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„Wir Sparkassen sind hoch innovativ und da wird noch eine Menge mehr kommen”

Die Mittelbrandenburgische Sparkasse (MBS) ist nach Bilanzsumme eine der führenden deutschen Sparkassen und die mit dem größten Geschäftsgebiet. Seit 2003 wirkt Andreas Schulz als Vorstandsmitglied an ihrer Entwicklung mit. Im BANKINGNEWS-Interview spricht er über Doppelbankbeziehungen, flächendeckende Versorgung der Kunden und das vermeintliche Image der Sparkassen.


Wir Sparkassen sind hoch innovativ und da wird noch eine Menge mehr kommen Kunden Kundenbindung

BANKINGNEWS: Herr Schulz, Sie sind bereits seit 2003 im Vorstand der Mittelbrandenburgischen Sparkasse (MBS). Auf welche Prinzipien legen Sie bei Ihrer Arbeit besonderen Wert?
Andreas Schulz: Schon vor meinem Studium habe ich eine Sparkassenlehre gemacht. Und nach dem Studium habe ich mich bewusst wieder für die Sparkassenorganisation entschieden, da ich vom Geschäftsmodell überzeugt bin. Unter anderem deshalb, weil in der Sparkasse wesentlich mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung geboten werden als in großen Konzernen. Das ist ein Geschäftsmodell, welches bewiesen hat, dass es sich auf aktuelle Gegebenheiten einstellen kann. Was meine Prinzipien angeht, könnte ich jetzt sagen, dass Sie da andere fragen müssen (lacht). Aber ich glaube, dass ich relativ ergebnis- und zielorientiert arbeite. Meine Aufgabe ist es, Wandlungsfähigkeit, Kontinuität und Zeitgeist in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Die Kundenorientierung, Kundenbindung sowie die Nähe zum Kunden werden seit unserer Gründung hoch gewichtet. Tradition und Moderne müssen in einen Ausgleich gebracht werden. Gerade in der Führung ist es wichtig, den Mitarbeitenden zu vermitteln, wo man steht und wo man hinmöchte. Ich denke, dass ich das gut umsetzen kann.

Sie haben das Stichwort Kundenbindung genannt. Wie entwickelt sich diese derzeit in der Sparkassen-Organisation?
Kundenloyalität und Kundenbindung sind immer im Fluss, aber ich glaube, dass wir überwiegend einen guten Zugang zum Kunden haben und dass das nach wie vor ein Asset der Sparkassen ist. Natürlich sind Kunden aufgeklärte Verbraucher, die unter Umständen auch Neues bei anderen Anbietern ausprobieren. Manche Kunden pflegen demnach Doppelbankbeziehungen. Daraus würde ich aber nicht den Rückschluss ziehen, dass Kundenbindung nicht mehr existiert. Wir überzeugen Kundinnen und Kunden schlichtweg mit sauberen Analysen auf der Vermögensseite, um sie bei ihren Zielen zu unterstützen und sie über Risiken aufzuklären. In den letzten Jahren gab es Negativzinsen und aktuell einen noch deutlich tiefer ins Minus gerutschten Realzins. Da ist es elementar, mit den Kunden zu reden.

In der Sparkasse werden mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung geboten als in großen Konzernen

In welchen Bereichen sehen Sie hierbei Optimierungsbedarf?
Es ist grundsätzlich wichtig, Vorgehensweisen und Modelle permanent auf den Prüfstand zu stellen und zu schauen, wo man etwas besser machen kann. Sich auf den Gegebenheiten auszuruhen, sehe ich als Gefahr. Die Mittelbrandenburgische Sparkasse ist kapital- und ertragsstark. Und dies gilt es weiter voranzutreiben, etwa indem man die Kundenseite in den Fokus stellt und hier an der Effizienz arbeitet. Das schließt auch das Thema Digitalisierung ein. Wie erzeuge ich  räumliche und digitale Nähe zu Kunden, um den Big Techs Paroli zu bieten? Wobei sich bei den Big Techs immer die Frage stellt, ob ihre Kompetenzanmutung im Kerngeschäft auch auf das Finanzdienstleistungsgeschäft übertragbar ist. Aber die Sicherung des Zugangs zu unseren Kunden ist eine Aufgabe, die wir in jedem Fall schaffen müssen.

Damit sind wir auch beim Thema Innovation. Die wenigsten verbinden Innovation mit der Sparkassenorganisation. Woran liegt das?
Dieses Thema kann man von zwei Ebenen betrachten, der Sachebene und der emotionalen Ebene. Auf der Sachebene haben wir uns zwar weiterentwickelt, aber es muss uns noch gelingen, die emotionale Ebene besser zu besetzen. Ich glaube absolut, dass sich die Gesamtorganisation in den vergangenen Jahren in die richtige Richtung bewegt hat, etwa mit der Einführung unserer App. Auch bei der Girocard haben die Sparkassen die Wettbewerber überholt. Darüber hinaus wurden viele Produkte mit Innovationskraft eingeführt und wir haben unser Marketing umgestellt. Wir Sparkassen sind hoch innovativ. Und da wird noch eine Menge mehr kommen in den nächsten Jahren, denn die Digitalisierung ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt bei uns Prozesse, die zu 80 Prozent digital ablaufen und dann wird plötzlich ausgedruckt. Genau da müssen wir ansetzen.

Müssen Banken dazu nicht auch das Thema Digitalisierung anders denken?
Die Sparkassen sind bei diesem Thema gut beraten, die Kunden mitzunehmen. Amazon und Co. setzen auf Bequemlichkeit in ihren Prozessen und da müssen wir nachziehen. Hier kann man sie wahrscheinlich kaum überholen, dafür ist es aber möglich, auf andere Qualitäten zu setzen wie beim Thema Datensicherheit. Wenn etwa ein Fintech einen Teilaspekt der Wertschöpfungskette herausgreift und dort sehr innovativ vorgeht, muss ich mir das genauer anschauen. Ist das vielleicht auch für mein Unternehmen ein Thema? Auf lange Sicht muss man Produkte vollständig digitalisiert anbieten. Manches könnte sicherlich schneller ablaufen, aber Geduld ist bei diesem Thema eine gute Sache. Denn es ist wichtig, zu schauen, wie sicher die Prozesse sind und ob sie wirklich zu Ende gedacht wurden.

Inwiefern betrifft Sie der Fachkräftemangel?
Der Fach- und Führungskräftemangel ist in der gesamten Wirtschaftswelt angekommen. Tatsächlich habe ich mit diesem Ausmaß und dieser Schnelligkeit auch nicht gerechnet. Wir haben drei Ausbildungsjahrgänge und die brauchen wir auch. Denn nichts ist so gut prognostizierbar wie der demografische Wandel. Die MBS hat 2022 wieder 50 junge Leute eingestellt. Trotzdem ist es eine Herausforderung, Fachkräfte zu bekommen und langfristig zu binden. Wir legen viel Wert auf Arbeitgeberattraktivität, und Homeoffice ist auch keine Raketenwissenschaft mehr. Dennoch müssen wir darauf achten, dass Bewerberinnen und Bewerber zu uns passen und da spielt persönlicher Kontakt schon eine Rolle.

Homeoffice ist nun auch keine Raketenwissenschaft mehr.

Mark Zuckerberg hat gesagt, dass er Mitarbeiter einstellen und entlassen würde, ohne sie persönlich gesehen zu haben. Besteht diese Gefahr bei Ihnen auch?
Es ist immer wichtig zu betrachten, wo jemand arbeitet, der so etwas sagt. Und Herr Zuckerberg ist natürlich im IT-Bereich tätig, in dem ein solches Szenario vorstellbar ist. In den Bereichen einer Bank läuft das etwas anders. Ein solcher Zustand, wie er ihn beschreibt, setzt eine perfekte Digitalisierung voraus. So weit ist die Finanzbranche noch nicht. Hier muss man aber auch nach Berufen differenzieren. Ein Administrator kann sicherlich häufig im Homeoffice arbeiten. Wir sehen die Gefahr eher im Besetzen der offenen Stellen. Wir sind ein Haus, das noch vieles selbst macht. Dafür bedarf es qualifizierter Mitarbeiter. Um diese zu bekommen, müssen wir uns mit ihnen beschäftigen. Und das ist schwerer geworden als noch vor etwa zehn Jahren.

Und wie gestalten Sie Ihre Filialstrategie, also die physische Nähe zu Ihren Kunden?
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die dem Abgesang der Geschäftsstelle grundsätzlich folgen. Wir haben eine Vorstellung davon entwickelt, was flächendeckende Versorgung für uns bedeutet. Das ist sicherlich ein dynamischer Begriff. Wir haben vor drei Jahren aufgrund verschiedener Gegebenheiten elf Filialen geschlossen. Geschäftsstellen sind ambivalent, auch in der Kundenwahrnehmung. Wir haben kürzlich eine Kundenbefragung durchgeführt und das Ergebnis war, dass die meisten Kundengruppen die Geschäftsstellen gut finden und gleichzeitig angeben, dass sie sie aber nicht mehr besuchen. Das beschäftigt uns auch beim Thema Neukundengewinnung, denn oft wird gesagt, dass das nur über die Filiale geht. Ich würde allerdings empfehlen, sich die Onlineprozesse genau anzusehen. Wir stehen vor der Aufgabe, an den Geschäftsstellen nur so weit festzuhalten, dass wir die Abdeckung in unserer Region noch sicherstellen können. Aber das Geschäftsstellennetz per se steht nicht zur Diskussion.

Was macht für Sie eine Geschäftsstelle aus? Wäre es möglich, Filialen zu verkleinern und sie in Büro-Form zu denken?
Was eine Geschäftsstelle ausmacht, ist eine spannende Frage. Ist diese ein Werbeträger? Denn es ist teurer, Werbung auf einer S-Bahn zu schalten als eine Geschäftsstelle im ländlichen Raum zu betreiben. Natürlich haben sich Filialen weiterentwickelt, es gibt keine Kassen mehr, sondern überwiegend SB-Automaten. Sicherlich müssen wir das Verhältnis von Service und Beratung festlegen. Wir haben die Zahl der Servicekräfte in den letzten Jahren reduziert, stehen jetzt aber vor gewissen Herausforderungen, weil der Service für Kunden noch immer wichtig ist. In größeren Geschäftsstellen sitzen heute auch Baufinanzierungsberater und es gibt Vermögenscenter. Da wird es sicherlich einen Trend geben, die Geschäftsstellen mit weiteren Spezialisten zu ummanteln.

Dabei suchen Kunden die Filialen doch gar nicht mehr auf.
Nein, sie gehen nur weniger in die Filiale. Deswegen muss man auch gewisse Personalfragen klären. Denn ein Berater, der einen halben Tag lang Service macht, ist dafür zu teuer. Wir müssen uns ganz genau überlegen, welcher Standort welchen Traffic erzeugt und welche personelle Ausstattung wir dort brauchen. Diese Fragestellung hat für uns zur Schließung der elf Filialen geführt. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass Kunden nur eine gewisse Kilometeranzahl bis zur nächsten Geschäftsstelle zurücklegen sollten. Das wird dazu führen, dass im ländlichen Bereich manche Filialen erhalten bleiben. Die Geschäftsstelle wird sich vielleicht wandeln, aber ich glaube schon, dass sie ihren Platz behalten wird. Sonst würde auch unser Slogan „Wenn’s um Geld geht – Sparkasse“ nicht mehr glaubhaft. Wir müssen den Spagat also hinkriegen.

Sie sind als beste Bank in der Beratungsqualität ausgezeichnet worden. Wie gelingt Ihnen das mit Kunden, die sie kaum noch persönlich sehen?
Häufig ist ja die Rede vom Bring- und Holgeschäft. Mitte der 90er-Jahre stand das Bringgeschäft im Fokus. Heute hat sich das gewandelt hin zum Holgeschäft. Und das müssen die Banken verstehen und ihre Kontakte entsprechend mit dem Kunden organisieren. Das machen wir etwa mit unserer Videoberatung.

Wie wird Videoberatung angenommen?
Das klappt ganz gut. Die Kunden können mit der Beraterin oder dem Berater in den Austausch gehen und bei Bedarf auch einen Spezialisten dazu schalten, der die nötigen Kompetenzen abdeckt. Wir haben das etwa beim Thema Baufinanzierung eingeführt und damit bisher gute Erfahrungen gemacht. Und es gibt praktische digitale Ergänzungen, etwa die Möglichkeit für die Kunden, Unterlagen zur Selbstauskunft bequem online hochzuladen. Da ist es natürlich auch unser Job, unsere Leute fit zu halten und ihnen Konzepte an die Hand zu geben.

Kunden sind mit Krisen und steigenden Kreditzinsen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Ich kann natürlich nur für unser Haus sprechen, aber wir haben nie mit der Ist-Zinssituation unserer Kunden gerechnet, sondern immer mit Mindest-Annuitäten von sechs Prozent. Die meisten haben eine feste Zinsbindung für zehn Jahre. Es wird also spannend zu sehen, was nach diesen zehn Jahren passiert. Vielleicht ist die Restschuld geringer oder die Immobilie weniger wert. Im Idealfall würde die Tilgung dem möglichen Wertverlust entsprechen. Wir haben in der Niedrigzinsphase eine Mindesttilgung vorgeschrieben und einen Durchschnitt von über drei Prozent Tilgung gehabt. Die gewerbliche Wirtschaft leidet natürlich extrem unter den Energiepreisen und Lieferkettenengpässen.

Die Qualität der aktuellen Krise ist eine andere als zuvor.

Besorgt Sie das?
Im Moment sehen wir im Unternehmenssektor zwar eine Null auf der Risikoseite, aber das wird sich ändern. Was die Zinsen anbelangt, ist es dieselbe Diskussion, die wir schon in den Jahren 2008 und 2009 geführt haben. Wenn Sie die Zinsaufwandsquote von Unternehmen in der Gesamtleistung betrachten, gibt es nur wenige Branchen, in denen diese Quote überhaupt einstellig wird. Corona ist gerade erst bewältigt, mit Staatshilfen und Tilgungsaussetzungen. Aktuell haben die Unternehmen ihre Tilgung wieder aufgenommen. Aber die Qualität der aktuellen Krise ist eine andere. Wenn Sie mich fragen, mache ich mir vor allem Sorgen darüber, dass es zu plötzlichen Ereignissen kommen kann. Bei Corona waren gewisse Probleme bei den Lieferketten abzusehen, aber die Ukrainekrise ist wesentlich komplexer. Hier muss man manchmal um viele Ecken denken, bis man realisiert, wie stark einzelne Branchen betroffen sind.

Sehen Sie diesbezüglich auch Auswirkungen auf den Immobilienmarkt?
Einen Immobiliencrash sehe ich nicht, auch wenn die Entwicklung nicht linear verlaufen wird. Wir sind ein konservatives Haus und haben unsere Bewertungsmaßstäbe. Insofern mache ich mir beim Thema Immobilien für das Altgeschäft nicht so große Sorgen. Bei Unternehmen hingegen wird man schauen müssen. Es würde mich freuen, wenn nichts kommt.

Interview: Thorsten Hahn und Laura Kracht

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