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„Wir reden über disruptive Veränderung und ­beantworten sie mit Erfahrungen von gestern”

Die Sparkasse Bremen AG ist das „agilste Unternehmen 2021“. Hier setzt man auf offene Workspaces, flache Hierachien und innovative Produkte. Ein Wandel nach außen und nach innen, der sich auch in der Führung zeigt, wie Vorstandsmitglied Thomas Fürst berichtet.


Sparkasse Bremen Kunden Veränderungen

BANKINGNEWS: Die Sparkasse Bremen AG wurde im September 2021 als agilstes Unternehmen ausgezeichnet, eher ungewöhnlich für eine Bank, oder?
Thomas Fürst: Diese Auszeichnung kommt nicht von ungefähr. Wir bei der Sparkasse Bremen haben mit dem Transformationsprozess bereits Ende 2016 angefangen und wichtige Weichen gestellt. Nun ernten wir die ersten Früchte. Was einfach aussieht, ist in Wahrheit sehr schwer. Wir müssen unser Verhalten und unser Denken verändern. Wenn ich Kollegen nach unseren Hauptwettbewerbern frage, werden reflexartig die Genossenschaftsbanken genannt, vielleicht auch Commerzbank, Deutsche Bank oder Santander. Aber wer sind eigentlich unsere Wettbewerber? Wir beobachten, dass sich branchenübergreifend komplette Wertschöpfungsketten verschieben. Etwa in der Hotelbranche. Heute hat das größte Hotelunternehmen, Airbnb, keine eigenen Hotels. Das war unser Treiber, wir müssen lernen, anders zu denken. Heute sind unsere Wettbewerber PayPal, Klarna und bald auch noch Google und Amazon. Wie sieht ein neuer Produkt-Prozess aus? Irgendjemand hat eine Idee. Wenn wir Glück haben, erreicht sie den Vorstand. Denn oft werden Ideen bereits im mittleren Management „weggefiltert“, weil es andere Prioritäten hat.

Wie werden in diesem Prozess die Wünsche der Kunden berücksichtigt?
In den neuen Märkten werden Kunden bei der Produktentwicklung über Social Media direkt mit eingebunden. Wir profitieren von deren kritischen Produktbewertungen. Es ist sinnvoll, sich mit dem Kunden kritisch auseinanderzusetzen, denn nicht jede Idee, die wir haben, ist top. Wir im Vorstand kommen öfter mit unseren Auszubildenden zusammen, die uns ebenfalls ihre Ideen vorstellen dürfen. Wir sind ja auch keine Digital Natives. Aber ich finde es interessant, wie das auf Begeisterung stößt. Wenn man junge Kunden gewinnen will, sollte man vielleicht auch auf sie hören. Und um noch einmal auf Agilität zurückzukommen. Wir haben dazu den ganzen Prozess umgestellt, sodass jeder seine Idee über unsere Confluence-Methodik einstellen kann. Darüber darf im Haus dann diskutiert werden. Und das, was daraus entstanden ist, hat auch dazu geführt, dass wir letztendlich den Agilitätspreis gewonnen haben – indem wir nicht unsere Produkte in den Vordergrund gestellt haben. Wir reden alle über Kundenzentrierung, Kundenkonzentration, Kundenservice, aber schlussendlich bewerben wir Produktvorteile.

Unsere Perspektive ist durch Ventile und Filter geprägt.

Es werden unzählige Produkte entwickelt, die dann doch nur von wenigen Kunden genutzt werden. Gibt es Schwierigkeiten im Bereich der Marktforschung?
Marktforschung ist für mich die Basis des Geschäftserfolges. Besonders durch den Einfluss der Pandemie stellen wir fest, dass originäre und derivative Bedürfnisbefriedigungen zusammenfallen. Und das merken wir gerade auch im Bereich Baufinanzierung. Hier wandelt und entwickelt sich der Markt von einem Käufer- zu einem Verkäufermarkt. Im Baubereich verläuft die Entwicklung aber genau andersherum. Wie kommt man in einem dynamischen Markt also zu mehr Agilität? Man nimmt die Scheuklappen runter, öffnet sich und schaut genau hin, wie sich die Leute verhalten.

Sie beziehen sich hier primär auf Veränderungen in den Marktstrukturen. Wie schätzen Sie die Dynamiken ein, die intern vonstattengehen?
Das Problem speziell im Bankenbereich ist, dass man überwiegend Strukturen hat, die stark auf Erfahrungswissen aufbauen. Und die Leute, die viel Erfahrung haben, sind in der Regel oben in der Hierarchie. Erfahrung ist ein ganz wertvolles Instrument, sofern der Horizont noch stimmt, in dem wir sie erworben haben, beziehungsweise der Markt sich nicht verändert hat. Wir reden über disruptive Veränderung und beantworten sie mit Erfahrungen von gestern. Das kann gefährlich sein. Und das versuchen wir im Vorstand aufzuzeigen. Wir sind die erste Sparkasse, die einen Vorstand für den Bereich Digital eingestellt hat. In den meisten Banken und Sparkassen ist diese Position auf Direktorenebene angesiedelt. Einen Digital Native als Vorstand zu ernennen, hat bis jetzt keiner so richtig gewagt. Uns hat das viel gebracht, nicht nur aufgrund der digitalen Expertise. Denn Leute, die digital affin sind, denken zumeist anders. Und wir müssen im Vorstand lernen, den Wert der Andersdenkenden zu schätzen. Play to the other’s strength an Stelle von innerbetrieblichem Wettbewerb. In Banken gibt es eher steile Schornsteinkarrieren, der eine ist zuständig für Firmenkunden, der andere für Privatkunden, der dritte für Risiko, der vierte ist Personal und Vorstandsvorsitzender. Und diese Dinge muss man auflösen, um agil zu werden. Wir wollen im Markt bestehen und die Märkte nachvollziehen. Wir haben entschieden, dass der agile Weg die einzige Chance ist, bei unseren Kunden und Mitarbeitern zu punkten.

Sie setzen nun mehr auf Austausch und Networking unter den Kollegen. Wie kommt das bei den Mitarbeitern an?
Zunächst einmal ist es ein großer Gewöhnungsprozess. Der Vorgesetzte fehlt, Entscheidungen werden im Team getroffen. Die Entscheidungsprozesse ändern sich, Konflikte müssen anders gelöst werden. Hilfreich ist hierbei, dass alle mitmachen – vom Auszubildenden bis zum Vorstand. Auch wir Vorstände haben keine Einzelbüros. Wir sitzen ebenso in Home Bases oder Coworking Areas. Unsere rund 90 Besprechungsräume sind alle offen und einsehbar. Durch die Architektur werden alle Kommunikationswege offener und schneller gestaltet. Ziel war es, auf den ersten drei Stockwerken insgesamt 600 Mitarbeiter unterzubringen, die in einem vollkommen neuen Bürokonzept, ähnlich dem eines Technologieunternehmens, arbeiten sollen. Auch für uns im Vorstand bedeutet das eine große Umstellung. Aber unterm Strich ist die Mehrheit unserer Mitarbeiter der Meinung, dass dies der richtige Weg in die Zukunft ist.

Was planen Sie, um das Miteinander der Mitarbeiter zu fördern?
Wir haben Kern- und Funktionsteams. Fach- und Disziplinarvorgesetzte gibt es nicht mehr. Ein Miteinander kann ich nur fördern, indem ich offen mit den Leuten spreche und ihnen auch einmal „außerhalb des Normalen“ freien Lauf lasse. Und solche Plattformen versuchen wir zu schaffen, wobei ich den virtuellen Kontakt für mich nicht als guten Kanal empfinde. Was ich mache, das ist inzwischen ein bisschen zu meiner persönlichen Marke geworden, sind sogenannte Bier-Talks. Ich gehe in die Filialen mit dem sprichwörtlichen Kasten Bier und frage bei den Mitarbeitern nach, was sie stört und was ihnen gefällt. Da kriege ich nach kurzer Zeit recht gute Rückmeldungen.

Wir beobachten, dass sich branchenübergreifend komplette Wertschöpfungsketten verschieben.

Bei der Beratung kommen Leistungen außerhalb des Kerngeschäfts oft zu kurz. Sie werden eher als Produktverkauf wahrgenommen. Sehen Sie das auch so?
Die Sparkassen haben in der Regel einen quantitativen Marktanteil von rund 50 und einen qualitativen Marktanteil von etwa 25 Prozent, wir reden also über Neukundengewinnung. Die Wahrheit ist, wenn wir unsere Kunden richtig betreuen würden, könnten wir die Bilanzsumme verdoppeln, ohne einen Neukunden hinzuzugewinnen. Jemand, der nicht bei einer Sparkasse ist, hat dafür seine eigenen Gründe. Es liegt nie daran, dass er uns nicht kennt, unsere Markenbekanntheit liegt bei über 99 Prozent. Also ist der Kunde aus einem bestimmten Grund nicht bei der Sparkasse. Aber wir versuchen ihn zu überzeugen, nehmen dafür viel Geld in die Hand und vernachlässigen dabei häufig unsere Kunden, die uns wohlgesonnen sind und mit denen wir die Beziehung leichter intensivieren könnten.

Sie arbeiten im Bereich Bancassurance mit der JDC zusammen. Ähnliches haben wir bereits bei der PSD Bank Kiel und der Fonds Finanz gesehen. Wie hat die VGH Versicherungen aus Niedersachsen auf diese Umstellung reagiert?
Im ersten Schritt haben sie die Zusammenarbeit mit uns aufgekündigt. Produkte sollten ausschließlich aus der eigenen Institutsgruppe kommen. Inzwischen öffnen sich auch die öffentlich-rechtlichen Versicherungen dem Markt. Ich betone gerne, dass es wenig Grund zur Sorge gibt, denn die VGH ist leistungsfähig, auch wenn sie nicht zu den Preiswertesten gehören. Die Frage ist, was ist eine Plattform? Die Möglichkeit zum fairen Preisvergleich oder nur so etwas wie ein virtueller Marktplatz? Mehr Auswahl führt nicht zu mehr Glück, wie man auch dem Buch „The Paradox of Choice“ entnehmen kann. Also sucht man nach Empfehlungen wie Sterneratings oder Kundenrezessionen. Das Problem ist aber, dass man die Qualität des Empfehlenden nicht kennt und exakt das passiert: Wir verlieren uns in einem Dschungel, sind zwei Stunden im Internet und haben schließlich immer noch keine Entscheidung getroffen. Bei der Plattformstrategie kommt es also nicht darauf an, dem Kunden 100 Produkte anzubieten, sondern aus 100 die drei geeignetsten herauszusuchen – und das sind nicht notwendigerweise die günstigsten. Mit der Plattform können wir filtern und aus 100 Versicherungen drei heraussuchen, die wirklich zum Kunden passen.

Seit 2011 nehmen Sie am Wettbewerb bester Arbeitgeber teil: Wie halten Sie Ihre Arbeitgebermarke interessant?
Wir versuchen, das Thema Nachhaltigkeit zu leben und durch Netzwerkorganisation den Begriff Karriere neu zu formen. Nicht selten wird in diesem Zuge der Wunsch nach mehr Entscheidungsfreiheit, höherer Entlohnung und gesteigertem Einfluss geäußert. Aus diesem Grund haben wir eine Ausbildungsfiliale gegründet. Hier haben Auszubildende die Möglichkeit, ihre Ideen auszuprobieren. Das Thema Nachhaltigkeit muss ich nicht als regulatorische Notwendigkeit sehen. Wir sind die Generation, der es am besten ging. Bei uns ging es noch höher, größer, weiter und wir hinterlassen unseren Kindern eine Welt, in der es nicht mehr so ist. Und wir sollten anfangen, diese Verantwortung zu übernehmen und nicht sagen, dass das ein Thema der nächsten Generation ist. Wenn wir das authentisch zeigen und auch vorleben, und das machen wir hier in der Sparkasse Bremen, dann kommen auch Jüngere zu uns und stellen fest, dass wir doch ein bisschen anders sind, als sie sich vielleicht vorgestellt haben.

Das Ziel ist, erst einmal für uns herauszufinden, in welchem Umfang Kunden die digitalen Möglichkeiten nutzen wollen.

Mit Smavesto haben Sie einen eigenen digitalen Vermögensverwalter, mit dem Sie zahlreiche Auszeichnungen gewonnen haben. Inzwischen kooperieren Sie auch mit der Sparkasse Duisburg. Wie wird das in der Sparkassenorganisation gesehen?
Wir setzen bei Smavesto zu 100 Prozent auf künstliche, selbstlernende Intelligenz, die die Anlageentscheidung nach den Vorgaben unserer Kunden autonom trifft. Mit diesen Algorithmen haben wir schon viele Jahre Erfahrung, da wir sie schon lange zur Steuerung unserer Sparkasseneigenanlage einsetzen. Jetzt haben wir dieses Produkt kundenfähig gemacht. Von Anfang an bin ich gemeinsam mit Dr. Sascha Otto und Dr. Dirk Rollenhagen in der Geschäftsleitung. Die Herausforderung aktuell ist, eine nationale Vermarktungsstrategie aufzubauen. Ein digitales Produkt wird wirtschaftlich durch Skaleneffekte. Unser Primärmarkt als Sparkasse ist Bremen. Mit Smavesto haben wir ein Produkt, das online und damit bundesweit abgeschlossen werden kann. Dadurch werden wir uns immer mehr mit der Frage beschäftigen: Stehen Digitalisierung und Regionalprinzip in einem Widerspruch? Ich bin hier der Meinung, dass das nicht der Fall ist, da auch digitale Produkte häufig noch erklärt werden müssen. Was Smavesto aus meiner Sicht so interessant macht, sind die Fairness und Transparenz in der Preisgestaltung. Andere Anbieter generieren zum großen Teil neben ihren Gebühren noch Zusatzerträge, die für die Kunden nicht sichtbar sind. Wir gehen mit Smavesto den Weg der „All-In-Fee“, es gibt hinter der Gebühr keine Auf- oder Abschläge beim Handel mit den ETFs oder ETCs.

Baufinanzierung haben Sie bereits erwähnt. Was machen Sie mit Ihrer Baufi-App genau und wie ist sie bislang bei den Kunden angekommen?
Der Immobilienmarkt hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Früher mussten Immobilien aktiv verkauft werden. Kaufinteressenten ließen sich das Objekt reservieren und gingen zu ihrer Hausbank, um die Finanzierung sicherzustellen. Anschließend konnte ein Notartermin vereinbart werden. Heute kommen auf eine Immobilie etwa 15 ernsthafte Interessenten. Und häufig bekommt derjenige den Zuschlag, der als erstes eine Finanzierungbestätigung abgeben kann. Mit unserer App kann sich nahezu jeder Kunde in unter zehn Minuten seine Finanzierungszusage als Zertifikat selbst erstellen und dem Verkäufer vorlegen. Das bringt häufig Vorteile für die Nutzer der App beim potenziellen Immobilienerwerb.

Interview: Thorsten Hahn und Dennis Witzmann

Vorstände im Gespräch: Sie möchten weitere interessante Interviews lesen? Hier sprechen wir mit Rita Herbers von der Hamburger Volksbank über die Rolle des Mittelstandes. Und hier unterhalten wir uns mit Barclays CEO Tobias Griess über die Zukunft der Kreditkarte.