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„Die Banken waren sich ihrer Verantwortung bewusst“

Detlev W. Kalischer, Bereichsleiter bei der KfW und verantwortlich für Corona-Programme, über Milliardenhilfen für KMU, die Zusammenarbeit mit den Geschäftsbanken, Corona-bedingte Kreditanträge von Profi-Fußballclubs und den besonderen „Cappuccino-Effekt“ bei der KfW.


Kalischer KfW Verantwortung von Banken in Corona-Krise Kreditanträge
Fotos: KfW Bankengruppe

BANKINGNEWS: Herr Kalischer, die KfW hat bis Ende September rund 90.000 Hilfskredit-Anträge mit einem Volumen von mehr als 56 Milliarden Euro bearbeitet. Wie viel mehr ist das im Vergleich zum letzten Jahr?
Detlev W. Kalischer: Der Hilfsumfang, mit dem wir gestartet sind, ist schon erheblich. Vergleicht man das mit dem Vorjahreszeitraum, hat die inländische Förderung ihr Volumen verdreifacht. Wie Sie wissen, sind die Hilfsprogramme durch die Garantie des Bundes gedeckt. Ich gehe davon aus, dass die bisherigen Garantieleistungen, die der Bund uns bereitstellt, ausreichen werden, um die entsprechenden Hilfsprogramme abwickeln zu können.

Was, wenn nicht?
Sollte wider Erwarten ein höherer Bedarf entstehen, wäre es nicht das erste Mal, dass wir mit dem Bund ins Gespräch gingen. Das zeichnet sich im Moment aber nicht ab. Nach der Hochzeit im Mai verzeichnen wir inzwischen ein deutliches Abflachen der Antragszahlen. Während wir im Mai noch ein Antragsvolumen von rund einer Milliarde Euro pro Tag hatten, lagen wir beispielsweise im August bei etwa 100 Millionen Euro am Tag. Das ist schon relativ stark rückläufig. Wie die weitere Inanspruchnahme aussieht, wird natürlich von der weiteren Entwicklung der Pandemie abhängen. Wenn wir eine zweite Welle bekommen, sieht die Inanspruchnahme sicherlich anders aus.

Kommt die Hilfe da an, wo sie gebraucht wird?
Wir haben die Hilfe für alle Unternehmen angelegt, von kleinen Firmen bis hin zu DAX-Unternehmen. Deswegen haben wir verschiedene Programmvarianten vom Schnellkredit über das Sonderprogramm bis hin zur Konsortialfinanzierung. Wir stellen fest, dass die Hilfe im Prinzip genau da ankommt, wo sie gebraucht wird – und zwar ganz stark im Mittelstand. Rund 97 Prozent aller Anträge sind von KMU. Das sind auch meist gar keine hohen Summen. Der Median des Kreditbetrags liegt in etwa bei 120.000 Euro. Natürlich gibt es einige wenige große Konsortialfinanzierungen, die volumenmäßig zu Buche schlagen, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber das, was sozusagen unser Kerngeschäft ist, nämlich die Förderung des Mittelstands, bildet den Schwerpunkt der Förderung.

Jedem war bewusst, dass wir nicht in Normalzeiten sind.

Es gab in der Öffentlichkeit Kritik an Corona-bedingten Kreditanträgen von Profi-Fußballclubs. Wie stehen Sie persönlich dazu?
„Mein“ Verein ist der HSV und ob er überhaupt Anträge gestellt hat, weiß ich nicht (lacht). Grundsätzlich muss man zwei Dinge dazu sagen: Auf der einen Seite ist der Profifußball ein nicht unbedeutender Wirtschaftszweig in Deutschland. Auf der anderen Seite habe ich viel Verständnis für Kritik und Zweifel derjenigen, die fragen, ob es sinnvoll ist, dafür öffentliche Gelder einzusetzen. Das muss miteinander abgewogen werden. Man darf aber nicht vergessen, dass in den Profivereinen auch viele normale Arbeitnehmer beschäftigt sind. Am Ende werden wir aber auch hier mit dem Bund zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.

Wie lief aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit der Regierung bei Vorbereitung und Durchführung der Corona-Hilfen?
Das ist ein Musterbeispiel für fokussierte und konstruktive Zusammenarbeit, und das unter hohem Handlungs- und Zeitdruck. Die erste Krisensitzung war Ende Februar. Am 11. März haben wir den ersten großen Call mit den Ressorts gehabt, also besonders mit Wirtschafts- und Finanzministerium, und knapp zwei Wochen später, am 23. März, startete das Sonderprogramm. Noch vor Ostern haben wir es hinbekommen, die vollautomatisierten Prozesse zum Laufen zu bringen. Da ist in Tag- und Nachtsitzungen gearbeitet worden und zwar auch mit Ministeriumsvertretern, mit BaFin und Bundesbank. Uns allen war klar, jetzt hier einen Beitrag für ein großes gemeinsames Ziel zu leisten. Jedem war bewusst, dass wir nicht in Normalzeiten sind.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Geschäftsbanken, die ja das letzte Wort über die Kreditvergabe in Corona-Zeiten haben?
Natürlich waren Umsetzung und IT-technische Produktion dieser Programme für die Finanzierungspartner genauso große Herausforderungen wie für uns. Aber es hat sich bewährt, dass wir die Partner bereits bei der Konzeption einbezogen haben. Wir haben das Programm gemeinsam mit den Finanzierungspartnern, Ministerien und Bankenverbänden entwickelt. Das hat hervorragend geklappt. Ich glaube, die Banken waren sich ihrer Verantwortung und der außergewöhnlichen Situation bewusst.

Wie ging es dann weiter?
Natürlich mussten nach dem Start des Programms eine ganze Reihe an Rückfragen geklärt werden, zum Beispiel bei Themen wie „Ausschüttungsverbote an Unternehmenseigner“ oder Fragen wie „Was ist mit der Kombination verschiedener Hilfsmaßnahmen?“ und „Wie gehen wir mit dem Thema Sicherheiten um?“. Mittlerweile haben wir gut eingespielte Prozesse. So ist auch der Klärungsbedarf für die Einzelfragen deutlich zurückgegangen. Es ist auch klar, dass es Fälle gibt, bei denen Kredite abgelehnt werden müssen, sei es aufgrund fehlender Kapitaldienstfähigkeit oder wenn ein Unternehmen schon bereits vor der Krise in Schwierigkeiten war und deswegen vom Corona-Hilfspaket nicht profitieren kann. Einzelne Ablehnungsfälle gibt es. Die sind völlig normal und das hat sich in der Zusammenarbeit mit den Banken in der Zwischenzeit sehr gut eingespielt. Und natürlich: Am Ende ist die Kreditentscheidung die Entscheidung der Bank. Wir stellen die Haftungsfreistellung, aber letztlich bleibt es eine Kreditentscheidung der Bank.

Die Hilfsprogramme hatten ein oberstes Gebot – und das hieß Schnelligkeit.

Bei den Corona-Förderkrediten gab es auch Betrugsfälle. Es gelten „vereinfachte Sorgfaltspflichten bei der Kreditvergabe im KfW-Sonderprogramm“. Wie haben Sie sichergestellt, dass es nicht zu weiterem Betrug kommt?
In der Tat, diese Hilfsprogramme hatten ein oberstes Gebot – und das hieß Schnelligkeit. Wenn sie wirken sollten, dann mussten sie schnell am Markt sein. Das bedeutet zwingend, dass entsprechende Vereinfachungen der Kreditantragsprozesse notwendig waren. Diese Erleichterungen sind sowohl mit Bankpartnern als auch mit den Ministerien und der Bankenaufsicht abgestimmt worden und gelten nur für diese Corona-Hilfsprogramme. Gleichwohl haben wir Elemente zur Betrugsprävention eingebaut. Im Sonderprogramm setzen wir letztlich auf etablierte Kreditprüfungsprozesse der Banken. Die Kunden sind ihren Hausbanken in aller Regel bekannt. Die KYC-Prüfungen werden mit Billigung der Aufsicht zwar nach hinten geschoben, müssen aber nachgeholt werden. Die Unternehmen werden zu den Subventionstatbeständen aufgeklärt und geben alle auch eine entsprechende Bestätigung ab. Und der letzte Punkt ist, dass die KfW, wie bei jedem Kreditprogramm, Hausbankprüfungen vornehmen kann und vornehmen wird.

Wie haben die Corona-Programme Ihre Bank verändert?
Es wäre falsch zu behaupten, dass die Schaffung der Programme nicht eine große Herausforderung für die KfW gewesen wäre. Zumal wir natürlich die Programme selbst unter Corona-Bedingungen aufgesetzt haben. Das heißt, auch bei uns war knapp die Hälfte der Mitarbeiter im Homeoffice. Eines der größten Erfolgsgeheimnisse, und das wollen wir auch für die Zeit nach Corona bewahren, war der direkte Austausch und dass sehr schnelle Entscheidungen über alle Ebenen hinweg getroffen wurden, auch unter Einbeziehung der Ministerien. Das hat die Prozesse enorm erleichtert. Das Ganze war naturgemäß nicht nur ein Thema für das Inland, sondern für die gesamte KfW, das heißt, für Produktentwicklung, Finanzierungspartnermanagement, aber auch für das Info-Center, die Kundenanlaufstelle. Dort lagen die Anfragen zeitweise mehr als zehnfach über dem Normalwert. Die Homepage musste den Anfrageansturm verkraften, das Risikomanagement erheblich ausgeweitet werden und das Rechnungswesen hatte die Garantie- und Abrechnungssysteme mit dem Bund zu entwickeln.

Wie haben Sie das bewältigt?
Das Ganze war nur durch eine extreme Priorisierung möglich. Dabei gehen naturgemäß andere Projekte mal in die zweite Reihe. Was aber wichtig ist, dass sich die Digitalisierungsinvestition – ich erinnere an „Bankdurchleitung online“ der letzten Jahre – ausgezahlt haben, weil sich die 80.000 Anträge ohne Automatisierung und in weiten Teilen auch Vollautomatisierung gar nicht abwickeln lassen hätten können.

Es ist gut, dass sich alles, zumindest zwischenzeitlich, ein wenig beruhigt hat.

„Bankdurchleitung online“ ist ein gutes Stichwort. Zu Beginn hat die KfW mit dem „Cappuccino-Effekt“ geworben: „Eine verbindliche Zusage erhalten Sie binnen weniger Minuten, vielleicht haben Sie Ihren Cappuccino noch nicht einmal ausgetrunken.“ Wird manchen Antragstellern bei der Vielzahl der Anträge jetzt der Kaffee kalt?
Ganz im Gegenteil. Ich würde sogar sagen, um im Bild zu bleiben, der Cappuccino ist heute eher ein Espresso. Die Rückmeldungen der KfW erfolgen heute automatisiert innerhalb weniger Augenblicke. Und wir haben, als Besonderheit der Corona-Hilfsprogramme, ein Sonderprogramm, in dem bei einem Kreditvolumen bis drei Millionen Euro auf eine eigene Risikoprüfung verzichtet wird, um die Anträge möglichst schnell abarbeiten zu können. 99 Prozent aller Anträge haben wir automatisiert zugesagt, sodass ich sagen würde: eher Espresso als Cappuccino.

Wie sieht, nachdem eine große Zahl an Anträgen zu Corona-Hilfen abgearbeitet ist, Ihr persönliches Zwischenfazit aus?
Das Programm läuft. Das bedeutet, auch Varianten des Programms, zum Beispiel für gemeinnützige Unternehmen, sind aufgesetzt. Sinnvollerweise liegt nicht alles in der Zuständigkeit der KfW, sondern wird teilweise über die Länder und die mittelständischen Beteiligungsgesellschaften umgesetzt. Das ist aus meiner Sicht eine sinnvolle Aufgabenteilung. Insofern bin ich zufrieden.

Und wie sieht es in Zukunft aus?
Wenn wir den Blick nach vorne richten, bleibt uns allen die Hoffnung, dass es nach Überwindung der Krise gelingt, mit nachhaltigen Investitionen auf den Wachstumspfad zurückzukehren, auf dem wir vor der Krise waren.

Wie sind Sie persönlich im Job von Corona betroffen gewesen?
Mich hat das genauso getroffen wie die meisten anderen auch: Man macht sich vor allem Sorgen um die Gesundheit von Familie und Freunden. Es ist gut, dass sich alles, zumindest zwischenzeitlich, ein wenig beruhigt hat. Wir konnten Mitarbeiter auch mal in Urlaub schicken. Die Arbeitsbelastung der ersten Monate war schon immens. Etwas Normalität würde uns guttun. Wir drücken alle die Daumen, dass uns eine zweite große Welle erspart bleibt.

Interview: Thomas Friedenberger

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