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Die Zeitenwende im Asset Management und ihre Folgen

Die mit Wucht zurückgekehrte Inflation dürfte länger bleiben als viele Kapitalmarktexperten meinen und damit die Aktienmärkte unter Druck setzen. Anleihen bekommen in diesem Umfeld wieder eine wichtige Funktion als Stabilisatoren im Portfolio. Harald Preißler analysiert die Perspektiven des Asset Managements.


Anleihen Asset Management

Lange Zeit wurde die Inflation verharmlost, vor allem die Zentralbanken taten sich beim Kleinreden hervor. Nun ist sie mit voller Wucht zurückgekehrt. Diesseits und jenseits des Atlantiks steigen die Preise in rasantem Tempo. In Deutschland überragten die Lebenshaltungskosten ihren Vorjahreswert im April 2022 um 7,4, in der Eurozone um 7,5 und in den USA um 8,5 Prozent.

Auch wenn der Gipfel dieses Trends zur Mitte des Jahres durchschritten sein sollte, dämmert immer mehr Experten, dass mit einer baldigen Rückkehr in die alte Komfortzone (<2 Prozent) nicht zu rechnen ist. Natürlich werden die Zahlen gegenwärtig von allerlei Sonderfaktoren wie Lieferkettenproblemen und Energiepreisanstieg überzeichnet.

Im Hintergrund haben indes mächtige, strukturelle Auftriebskräfte begonnen, ihre unheilvolle Wirkung zu entfalten. Neben der demografisch bedingten Verknappung von Arbeitskräften sind dies vor allem die Kosten der Energiewende sowie die im Trend steigenden Preise für Industriemetalle. Wenn wir tatsächlich mit einer Zeitenwende im Inflationsklima konfrontiert sind, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Asset Management?

Dass die Teuerungsraten überhaupt vom Trab in den Galopp übergehen konnten, hängt mit der ultralockeren Geldpolitik der Zentralbanken zusammen. Diese hatten seit 2014 mit stark überdimensionierten Anleihenkäufen den Boden für eine Reflationierung bereitet.

Fehlschlüsse aus der Zinserhöhung

Fatalerweise wurden ausgerechnet die Zentralbanken von der Wirkung ihrer eigenen Politik überrascht. Zunächst leugneten sie das Problem und als dies nicht länger möglich war, rissen sie das geldpolitische Ruder ruckartig herum. Die Federal Reserve (Fed) hat bereits mit ihrer scharfen Zinswende begonnen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hinkt einmal mehr hinterher, hat nun aber ihrerseits ab Sommer 2022 einen strafferen geldpolitischen Kurs angekündigt.

Das plötzliche Gegensteuern der Geldpolitik hat an den Anleihenmärkten einen Tsunami in Gang gesetzt. Die Zinsen schossen so stark in die Höhe wie seit über 20 Jahren nicht mehr: Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen sprang von -0,60 auf über 1,10 Prozent, die Renditen ihrer US-Pendants kletterten sogar von 0,50 auf über 3,10 Prozent. Vor diesem Hintergrund verzeichneten globale Staatsanleihen ihren schärfsten Kurseinbruch der vergangenen 50 Jahre. Nicht gerade wenige Anleger ziehen daraus den fatalen Schluss, Anleihen seien eine toxische oder – schlimmer noch – eine tote Assetklasse, die in einem Multi-Asset-Portfolio keinen Raum mehr verdient habe.

Vielmehr sei der Anlageschwerpunkt künftig noch stärker auf Aktien zu legen, weil diese mit einer zu erwartenden Durchschnittsperformance von 7 Prozent auch gegen eine dauerhaft höhere Inflation punkten könnten. Was gut klingt, ist aber wohl eher eine Milchmädchenrechnung. Denn selbst wenn das für Anleihen ungünstige Umfeld fortbestehen sollte, macht das Anleihen nicht obsolet. Auf ihrem beschwerlichen Weg zurück zur Normalität hat die Assetklasse nämlich den härtesten Teil der Strecke bereits hinter sich gebracht. Mithilfe von Horizontanalysen lässt sich zeigen, dass der Gesamtertrag von EUR-Anleihen selbst dann noch positiv ausfällt, wenn die Zinsen moderat weitersteigen – dank der deutlich gestiegenen Coupons.

Getrübte Aussicht auf Renditen

Hinzukommt: Sollten die Inflationsraten dereinst wieder einmal sinken und/oder sich die Konjunktur nachhaltig abschwächen – was angesichts der gegenwärtigen Weltlage nicht vollkommen abwegig erscheint – werden die Anleihenmärkte einen namhaften Teil der eskomptierten Leitzinserhöhungen auspreisen. Die Renditen würden folglich sinken und die Anleihenkurse steigen.

In den USA sind bei zehnjährigen Treasuries im Fall einer normalen wirtschaftlichen Abkühlung Kursgewinne von 15 bis 20 Prozent zu erzielen. Umgekehrt würden die Aktienkurse in diesem Umfeld im Mittel um 20 bis 30 Prozent sinken. Den stabilisierenden Effekt von Anleihen im Fall einer heraufziehenden Krise kann man daher gar nicht hoch genug bewerten.

Anleihen sind folglich alles andere als tot. Damit aber nicht genug, denn mit Blick nach vorne droht gleichzeitig die Aktienrendite deutlich an Flughöhe zu verlieren. Die Notierungen geraten gleich von mehreren Seiten unter Druck. Neben den im historischen Kontext nach wie vor überdurchschnittlich hohen Bewertungen führt vor allem die Erosion der Gewinnmargen zu Gegenwind. Das hat mit den strukturell steigenden Rohstoff- und Vormaterialkosten zu tun.

Aber auch mit der mangelnden Verfügbarkeit von Arbeitskräften, die wegen der ungünstigen demografischen Entwicklung immer teurer werden. Zu guter Letzt kündigt das im Trend rückläufige Produktivitätswachstum ein schwächeres Wachstum der Unternehmensgewinne an. Vor diesem Hintergrund dürfte die Aktienmarktperformance im Mittel der nächsten zehn Jahre in den Industriestaaten allenfalls knapp über 1 Prozent pro Jahr liegen – und damit auf Augenhöhe mit den aktuell erzielbaren Renditen am Anleihenmarkt.

Das bedeutet im Klartext: Nach Abzug einer zu erwartenden Inflationsrate von 3 Prozent auf Sicht der nächsten zehn Jahre kumuliert sich der reale Vermögensverlust auf 10 bis 20 Prozent – das sind alarmierende Zahlen. Mehr denn je kommt es daher auf einen aktiven Mix sämtlicher Anlagesegmente sowie die Selektion der richtigen Themen und Titel an.

Wir sehen Potenzial vor allem bei schwer ersetzbaren Unternehmen mit stabilen Margen und hoher Preissetzungsmacht. Diese finden sich vornehmlich in den Zukunftsbereichen Infrastruktur, Energiewende, Urbanisierung, Gesundheitsversorgung sowie bei digitalen Disruptoren. Unternehmen dieser Branchen weisen dank ihrer Innovationskraft eine überdurchschnittlich hohe Produktivität auf, womit sie sich vom Feld absetzen können.

Darüber hinaus sind sie nicht nur weniger vulnerabel gegenüber höherer Inflation – sie können davon sogar profitieren. Was sich für Anleger hingegen nicht auszahlen wird, ist eine pauschale Absage an Anleihen zugunsten einer indexnahen Konzentration auf Aktien. Die Quittung dafür werden eine massiv höhere Volatilität sowie schmerzhafte Drawdowns sein. Die Zeiten, in denen eine einfache Investition in den Gesamtmarkt für eine auskömmliche Rendite ausreichte, sind daher definitiv vorbei. Einfach – das war einmal.

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