ändern.

Ist es heute immer noch so leicht, Greenwashing zu betreiben?

Luisa Neubauer sagte neulich noch: „Die Welt brennt, und statt Wasser zum Löschen holt man die grüne Farbe raus“. Das trifft es leider sehr gut. Denn obwohl alle auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen wollen, passiert dann doch relativ wenig. Ein gutes Beispiel ist die Deutsche Bank. Da sagt CEO Christian Sewing, sie wollen die Welt nachhaltiger gestalten, stecken dann aber 1,8 Milliarden Euro in den Ölkonzern Total. Solche Beispiele finden sich noch zu oft.

Aber irgendwer muss ja in diesen Ölkonzern investieren. Wir brauchen ihn noch für eine Übergangsphase.

Unternehmen wie Total besitzen genug Liquidität, um den Übergang noch eine Weile selbst zu finanzieren. Total baut eine Ölpipeline mitten durch Afrika und es sind 500 neue Kohlekraftwerke weltweit geplant. Das sollten wir eigentlich morgen schon stoppen. Denn wir hätten die Mittel, um diesen Übergang viel schneller zu gestalten. Eine schwierige Frage ist das Thema Waffen. Man braucht Waffen, um sich verteidigen zu können, wie der Ukrainekrieg zeigt. Aber will ich persönlich davon profitieren, wenn irgendwo ein Krieg ausbricht? Nein! Deshalb will ich das nicht finanzieren. Dafür gibt es aber auch andere Lösungen, zum Beispiel unter Mitarbeit des Staates.

Die Bürgerbewegung Finanzwende übt Kritik gegenüber der Klimaselbstverpflichtung der Banken. Teilen Sie den Vorwurf, dass individuelle Bankziele nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Ja. Viele Banken verkünden vage Ziele für 2050 und geben überhaupt keine konkreten Informationen, was sie überhaupt dafür tun. Oft finden das Investigativ-Journalisten erst heraus, aber ansonsten ist Transparenz kein Thema. Die Tomorrow GmbH macht auf ihrer Webseite öffentlich, in welchen Investments ihre Gelder stecken, ohne die konkreten Konditionen zu benennen.

Die Tomorrow GmbH ist zum „Startup of the Year 2023“ gewählt worden. Was hat Ihr Markenkern damit zu tun?

Zum einen liegt das an unserer guten Mischung aus Design und UX. Wir versuchen, nahbar, menschlich und kunstvoll-ästhetisch zu erscheinen. Die andere Frage, die uns leitet, ist: Wie gehen wir mit unseren Kunden um? Dazu gehört Zugänglichkeit und Community. Wir überlegen ständig, wie wir das neu denken. Wir haben sogar einen Vertreter unserer Crowd-Investoren in den Beirat als stimmberechtigtes Mitglied berufen, wo bei anderen nur institutionelle Investoren sitzen. Drittens: Vorreiterschaft. Ein Beispiel dafür ist unser in die App integriertes Impact Board. Wir zeigen in Echtzeit, wo unsere Gelder liegen und was sie bewirken. Wir haben das Gefühl, dass andere auf uns schauen und wir sie auch ein bisschen mitreißen können. Das ist das, was das Zusammenwirken von Marke und UX ausmacht.

Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie als Arbeitgebermarke?

Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Aber wir haben seit jeher einen guten Zulauf, was Talente betrifft. Dabei spielt unsere Marke, unsere Vision, unsere Kultur, und wie wir zusammenarbeiten, eine wichtige Rolle.

Wie ist das Thema Mitarbeiterbindung und Nachhaltigkeit bei der Tomorrow GmbH geregelt?

Auch intern wird bei uns Transparenz großgeschrieben. Wir leben unsere Vision „Let’s create a better tomorrow for everyone“, und das überzeugt. Unser Ansatz besteht aus einem flexiblen, möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Arbeiten. Unsere Mitarbeiter sind grundsätzlich stark intrinsisch motiviert. Dementsprechend haben wir eine sehr geringe Fluktuation.

Welche Rolle spielt Open Finance für die Tomorrow GmbH?

Wir glauben grundsätzlich an das Konzept, Finanzen ganzheitlich zu präsentieren. Da gehört auch das Thema Open Banking dazu. Wir haben kürzlich die erste Versicherung gelauncht und arbeiten gerade an Konzepten, wie wir das Thema Financial Home smarter gestalten können. Dazu gehört die Offenlegung der eigenen PSD2-Schnittstelle. Das beschäftigt uns gerade, spielt aber für unsere Kunden noch keine große Rolle.

Muss man vor Big Techs Angst haben?

Als klassische Neobank ohne Differenzierungsmerkmal hätte ich schon ein bisschen Angst. Die Big Techs sind gut und nah am Kunden, positionieren sich an vielen Touchpoints und werden in dem Bereich auch noch mehr machen. Darum haben wir uns aber mit dem Thema Nachhaltigkeit und dem Fokus auf Community anders aufgestellt. Wir glauben, dass wir damit immer einen anderen Zugang finden als etwa Apple. Google, Meta und Co. werden immer mächtiger und gerade in dem Bankenumfeld mit so vielen sensiblen Daten würde ich mir als Kunde wünschen, dass Kartellbehörden genauer hinschauen.

Interview: Thorsten Hahn

Michael Schweikart

Co-Gründer und Co-CEO der Tomorrow GmbH

Schweikart gründete 2018 den nachhaltigen Banking-Anbieter aus Hamburg. Davor war er CEO bei MigrantHire & Jobs 4 refugees. Bis 2014 war der Wirtschaftsingenieur als Corporate Finance Consultant bei Concentro Management AG tätig.


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