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„Das hätten wir niemals mit Technik allein hinbekommen“

IT- und Organisationsexperte Dr. Friedrich G. Zuther vom BVR spricht mit Thorsten Hahn und Laura Kracht über Smart Contracts, persönliche Kundenberatung, Facebooks Kryptowährung Libra und die scheinbare Objektivität von Künstlicher Intelligenz.


Dr. Friedrich G. Zuther vom BVR spricht im Interview über Private und Public Blockchain, Libra und die scheinbare Objektivität von KI.

BANKINGNEWS: Corona, Homeoffice und Massen-Kreditanträge bewegen die Finanzindustrie. Herr Dr. Zuther, rächt sich jetzt das eher verhaltene Herangehen an die Digitalisierung?
Friedrich G. Zuther: Nein. Ohne die Flexibilität der Bank-Mitarbeiter, die ja auch Bäcker und Metzger bei umfangreichen KfW-Anträgen anleiten, wäre das alles nicht machbar. Das hätten wir niemals mit Technik allein hinbekommen. Die Krise zeigt einmal mehr, wie wichtig die Menschen sind.

Was klassische Banken von Neo- oder Direktbanken unterscheidet, ist der persönliche Kontakt in der Filiale. Ihr wichtigstes Asset, oder?
Absolut. Für mich war Tagesgeld das beste Beispiel dafür. Wo ist das beste Tagesgeldkonto? Eine super Frage, aber völlig sinnlos, wenn man einen Berater hat, der fragt: „Was willst Du mit dem Geld machen? Ist das für länger? Dann können wir über anderes reden als über Tagesgeld.“ Nicht für länger? Was interessiert es dann, wo es die besten Zinsen gibt? Denn auch bei fünf Prozent sind hundert Tage nicht wesentlich, es sei denn, man hat eine Milliarde anzulegen.

Was folgt daraus?
Die Digitalisierung zielt immer auf die Produkte, und der Kunde soll es selber machen. Da geht die Beratung verloren. Ich glaube aber, dass darin der Mehrwert für den Kunden steckt, weil das Produkt an sich gar nicht komplex ist, der Kundenbedarf aber schon. Und genau da hat der Berater einen Mehrwert für den Kunden. Das ist in den letzten Jahren nicht überall gesehen worden. Ich hoffe, dass wir da wieder hinkommen.

„Die Krise zeigt einmal mehr, wie wichtig die Menschen sind.“

Welche Herausforderungen sehen Sie für den Verband?
Wir haben die in der Zukunft kommenden Themen auf dem Radar, etwa Facebooks Libra. Das sind mächtige Technologien und wir diskutieren das auch mit dem Regulator.

Wie stehen Sie dem Thema Libra generell gegenüber?
Skeptisch. Aber es ist auch spannend, weil sie sagen, sie wollen nach fünf Jahren auf eine Public Blockchain umstellen und wissen selber nicht wie. Ich habe noch kein endgültiges Bild davon, was es technisch sein soll. Ich glaube, dass sie einfach mal einen Versuch starten, um zu sehen, wie Regulatoren reagieren und ob sie es machen können oder nicht.

Es wäre eine weltumspannende Währung, die kein Regulator mehr kontrollieren kann. Da bleibt doch die Frage, wer soll das genehmigen und gutheißen?
Ja, aber sie können es auch nicht wirklich verhindern – siehe Bitcoin. Das kann doch eigentlich kein Staat tolerieren, dass ihm die Münzhoheit aus der Hand genommen wird. Bitcoins sind noch immer nicht verboten und ich glaube, rechtlich wie technisch ist das auch schwierig.

Finanzstaatssekretär Jörg Kukies hat in der BANKINGNEWS gesagt, sie wollen versuchen, über die Tokenisierung und Digitalisierung von Wertrechten Innovationen zu fördern. Herr Zuther, Sie haben einen Fachartikel über die Blockchain-Strategie der Regierung verfasst. Ist sie ein Schritt in die richtige Richtung?
Jein. Klar ist, dass die Regierung Expertenbefragungen macht. Das muss sie tun, weil der Mainstream ihr sagt, Blockchain wird unsere Welt verändern. Ich persönlich glaube, Blockchain ist eine Spezialtechnologie, die für eine Anwendung erfunden wurde und jetzt versuchen wir das zu verallgemeinern. Aus meiner Sicht ist nicht zu erwarten, dass die Blockchain nach zehn Jahren nun durch eine staatliche Förderung auch in anderen Gebieten Fuß fasst. Was sie wirklich tun müssen, ist die Regulierung gerade ziehen.

Was fehlt?
Es wird dabei eins übersehen – nämlich die Technik, mit der ein „Wertpapier“, das auf Blockchain-Technologie basiert, realisiert wird. Dadurch, dass es dabei wechselnde Vertragspartner gibt, werden wir keine festen Verträge vorweisen können. Und der Prüfer würde bei einer Bank sagen: „Das ist nicht BAIT-konform“, und das Ding abschalten. Bei einer Emission eines Tokens wird das aber gar nicht berücksichtigt, weil die Technik nicht vom Emittenten gestellt wird.

„Aus meiner Sicht kann man eine Public Blockchain nicht wirklich benutzen.“

Ist aber nicht die Idee der Blockchain, etwas Fälschungssicheres zu haben und mit der man dann auch eindeutig Verträge signieren kann, spannend für viele Dinge, die in der Bankbranche passieren?
Ist es auch, aber eher private Blockchains. Worüber wir hier sprechen, ist die Public Blockchain. Bei der Public Blockchain haben Sie keine Vertragspartner und wissen oft nicht, wer alles teilnimmt. Wir haben den Fall von „The DAO“ gesehen, ein durch eine digitale dezentrale autonome Organisation investorengesteuerter Risikokapitalfonds, wo leider eben doch ein Fehler passiert ist. Sie haben den Fehler zwar gefixt, aber nur 80 Prozent der Betreiber haben umgestellt. Wir sehen Fälle, wie den Bitcoin Gold Hack, wo es sich zeigt, dass das System nicht hundert Prozent sicher ist. Deswegen kann man eine Public Blockchain aus meiner Sicht nicht wirklich benutzen.

Tipp: Lesen Sie hier, was Blockchain eigentlich ist

Sie sind Teil des GENOhub-Teams, das für agile Innovationsarbeit in der genossenschaftlichen Finanzgruppe steht. Was geschieht dort?
Wir machen dort etwa Veranstaltungen, zum Beispiel den GENOhackathon. Wer eine Idee hat oder Spaß daran, drei Tage mit einem Programmierteam zusammenzuarbeiten, kann hier zeigen, was man sonst in der Bank nicht schafft, wenn man im Alltag gebunden ist. Im Hub kann man zeigen, dass innovative Ideen da sind. Das nutzen wir auch, um Ideen besser bewerten zu können, zum Beispiel interne Organisationsideen. Etwa eine App, in die ein Mitarbeiter morgens eintippen kann „Ich bin krank“, sodass man viel besser die Filialbelegung planen kann.

„Im Hub kann man zeigen, dass innovative Ideen da sind.“

Ist Künstliche Intelligenz auch ein Thema?
Ja, bei KI finde ich aber vor allem die Irrtümer spannend, die es darüber gibt. Man sagt immer: „Wir geben diese Bewertung jetzt an die Maschine“, und wir glauben, sie würde objektiv gemacht. Das ist aber nicht der Fall. Eine KI lernt aus Beispielfällen. Und die können Sie niemals diskriminierungsfrei gestalten. Wenn Sie eine Krankenversicherung verkaufen wollen und die Maschine soll den Tarif oder das Risiko ausrechnen, nimmt man aus dem Datensatz das Merkmal Mann oder Frau heraus. Die KI findet aber vielleicht heraus: Höhere Vorliebe für Rosa spricht für höhere Krankheitskosten. Dann bekommen Sie einen teureren Tarif dafür.

Eine KI bekommt irgendwann heraus, dass eine Gruppe ein höheres Schadenrisiko hat als die andere und weiß aber nicht, dass es Frauen und Männer sind?
Ja. Es ist so, dass Krankheitskosten von Frauen höher sind als von Männern. Nur soll das nicht in den Tarif einfließen. Also lassen wir eine KI lernen und nehmen ihr diese Information weg und glauben, sie kann es nicht feststellen. Die KI macht aber lauter indirekte Schlüsse, die wir nicht sehen können, und das führt zu Diskriminierungen, die wir dann nicht nachvollziehen können. Wenn man KI im Kundengeschäft einsetzt, sollte man jeder Beschwerde noch einmal menschlich nachgehen können.

Damit nehmen Sie Leuten, die sagen, dass KI diskriminierungsfrei sein soll, den Wind aus den Segeln.
Das schreiben auch alle in ihre Papiere. Natürlich wollen Politik oder Banker draußen, dass die Maschine es richtig macht. Die Erwartung ist, dass sie objektiv ist. Das geht aber leider nicht. Also müssen wir aufklären und fragen, was wir denn regulieren müssen. Das kann die Wirtschaft nicht selber machen, weil sie immer auf effektive Lösungen setzt und KI-Verfahren einsetzen wird. Die Frage ist aber: Kommt dabei eine Gesellschaft heraus, die wir noch haben wollen? Darüber brauchen wir den Dialog.

Interview: Thorsten Hahn, Laura Kracht

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