Ausblick 2024: Eine „Schwarze Null“ für Deutschlands Wirtschaftswachstum

Vor dem Ausblick noch ein schneller Rückblick: Das abgelaufene Jahr 2023 wird mancher schnell vergessen wollen. Das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) dürfte, bereinigt um Kalendereffekte, zum Jahreswechsel um 0,2 Prozent gesunken sein. Wenn wir den Film zwölf Monate weiter zurückspulen, sieht man indes, dass die Befürchtungen teils deutlich drastischer waren.


Panuwat Dangsungnoen

Damals wurden Szenarien durchgerechnet, nach denen für den Fall einer massiven Energieknappheit und möglicher Rationierungen von Erdgas für die Industrie 2023 ein Konjunktureinbruch um fünf Prozent oder mehr möglich schien. Zum Glück kam es anders, und die Wirtschaft ist nur in eine gemäßigte Rezession gerutscht. Wie stehen die Chancen, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr wieder wächst? Zunächst: Sie startet 2024 rechnerisch mit einem Handicap. Je nachdem, wie das Schlussquartal ausfällt, dürfte der sogenannte „statistische Überhang“ mehr oder weniger negativ sein: Wenn alle vier Quartale 2024 stagnierten, würde das BIP 2024 wiederum um 0,2 Prozent gegenüber 2023 schrumpfen. Insgesamt dürfte für 2024 aber eine „Schwarze Null“ zu Buche schlagen: Mehr als ein kleines Plus von 0,3 Prozent Wachstum wird daher voraussichtlich nicht drin sein.

Wachstumschancen und -hindernisse

Dabei stellt sich die Frage, wo überhaupt Wachstumsperspektiven liegen. Traditionell erholt sich die industriestarke deutsche Wirtschaft am besten durch Warenausfuhren, also wenn die Weltwirtschaft gedeiht. Davon ist derzeit nicht auszugehen. Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich von 2,9 auf 2,6 Prozent noch weiter verlangsamen. Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2019 lag der Wert bei durchschnittlich 3,8 Prozent. Die für Deutschland wichtigen Exportmärkte Vereinigte Staaten und China dürften stärker abbremsen. Für die USA, die immerhin Deutschlands wichtigste Exportdestination sind, erwarte ich Anfang 2024 eine milde Rezession.

Aber auch Deutschland weist erkennbare Schwachpunkte auf: Der Wohnungsbau etwa befindet sich im Würgegriff aus hohen Zinsen, hohen Baukosten und einer anhaltenden Unsicherheit über den weiteren Fortgang der sogenannten „Grünen Transformation“. Chancen scheint es dagegen beim übrigen Bau zu geben – Stichwort Infrastrukturinvestitionen – und bei Ausrüstungsinvestitionen, die schon 2022 um mehr als vier Prozent zulegten, sowie bei sonstigen Investitionen. Hinzu kommt, dass sich kaum vorhersagen lässt, wie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 konkret auswirken wird, mit dem die Karlsruher Richter den Klima- und Transformationsfonds um 60 Milliarden Euro gestutzt haben. Kurzfristig ist die notwendige Ausgabenkürzung eine Belastung.

Ein echter Trumpf könnte 2024 hingegen die private Konsumnachfrage sein. Ein Rückgang der Inflation und damit einhergehend ein Plus für das verfügbare Realeinkommen sollten die privaten Konsumausgaben beflügeln. Voraussetzung ist, dass die Teuerung tatsächlich weiter zurückgeht, wie es sich zumindest für das erste Quartal andeutet. Basiseffekte und ein deutlicher Rückgang auf den vorgelagerten Ebenen, Import-, Erzeuger- und Großhandelspreise sind im Jahresvergleich deutlich rückläufig, sprechen für weiter sinkenden Preisdruck. Gleichwohl ist absehbar, dass sich diese Effekte ab dem späten Frühjahr 2024 wieder umkehren. Der Rückgang der Inflation dürfte dann sein Ende finden.

Ab und zu wird auch wieder ein Anstieg der Jahresrate zu konstatieren sein. Insgesamt wird die Inflation mit 2,8 Prozent zwar niedriger liegen als 2023, aber noch immer deutlich über der Messlatte der Preisniveaustabilität von zwei Prozent. Schließlich wird das verfügbare Einkommen der Haushalte auch von der Lage am Arbeitsmarkt abhängen. Bislang war die Beschäftigungssituation trotz Konjunkturschwäche äußerst stabil. Dass die Unternehmen im Zeichen eines Fachkräftemangels ihre Stammbelegschaft auch in schwierigeren Phasen halten wollen, gilt schon fast als ein Allgemeinplatz.

Zinsen: Abstieg und Gipfel

Die US-Notenbank befindet sich angesichts einer bis zuletzt robusten US-Wirtschaft in einem Dilemma. Denn falls der US-Wirtschaftsmotor weiter auf vollen Touren läuft, könnten die bis dato erzielten Fortschritte beim Zurückdrängen der Inflation in Gefahr und eine Rückkehr zum Inflationsziel außer Reichweite geraten. Allerdings ist es perspektivisch nur eine Frage der Zeit, bis die nach Zinserhöhungen üblichen konjunkturellen Bremseffekte eintreten werden. Insofern dürfte die Zuversicht der US-Währungshüter wachsen, dass die geldpolitische Ausrichtung hinreichend restriktiv ist. Gleichzeitig gilt: Die Federal Reserve System (Fed) wird sich die Entscheidung nicht leicht machen, eine Wende zu sinkenden Leitzinsen einzuläuten. Immerhin deutet ein anhaltend erhöhter Lohndruck darauf hin, dass die Inflation wieder steigen könnte.

In zurückliegenden Zinszyklen dauerten Leitzinsplateauphasen in den USA im Durchschnitt rund ein Jahr. Kürzer dürfte diese Phase auch in der aktuellen Ausgangslage nicht ausfallen. Demnach wäre die erste US-Zinssenkung im Sommer zu erwarten. Bis zum Jahresende 2024 dürfte die Fed ihr Tagesgeldzielband um insgesamt 75 Basispunkte auf 4,50 Prozent bis 4,75 Prozent nach unten setzen. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird dem Wendesignal ihres US-Pendants mit ein paar Monaten Zeitverzug folgen, wie sie das auf dem bisherigen Zinspfad getan hat. Die bereits diskutierten geldpolitischen Abwägungen gelten für die EZB in ähnlicher Weise, wobei der maßgebliche Abstieg vom Inflationsgipfel im Euroraum bis dato etwas verzögert gegenüber den USA erfolgt ist.

Deshalb wird die erste Leitzinssenkung erst im Herbst zu erwarten sein. Bis Jahresende 2024 dürfte der EZB-Einlagesatz von derzeit 4,00 Prozent um insgesamt 50 Basispunkte auf 3,50 Prozent sinken. Vor diesem Hintergrund werden die Kapitalmarktzinsen in den kommenden Monaten weiter nachgeben. In früheren Zinszyklen begannen die Renditen langlaufender Staatsanleihen im Durchschnitt dann zu sinken, wenn der Leitzinsgipfel erreicht war. Letzteres gilt sowohl für die USA als auch für den Euroraum.

Gleichzeitig werden die staatlichen Finanzierungsdezite nur sehr allmählich von den hohen krisenbedingten Werten der vergangenen Jahre zurückkommen. Die Finanzminister beiderseits des Atlantiks müssen weiterhin große Volumina an Staatstiteln auf den Markt werfen. Das begrenzt das Potenzial für einen Rückgang der Kapitalmarktzinsen. Beide Argumente zusammengenommen sprechen in jedem Fall dafür, dass die Phase inverser Zinsstrukturkurven im Jahresverlauf 2024 zu Ende geht, wenn man die Renditedifferenz zwischen zehnjährigen und zweijährigen Staatsanleihen zum Maßstab nimmt. Die Zinskurven werden nach unserer Prognose im Trend wieder steiler. Konkret gehen wir davon aus, dass sich die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen bis Ende 2024 auf 2,25 Prozent ermäßigen wird. Die Rendite zehnjähriger US-Staatstitel dürfte Ende 2024 mit 3,85 Prozent wieder knapp unter der Vier Prozent-Marke liegen. Die Zeit der ultraniedrigen Zinsen wie vor der Corona-Pandemie wird weder im nächsten Jahr noch auf absehbare Zeit wiederkommen.

Dr. Moritz Kraemer

Landesbank Baden-Württemberg

Dr. Moritz Kraemer ist Chefvolkswirt bei der Landesbank Banden-Württemberg.

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