„Das Mobilitätsbedürfnis lässt sich nur mit Neuwagen nicht decken“

Wie positioniert sich eine Autobank in der Mobilitätswende? Martin Guse, Sprecher der Geschäftsführung der Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, im Interview über die Vorteile der Diversifikation, vielversprechende sowie weniger zukunftsfähige Mobilitätskonzepte und die Entscheidung, eine Alternative zu sein.


„Das Mobilitätsbedürfnis lässt sich nur mit Neuwagen nicht decken“ Händler

BANKINGNEWS: Herr Guse, wie würden Sie Ihr Geschäftsmodell beschreiben und inwiefern sehen Sie eine Abgrenzung von anderen Autobanken?
Martin Guse: Wie der Name „Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe“ bereits sagt, sind wir Finanzdienstleister für die gesamte Branche. Das unterscheidet uns von Wettbewerbern, auch weil der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) unser Gesellschafter ist. Damit sind Vertreter der Autohändler in Deutschland direkt bei uns beteiligt. Sie stehen also eindeutig in unserem Wirken und Handeln. Neben dem Finanzierungsbedarf von Gebraucht- und Neuwagen geht es uns besonders um die Unabhängigkeit des Handels. Dieser hat heute mehr denn je ein zwiespältiges Verhältnis zu den Autoherstellern. Einerseits arbeitet er mit ihnen auf Vertragsbasis zusammen. Andererseits versucht der Autohersteller, dem Handel eine gewisse Abhängigkeit aufzuoktroyieren. Deshalb war und ist unser Ansatz, den Unternehmergeist der Händler zu stärken und seine Unabhängigkeit vom Automobilhersteller, aber auch von der Captive, zu unterstützen. So ist es in unseren Kooperationsverträgen als Ziel verabredet.

Das bedeutet konkret?
Das klassische Szenario ist, dass ein Händler, der einen Händlervertrag mit einem Hersteller hat, die Hersteller-Bank als ersten Ansprechpartner hat. Das lässt sich aus Händlersicht nicht vermeiden, weil etwa Neufahrzeuge über eine Einfkaufsfinanzierungs-Linie zinssubventioniert sind. Und wir kommen dann wie andere Wettbewerber in der Regel als Zweitbank ins Haus. In erster Linie wickeln wir Gebrauchtwagengeschäfte ab, da der Händler diese nicht bei der Captive platziert. Wir haben also eine klare Zuordnung zum Handel und respektieren seine Kundenhoheit in vollem Maße. Das bedeutet, wenn der Händler uns einen Kunden bringt, ist es für uns der Kunde des Handels. Das mag in der heutigen Zeit seltsam klingen. Auch wenn es nicht mehr für alle Händler relevant ist, wissen die, die es betrifft, das zu schätzen. Wir sind zusätzlich für Subaru Captive. Das ist aber in der Regel Geschäft mit Neuwagen. Grundsätzlich akquirieren wir Händler über unseren Außendienst. Das ist eine schöne Situation, weil wir nicht „weitergereicht“ werden. Man muss sich aktiv dafür entscheiden, mit uns zusammenzuarbeiten.

Man muss sich aktiv dafür entscheiden, mit uns zusammenzuarbeiten

Welche Vorteile hat die Händlervielfalt für Sie als Bank?
Das ist ein großer Vorteil, weil heute selbst die mittelgroßen Händler überwiegend zwei, eher drei Marken haben. Grundlagen stärken durch Diversifikation. Das kommt uns entgegen, weil für uns das Auto und die Markenkennung nicht relevant sind. Natürlich ist die Wettbewerbsfähigkeit nicht überall gleich. Beispielsweise ist das Geschäft von Volkswagen relativ abgeschottet, aber auch da ergeben sich Möglichkeiten. Das heißt, Unabhängigkeit von Herstellern ist unser Vorteil. Das gilt besonders mit Blick auf die Entwicklung der kommenden Jahre, da derzeit relativ viel Bewegung zu beobachten ist.

Mit JuhuAuto haben Sie in 2019 eine Gebrauchtwagenplattform ins Leben gerufen. Was ist der Hintergrund dieser Plattform?
Rückblickend war es eine gute Entscheidung. Das ist nicht unbedingt ein Bereich, in dem sich Banken tummeln und 2019 schon gar nicht. Wir haben aber über unsere Händler den Druck im Markt gespürt. Sie sagten uns, dass die Etablierung von Platzhirschen auf den Online-Marktplätzen eine gewisse Abhängigkeit bedeutet und es ohne Marktplatz schwierig sei, Gebrauchtwagengeschäft zu betreiben. Aus dieser Diskussion heraus haben wir uns entschieden, eine Alternative anzubieten. Im Prinzip geht es darum, dass der Endkunde über die Plattform das Auto eines Händlers erwerben, gleichzeitig aber auch jedes Fahrzeug finanzieren kann.

Die Etablierung von Platzhirschen auf den Online-Marktplätzen bedeutet Abhängigkeit

Wie hat sich diese seitdem entwickelt?
Wir haben durchaus unsere Lehren gezogen. Anfangs war die Plattform kostenlos, dann haben wir ab einer gewissen Anzahl von Fahrzeugen ein Preismodell eingeführt. Allerdings war das zu Pandemiebeginn und immer weniger Gebrauchtwagen gelangten auf den Markt, weil Neuwagen gefehlt haben. Daher haben wir entschieden, das Preismodell abzuschaffen, damit der Händler seine Fahrzeuge auf JuhuAuto kostenlos inserieren kann. Seit dem letzten Quartal 2021 steigen die Zahlen wieder. Zudem sind wir innovativ im Marketing, etwa mit Werbung auf YouTube und einem insgesamt stark digitalen Ansatz. Darüber hinaus sind wir als Kiezkönig-Sponsor beim FC St. Pauli aktiv. Wenngleich der aktuelle HändlerStock, wie man so schön sagt, geringer ist als zu Beginn, sind wir mit der Entwicklung zufrieden und haben mit der Plattform auch noch einiges vor. Wir glauben, dass der Autohandel durchaus eine Chance hat, sich auch gegen die großen Wettbewerber zu positionieren. Denn er hat immer noch einen großen Stellenwert bei Autokäufern. Das ist eine Frage von Vertrauen.

9-Euro-Ticket, der Ausbau der Elektromobilität und steigende Benzinpreise – wie bewerten Sie diese Entwicklungen in Bezug auf den Automobilmarkt?
Bange machen mich diese Entwicklungen nicht. Ich finde es eher gut, dass sie angestoßen sind. In bestimmten Ballungsräumen kann man sicherlich mehr auf ÖPNV setzen. Ich habe drei Kinder und weiß, dass ich sie über kurz oder lang nicht überall hinfahren kann. Insofern ist das für mich kein Entweder-oder, sondern die individuelle Mobilität wird bleiben. Mit der Pandemie ist der Wunsch nach Individualität sogar größer geworden, weil die Menschen sich nicht in die volle Bahn setzen wollten. Jetzt haben wir die kritischsten Phasen der Pandemie hoffentlich überstanden und da sehe ich keine Einschläge, aber eine Herausforderung, sich zu verändern. Das Thema Elektromobilität ist ein wichtiges Thema und politisch gewollt. Wir finanzieren per se das, was der Autohandel verkauft und was die Automobilindustrie produziert. Wir sind auch im Leasing-Bereich sehr aktiv und gehen selber ins Risiko für die neue Antriebstechnik, was nicht viele tun. Wir glauben, dass Elektromobilität eine Zukunft hat. Aber mir persönlich wird hierbei zu häufig gefragt, was der Dienstwagenbesitzer als nächsten Dienstwagen fährt. Ich bin auch Dienstwagenfahrer, aber das ist nicht der Kern der Problematik, sondern Mobilität muss in einem Transformationsprozess für die breite Masse bezahlbar bleiben. Auch wenn dieser Prozess mit höheren Benzinpreisen verbunden ist.

In welchen Bereichen ergeben sich durch die Verkehrswende auch interessante Geschäftsmodelle für (Auto)Banken?
Natürlich ergeben sich hier Geschäftsmodelle, ausgerichtet an der Frage, wie sich der Autohandel verändert. Was wir zumindest in Hamburg wahrnehmen, ist, dass es durchaus Modelle gibt, die nicht funktionieren. Als Konsument ist Carsharing keineswegs eine billige Angelegenheit und auch Rollerfahren ist fernab von den Preisen des ÖPNVs pro Kilometer. Insofern, und das ist nichts gegen die Geschäftsmodelle, fokussieren wir uns als BDK nicht auf den Einstieg in diesen Bereich, sondern schauen, was der Autohandel anbietet. Und wir versuchen, den Händler bei der Finanzierung dieser Vorhaben zu unterstützen. Wir schauen natürlich nach den Bereichen, in denen wir für unser Kerngeschäft einen direkten Benefit sehen. Das ist für manche Themen komplex und da ist es vielleicht auch manchmal gut, anderen den Vortritt zu lassen.

Welche Themen sind das zum Beispiel?
Ich kann mich erinnern, dass man Carsharing eine große Zukunft prophezeit hat. Und jetzt? Natürlich ist eine Pandemie für ein Sharing-Thema nicht zuträglich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand nur deswegen kein Auto anschafft. Bei der Mobilitätsfrage nur aufs Auto zu setzen ist insgesamt keine gute Idee, ebenso wenig wie das Auto komplett zu verteufeln. Die Frage sollte sein, wohin man sich entwickeln sollte oder muss. Generell bin ich aber positiv bei den Anbietern, die in diesen Themen unterwegs sind. Ich finde es gut, dass Leute den Mut haben, mitzuziehen. Es ist nur wichtig, dass sich ein gewisser Standard entwickelt, weil wir sonst mit Apps überfrachtet sind.

Wie positionieren Sie sich im Bereich Nachhaltigkeit? Inwiefern halten Lösungen zur Mobilitätswende Einzug?
Ich verstehe die Perspektive, dass Kraftfahrzeuge ein nicht-nachhaltiges Produkt sind, habe aber eine etwas differenziertere Sichtweise dazu. Bei der Produktion eines Fahrzeuges entstehen natürlich auch Emissionen, nicht nur bei der Nutzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bei Elektrofahrzeugen zumindest die Nutzung emissionsfrei ist, ist es trotzdem so, dass Mobilität ausschließlich mit Elektrofahrzeugen im Moment nicht funktioniert.

Inwiefern?
In Deutschland gibt es einen Bestand von mehr als 40 Millionen Fahrzeugen. Diese Fahrzeuge müssen auch aktuell noch auf der Straße sein. Solange hier eine Überbrückung stattfindet, sehe ich uns als wichtiges Instrument zur Bereitstellung von Mobilität. Wenn ein 15 Jahre altes Auto durch ein drei Jahre altes Auto ersetzt wird, kann man schon davon ausgehen, dass es eine deutlich bessere Umweltbilanz hat. Aber Ressourcen sind nun einmal begrenzt. Der Anstieg der Gebrauchtwagenpreise hat seinen Grund. Es liegt nicht daran, dass die Leute keine Gebrauchtwagen mehr fahren, sondern dass nicht genügend Neuwagen produziert werden können. Und wir könnten unser Mobilitätsbedürfnis nur mit Neuwagen nicht annähernd decken. Deswegen ist es gut, wenn die Fahrzeuge zumindest so lange noch im Markt sind, bis sie wirklich nicht mehr tragbar sind.

Welche Auswirkungen haben die Marktbewegungen auf Ihren Geschäftsbereich und auch auf Ihre Kunden?
Da sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen ist es nicht gut für uns, da die fehlenden Neufahrzeuge und mittelbar auch die fehlenden Gebrauchtfahrzeuge das Potenzial für eine Finanzierung reduzieren. Auch die Fahrzeuglager beim Händler sind leerer als vor der Pandemie. Zum anderen spüren nicht nur die Endkunden die Preisanstiege, sondern auch wir, weil unsere Finanzierungsbeträge steigen. Auf der Leasing-Seite sieht es noch ein bisschen anders aus. Hier haben wir relativ viele Bestellungen, die nicht ausgeliefert werden können. Gleichzeitig kommt uns die Marktlage bei den Leasingrückläufern, die wir haben und in den Autohandel zurücksteuern, ein Stück weit zugute. Wenn das Preisniveau am Markt steigt, steigt es auch bei uns. Und da ist die Situation momentan eher komfortabel, weil die Preise deutlich über unserer Vorhersage liegen.

Mir persönlich gefällt es gut, dass in diesem Umfeld ein bisschen was los

Durch die Mobilitätswende verändern sich auch Kompetenzanforderungen. Macht sich das in Ihrem Haus und bei Ihren Partnern bemerkbar?
Wir haben diverse Partnerschaften, nicht nur im Autohandel, sondern auch mit IT-Dienstleistern, Werkstatt-Service-Anbietern und mit Händler-Verbänden. Und ja, dort finden Veränderungen statt. Wir begleiten diese Entwicklungen, animieren unsere Partner aber auch, mit uns bestimmte Wege zu gehen. Mir persönlich gefällt es gut, dass in diesem Umfeld ein bisschen was los ist und wir in einem Markt unterwegs sind, wo vieles noch nicht klar ist. Die Herausforderung ist es dann, Dinge besser zu machen als in der Vergangenheit.

Wie würden Sie die Zukunft von Autobanken in der Finanzbranche beschreiben?
Ich sehe die Autobanken noch intensiver in den Verkaufsprozess von Kunden involviert. Hier ist dann oft die Rede von Embedded Finance. Die Präsenz als Autobank war immer eher in zweiter Reihe. Kaum jemand hat aktiv eine Autobank aufgesucht. Das Thema Finanzierung sollte viel mehr in den Verkaufsprozess integriert werden. Und Autobanken sollten sich mehr auf den Endkunden fokussieren, als das im Wettbewerbsumfeld bisher der Fall war.

Eine Kritik, die fast alle Banken hören.
Man muss sich fragen: Was möchte der Kunde beim Autokauf? Da haben wir mit JuhuAuto angefangen. Die Plattform ist am Endkunden ausgerichtet, ohne dabei den Händler auszuschließen. Es sollte und wird hier unverändert Wettbewerb geben. Das Geschäft muss sich in Richtung Endkunden weiterentwickeln, aber am Ende wollen die Mobilitätskonzepte auch finanziert werden. Außerdem liegt Leasing im Trend. Das ist auch logisch, denn die Veränderungen in der Antriebstechnik sorgen für ein Risiko, das besonders Privatpersonen nur schwer abschätzen können. Hier sind wir noch lange nicht dort, wo wir hinwollen, und auch da mag es wieder gesellschaftliche Hindernisse in Form von Pandemie, Krieg und Energiekrise geben. Autonomes Fahren ist ebenfalls ein interessantes Thema, bei dem es gesellschaftlich und ethisch noch Diskussionen geben muss. Es wird sehr spannend sein, das in einer verantwortungsvollen Position zu begleiten.

Interview: Thorsten Hahn und Laura Kracht

Sie möchten wissen mit welchen klugen Köpfen wir noch gesprochen haben? Dann lesen Sie hier unser Interview mit Andreas Schulz, Vorstandsvorsitzender der Mittelbrandenburgischen Sparkasse und hier haben wir uns mit dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken, Jens Tolckmitt unterhalten.