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„30 Sekunden vor 12“

Regulierung kann für Banken ein wichtiger Verbündeter sein. Das weiß S. Oliver Mülders von Warth & Klein Grant Thornton, der als Prüfer im Segment Governance, Risk und Compliance Finanzinstituten bei der Umsetzung der Regulatorik unterstützt. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen und erklärt, warum viele Banken ihre Einstellung zu diesem Thema dringend ändern müssen.


S. Oliver Mülders, Partner bei Warth & Klein Grant Thornton, im Gespräch mit BANKINGNEWS-Chefredakteur Thorsten Hahn.

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BANKINGNEWS: Regulierung gilt bei Banken bestenfalls als notwendiges Übel. Ist dieser Unmut begründet?

S. Oliver Mülders: Aus meiner Sicht ist er überhaupt nicht begründet. Wenn wir uns an die Finanzkrise zurückerinnern, ist ihr Ursprung ganz klar auf das Unvermögen der Kreditinstitute zurückzuführen, zeitnah Auskunft über ihre Finanzlage zu geben. In einem demokratischen Verhältnis muss eben auch derjenige, der nachweislich durch Unvermögen Schaden verursacht hat, eine Qualitätsverbesserung herbeiführen. Und es ist unerheblich, ob wir über den Abgasskandal sprechen oder über die Finanzkrise: Wir müssen die beteiligten Branchen in die Pflicht nehmen, denn es geht hier um das Schützen der Einlagen von Staaten und vor allem von ihren Bürgern. Dass das zu einer hohen Arbeitsbelastung führt, ist ganz klar. Mir würde es auch keine Freude bereiten, wenn ich mit einem uralten Auto zum TÜV fahre. Ich hätte zu Recht Angst vor den Konsequenzen. Bleiben wir bei der Automobilbranche: Als man vor 40 Jahren die Vorschrift einführte, dass jeder Hersteller in seinen Autos einen Sicherheitsgurt einbauen muss, hat jeder gestöhnt: „Die sind doch unbequem! Wie soll ich das den Kunden verkaufen?“ Es gab aber auch Automobilhersteller, die es geschafft haben, diese Zwangsmaßnahmen in Qualitätsmerkmale zu überführen. Auch die Bankenregulierung sollte man als Chance sehen: Sie ist die erste Stufe zu mehr Transparenz. Und wenn diese Transparenz erreicht ist, können Finanzinstitute ihre Datenversorgung feintunen. Sie können erkennen, in welchen Bereichen es weniger oder mehr Erträge gibt und wo Optimierungsbedarf besteht. Banken müssen frühzeitig überlegen, wie sie aus dieser Transparenz gute Produkte entwickeln können. Sie müssen ihr Portfolio schärfen und, wie es auch SREP vorschreibt, quantitative und qualitative Analysen ihres derzeitigen Geschäftsmodells durchführen. Außerdem kann durch mehr Transparenz die „profit margin“ erhöht werden. Banken können besser beurteilen, wo sie Gewinne und wo sie Verluste machen, und dadurch „just in time“ optimieren. Ich höre immer nur dieses Gestöhne über Veränderungen, auch aktuell bei der DSGVO. Auf die Idee, einen Schritt oder gar fünf Schritte weiterzudenken, kommen die wenigsten. Die Tech-Giganten stehen vor der Tür und scharren bereits mit den Hufen, denn die Zeit wird knapp. Die Uhr steht nicht auf 5 vor 12, sie steht bereits auf 30 Sekunden vor 12.

„Macht eure Kunden endlich zu mündigen Kunden“

Sie haben Unternehmen bei der Umsetzung der EU-DSGVO begleitet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Wie auch bei anderer Regulatorik ist mein Rat an alle Banker hier: Versuchen Sie doch, aus dieser Zwangsmaßnahme einen Nutzen zu ziehen. Zum Beispiel kann die Bank auf einem Online-Portal oder einem Mobile-Device ihren Kunden jeden Tag sekundengenau anbieten, seine Daten über einen Button zur Verarbeitung freizugeben – oder eben nicht. Und wenn der Kunde zustimmt, weiß die Bank aus dieser Interaktion, dass er einen Bedarf besitzt und beraten werden möchte. Macht eure Kunden endlich zu mündigen Kunden! Manche Banken haben das in der Vergangenheit nicht getan und auch die Daten ungenutzt gelassen. Dafür habe ich kein Verständnis. Ein zentraler Datenpunkt, der sogenannte Single-Point-of-Truth, enthält alle Daten des Hauses. Durch Spiegeltechniken werden sie sekündlich aktualisiert. Diese Datenhaushalte können für jegliche Analysen genutzt werden. Man sollte darüber hinaus immer mit den Kunden reden, denn diese sind schließlich alt genug. Sicherlich gibt es auch Kunden, die beim alten System bleiben möchten: Sie möchten angerufen werden oder an den Schalter gehen. Der Kunde sollte letztendlich darüber entscheiden. Redet mit ihm und bietet ihm diese Möglichkeiten an!

Wie will sich ein mittelgroßes Wirtschaftsprüfungshaus wie Warth & Klein Grant Thornton in einem Markt behaupten, der sukzessive von den großen Vier aufgefressen wird?

Unser Differenzierungsmerkmal gegenüber den „Big Four“ ist ganz eindeutig: Wir sind ein reines Prüfungshaus, und nicht etwa ein Prüfungshaus, bei dem der angeschlossene Consulting-Bereich fünfmal so groß ist wie die Prüfung selbst. Meine Erfahrung, als ich bei einem der „Big Four“ gearbeitet habe, war, dass die Prüfung auch hier neutral ist. Neben der Prüfung steht jedoch immer das Consulting als großer Bruder, der fragt: „Was können wir noch tun? Können wir noch mehr Projekte verkaufen?“ Ich möchte in meiner Funktion als „trusted advisor“ unseren Mandanten eine neutrale Einschätzung geben. Wo steht der Mandant in Bezug auf Regulatorik oder Profitabilität, und wie kann er sein Geschäftsmodell in die Zukunft führen? Wo kann ich bereits in der Nutzenargumentation ansetzen und was kann ich darüber hinaus tun? Wie ein Coach gebe ich ihm dazu eine neutrale Einschätzung. Ich halte die Trillerpfeife und die Stoppuhr in der Hand und sage: „Dies hast du noch nicht geschafft. Jenes müssen wir noch machen. Und hier muss auch noch etwas passieren.“ Das ist meine Funktion: Hilfe zur Selbsthilfe. Ich habe aber kein Interesse daran, ihm am nächsten Tag eine Software zu verkaufen und von dieser eine 15 Prozent „profit margin“ zu kassieren. Denn dann bin ich nicht mehr neutral.

„Das ist keine saubere Situation“

Sie gehen aber dennoch Kooperationen ein, zum Beispiel mit dem Softwarehersteller avedos. Ist das wirklich neutral?

Die Kooperation ist das große Differenzierungsmerkmal. Wenn jemand in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellt ist, dann steht schon in den Arbeitsverträgen, dass er keine „fee“ annehmen darf. Bei sehr großen Gesellschaften werden derartige Geschäfte über Consulting abgewickelt, denn hier können „fees“ angenommen werden. Das ist meiner Meinung nach keine saubere Situation. Meine Mandanten – und das sind nicht die beiden großen bekannten Bankhäuser, sondern eher die mittelgroßen Institute – erwarten, dass sie mit uns auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Wir handeln nach der Devise „You get what you see“. Der Kunde sieht den Prüfer und lernt ihn kennen, denn dieser nimmt schon frühzeitig an allen Calls und Besprechungen teil. Wir möchten dem Kunden helfen, seine Prozesse, Abläufe und IT zukunftsorientiert aufzustellen, die richtigen Selektionen durchzuführen, und das anhand eines neutralen Kriterienkatalogs. Wir helfen bei der Entscheidung, den Verträgen und vielleicht auch hinterher bei der Endabnahme, wenn es darum geht, ob der Software-, IT- oder Consulting-Dienstleister wirklich das Versprochene geliefert hat. Bei uns hat jeder Prüfer 120 Projekttage im Jahr. Dadurch hat er neben einem Projekteinsatz gleichzeitig noch die Zeit – und das ist für Prüfer sehr wichtig – sich in ständig aktualisierten Themenfeldern fachlich weiterzubilden. Das braucht viel Zeit. Das kann man nicht durch Training on the Job abdecken. Wir wollen kein Wachstum um jeden Preis. Unser Haus ist inhaberorientiert, das heißt 70 Prozent unseres Hauses gehören noch der Inhaberfamilie und 30 Prozent gehören den Seniorpartnern. Wir sind also sehr stark partnerschaftlich und familiär aufgestellt. Wir sind glücklich mit 10 Prozent jährlichem Wachstum, wenn wir dafür langfristige ebenbürtige Partnerschaften zu unseren Mitarbeitern, aber auch zu unseren Mandanten aufbauen.

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