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ChatGPT – Gamechanger für die Finanzwirtschaft?

Mit der Lancierung von ChatGPT wurde ein globaler Hype ausgelöst. Millionen von Anwender chatten mit dem bekanntesten Chatbot der Welt. Aber welche Folgen wird die LLM-Technologie für die Finanzwirtschaft haben?


Frauenhand mit Smartphone und Chatsymbol

Ein Blick in die Medien und auf die Diskussionen auf sozialen Plattformen beweist: ChatGPT ist wirklich groß. Auch bei den Entscheidungsträgern von Banken und Versicherungen steht die Künstliche Intelligenz ganz oben auf der Agenda. Auf die Finanzbranche könnte ein fundamentaler Wandel zukommen. Noch ist sie sich aber nicht ganz im Klaren, ob zum Guten oder zum Schlechten. Wie sollen Finanzinstitute mit dieser dynamischen Lage umgehen? Welche Strategie ist nun die richtige?

ChatGPT im Kundenservice

Bereits 2016, als der erste Chatbot-Hype losgetreten wurde, stellten sich viele Unternehmen aber auch Kunden und Mitarbeiter die Frage, ob diese neue Technologie den Kundendienst umkrempeln würde. Kurzfristig erwiesen sich die Mutmaßungen als übertrieben. Spätestens in der Corona-Pandemie glühten die Telefonleitungen mehr denn je und auch die E-Mail erlebte ihren zweiten Frühling. Doch mit der Large-Language- Modell-Technologie (LLM) gewinnt die Frage von damals erneut an Aktualität. Experten bemängeln bereits heute, dass rund 50 Prozent der Besucher von Bank- und Versicherungs-Webseiten keine Lösung für ihre Fragestellung finden. Und irgendwie liegt der kundenseitigen Orientierungslosigkeit auch eine nachvollziehbare Problemstellung zu Grunde.

Je mehr Informationen auf einer Website oder App bereitgestellt werden, um jede noch so spezielle Anfrage beantworten zu können, desto größer ist das Potenzial, Kunden und Interessenten zu verschrecken. Genau hier setzen LLMs an. Sie sind in der Lage, aus mehreren komplexen Quellen eine Schlussfolgerung zu ziehen und ihre Erkenntnis in verständlicher Weise auszudrücken.

Ob das Ergebnis korrekt ist oder nur plausibel klingt, aber fehlerhaft ist, ist per se nicht sichergestellt. Allerdings ist diese Herausforderung nicht neu, sondern altbekannt. So steht das „Kleingedruckte bei Versicherungen“ exemplarisch für dieses praktische Problem. Laienverständliche und zugleich rechtssichere Verträge erweisen sich als Utopie. Mit dem Einsatz von LLM verschieben sich nun die „Fehlinterpretationsrisiken“ vom Kunden zum Chatbot. Hieraus entstehen neue Haftungsfragen, die durch den Gesetzgeber erst noch geklärt werden müssen.

Werden Kunden durch intelligente Chatbots von der Informationsrecherche entlastet, nutzen sie diese auch. Wenn im Rahmen des Chats, Kunde und Bot gemeinsam zur Erkenntnis gelangen, dass die noch offenen Details mit einem Mitarbeiter geklärt werden sollten, ist natürlich der Chat-Kanal und nicht mehr das Telefon erste Wahl. Wenn allerdings Chatbots mit einer simplen Text- oder Spracheingabe mehr Convenience bieten als aufwändig aufbereitete Benutzeroberflächen auf Webseiten und Apps, werden die Bots auch für deren Gestaltung stilprägend sein. Womöglich sehen wir in einigen Jahren nur noch blinkende Cursor und Mikrofon-Symbole auf den Bildschirmen. Die UX-Designer werden sich etwas einfallen lassen. Große Sprachmodelle bieten darüber hinaus weitere Potenziale in der Analyse, Zusammenfassung und Interpretation von Textinhalten, die sich nahezu zwangsläufig auf die Wertschöpfung von Finanzunternehmen auswirken werden.

Es geht los – aber in welche Richtung?

Aktuell ist ein hochdynamischer technischer Fortschritt zu erkennen. Daher gilt es, nicht den Anschluss zu verpassen und zugleich sorgsam mit den knappen Ressourcen umzugehen. Banken und Versicherungen sind dadurch gezwungen, gewisse Risiken einzugehen. Nicht zu handeln und abzuwarten, ist dabei wahrscheinlich das größte Risiko von allen. Vor diesem Hintergrund bieten sich Experimente, die klar als solche erkennbar sind, als mögliche Handlungsoption an. Mit ihnen können sowohl auf Kunden- wie auch auf Anbieterseite Erfahrungen gesammelt werden, ohne dabei zu hohe Erwartungen zu schüren.

Florian Nägele

Helvetia Versicherungen Schweiz

Florian Nägele ist Head Conversational & Marketing Automation bei Helvetia Versicherungen Schweiz.

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