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„KI ist nicht die Lösung für alles“

Wo liegen die Potenziale Künstlicher Intelligenz? Läutet sie das Ende der menschlichen Beratung ein? Und wie sollten sich kleine Banken dem Thema nähern? Ein Interview mit Gian Reto à Porta, CEO von Contovista.


Gian Reto à Porta ist CEO des Schweizer Fintechs Contovista AG
„Man muss ganz klar definieren und kommunizieren, was man unter KI versteht und was man erwarten kann.“ – Gian Reto à Porta, CEO Contovista

BANKINGNEWS: KI ist das Buzzword der Stunde. Zurecht?

Gian Reto à Porta: Mitunter wird der Irrglaube verbreitet, dass KI die Lösung für alles ist. Ja, wir benutzen den Begriff auch, da sich darunter viele Analytics-Methoden zusammenfassen lassen, die wir schon lange anwenden. Aber man muss ganz klar definieren und kommunizieren, was man unter KI versteht und was man erwarten kann. Wir erklären unseren Kunden genau, welche Methoden wir einsetzen und warum wir glauben, dass diese gut funktionieren. Gerade im Banking besteht großes Potenzial. Banken haben – unter anderem dank regulatorischer Verpflichtungen – viele, gut strukturierte Daten. Das ist eine gute Basis für Analytics.

Finden Sie bei den Banken tatsächlich eine so gut strukturierte Datengrundlage vor, mit der Sie sofort arbeiten können?

Das Wertvollste ist, dass die Daten vorhanden sind. In anderen Industrien müssen sie erst gesammelt oder eingekauft werden. Unsere erste Aufgabe ist es, die Daten anzureichern und in ein Format zu bringen, mit dem man Modelle trainieren kann. Mit einem Text in einer Datenbank kann man erst mal nicht viel anfangen. Wir extrahieren diesen Text, erkennen, welche Informationen enthalten sind, und reichern ihn mit Attributen an. Dann wissen wir, wer etwa die Gegenpartei einer Transaktion war, welcher Kategorie sie zuzuordnen ist, wo sie stattgefunden hat und so weiter. Schlussendlich haben wir die Attribute, die unsere KI-Modelle brauchen.

„Im Banking sind wir von Filterblasen weit entfernt“

Wo liegt das größte Potenzial für Banken?

Fast überall. Welcher Bereich am spannendsten ist, hängt von der jeweiligen Bank ab: Was will sie erreichen? Wo möchte sie sich differenzieren? Wo muss sie effizienter werden? Im Fraudmanagement nutzen viele Spezialisten bereits KI-Modelle. Was jetzt immer stärker Einzug hält, ist die Vertriebsunterstützung.

Wie kann KI in der Bankberatung eingesetzt werden?

Zum einen für die intelligente Selektion der Kunden, die an einer Beratung interessiert sein könnten. Das hilft dem Berater, seine Zeit sinnvoll einzusetzen. Zum anderen kann er sich mit einem KI-Advisory-Cockpit besser auf das Gespräch vorbereiten. Das bezieht sich auf die Auswahl der Produkte und auf die Argumente, die diesen Kunden am besten überzeugen könnten.

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Besteht die Gefahr, dass nicht mehr ergebnisoffen beraten wird, da durch KI-getriebene Selektion eine Filterblase entsteht, wie wir sie von Social-Media-Plattformen kennen?

Im Banking sind wir von Filterblasen weit entfernt. Ein großer Unterschied ist, dass wir es mit Mensch-zu-Mensch-Kommunikation zu tun haben. Wenn der Berater im Gespräch spürt, dass der Kunde ein Bedürfnis hat, das die Maschine nicht erkannt hat, kann er darauf eingehen. Im Vergleich zu heute wäre dem Kunden bereits geholfen, wenn der Berater besser über ihn Bescheid wüsste. Und im reinen Onlinevertrieb machen wir die Erfahrung, dass gezielte Produktvorschläge für den Kunden viel spannender sind, als wenn allen Kunden die gleichen Produkte ausgespielt werden.

Also sagen auch Sie als Technologieunternehmen: Die menschliche Beratung bleibt wichtig?

Ganz klar. KI kann den Berater effizienter machen und ihm helfen, einen besseren Job zu machen. Sie kann die Schnittstelle von Online- und Offline-Kanälen verbessern. Wenn der Kunde online angibt, dass ihn ein Produkt nicht interessiert, speisen wir das in das Berater-Tool ein. Das Zusammenspiel zwischen Technologie und Mensch wird in Zukunft extrem wichtig sein.

„Man benötigt kein großes Data-Science-Team“

Wo können mittelständische und kleine Institute ansetzen, die große KI- oder Data-Science-Einheiten personell und finanziell nicht stemmen können?

Es ist wichtig, das Thema trotzdem anzugehen. Kleine Banken sollten sich die Frage stellen: Bei welchem Thema kann uns KI helfen? Und dann startet man ein Pilotprojekt. Wenn man den Anwendungsfall gut gewählt hat und die Zahlen stimmen, treibt man es weiter. Der nächste wichtige Schritt ist, Know-how im eigenen Unternehmen aufzubauen. Man benötigt kein großes Data-Science-Team, aber eine Person, die für das Thema verantwortlich ist. Sie kann gegebenenfalls von externen Experten unterstützt werden und von deren Vorwissen profitieren. Es gibt heute auch sehr gute Trainings und Kurse, in denen man Wissen weniger auf technischem aber auf Business-Level aufbauen kann. Anschließend können weitere Projekte aufgesetzt werden, die auf das Geschäftsmodell einzahlen.

Interview: Philipp Scherber

Gian Reto à Porta wird dieses Thema in seinem Vortrag auf unserem Kongress „Mensch. Maschine. Bank. | KI in der Finanzbranche“ am 24./25.09. vertiefen.