Straffe Geldpolitik als Voraussetzung für Schuldentragfähigkeit?

Die steigende Inflation in der Euro-Zone ist seit geraumer Zeit ein Dauerthema. Nach zunächst ausbleibender Reaktion möchten die Notenbanken die Situation nun unter Kontrolle bringen. Dabei wird die Fiskalpolitik eine entscheidende Rolle spielen, wie Zinsanhebungen ausfallen müssen.


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Auf den deutlichen Inflationsanstieg in der Euro-Zone reagierte die EZB zu Anfang eher zögerlich. Das hat unterschiedliche Mutmaßungen über die Motivation der Notenbanken aufkommen lassen. Zum einen bestand die Sorge, die EZB könne deutliche Zinserhöhungen vermeiden, um die Schuldentragfähigkeit einiger Euro-Staaten nicht zu gefährden. Zum anderen wurde angenommen, die Inflation könne gewollt sein, um die Schuldenquoten in den Griff zu bekommen.

Beide Vermutungen haben dazu geführt, dass aktuell die langfristigen Inflationserwartungen über dem Inflationsziel liegen. Auftrieb erhalten diese Erwartungen zudem durch die Klimapolitik und den demografischen Wandel. Sie können unter anderem zu höheren Kosten und damit einer langfristig höheren Inflation führen. Diese Einschätzungen gehen von einer passiven Geldpolitik aus, die dem Inflationsdruck nicht ausreichend entgegentreten wird oder kann.

Denn letztlich beinhaltet eine Inflationsprognose immer eine Einschätzung der zukünftigen Geldpolitik und deren Bereitschaft, das für ein Gleichgewicht in der Wirtschaft notwendige Zinsniveau sicherzustellen. Seit Dezember 2022 scheinen sich die Sorgen etwas gelegt zu haben, die EZB wolle oder könne die Zinsen nicht deutlich anheben. Schließlich hat sie endlich unmissverständliche Worte gefunden. Die Märkte gehen nun von höheren kurzfristigen Zinsen aus, während die EZB ihr datengetriebenes Handeln betont.

Ist die Geldpolitik nicht restriktiv genug, will sie jeweils nachlegen. Allerdings wird die Fiskalpolitik eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie hoch die EZB die Zinsen anheben muss. Denn die Stützungspolitik der Staaten hat das Potenzial, den Einfluss geldpolitischer Anstrengungen zu verwässern.

Refinanzierungsprobleme unwahrscheinlich

Doch wie weit kann die Fiskalpolitik mit ihren Stützungsmaßnahmen gehen, bevor Probleme mit der Schuldentragfähigkeit sie einholen? Hier scheinen gewisse Bedenken angebracht, und zwar nicht, weil die Fiskalpolitik an ihre Grenzen kommt, sondern weil es für sie keine bindenden Grenzen mehr gibt.

Die Maastricht Kriterien stellen keine relevante Steuerungsgröße mehr dar – zumindest was die Schuldenquote angeht. Dies gilt insbesondere für Länder wie Italien, Portugal oder Griechenland, deren Quote weit über 100 Prozent des BIP liegt. Zeitspanne und Voraussetzungen, die für eine Rückkehr auf den Zielwert 60 Prozent nötig wären, sind einfach nicht greifbar genug. Viele Schuldenquoten sind mittlerweile zu weit vom Zielwert entfernt, als dass sie noch irgendeine Bedeutung hätten.

Des Weiteren hat die Vergabe von EU-Anleihen neue potenzielle Finanzmittel geschaffen. Die Schulden trägt die Europäische Union als Ganzes. Solange eine wirtschaftliche Herausforderung als Krise eingestuft wird, scheint es für die Euro-Staaten legitim zu sein, sich mit EU-Anleihen zu finanzieren. Außerdem bekämpft die EZB im Umfeld deutlicher Zinsanstiege am kurzen Ende, wenn erforderlich, Spread-Ausweitungen am langen Ende. Dadurch ist höchst unwahrscheinlich geworden, dass Euro-Länder Refinanzierungsprobleme bekommen.

Spreads haben damit aber auch jeglichen Informationsgehalt zur Finanzierbarkeit von Staaten verloren, und sie lassen nicht mehr erkennen, wie solide deren Finanzpolitik ist. Die Spreads sollen vielmehr die Homogenität des europäischen Finanzmarktplatzes spiegeln, auch wenn diese infolge eines ineffektiven Rahmenwerks immer weiter abnimmt.

Auf Dauer nachhaltige Schäden zu erwarten

Auf der einen Seite ist es in Krisenzeiten wünschenswert, dass Notenbanken unkonventionelle Wege gehen, um die Handlungsfähigkeit des Staates oder der Staaten aufrecht zu erhalten. Doch in Europa werden disziplinierende Marktkräfte weit über Krisen hinaus unterbunden. So haben die Euro-Staaten aktuell weder den Markt noch Brüssel zu fürchten.

Dies verwässert die Effektivität der Geldpolitik und kann zu Zinsen führen, die höher als notwendig sind. Damit ergeben sich folgende Fragen: Kommt die EZB im Inflationskampf doch an ihre Grenzen? Ist eine höhere Inflation aufgrund der Fiskalpolitik und der oben genannten strukturellen Herausforderungen unausweichlich? Ist eine höhere Inflation sogar die Lösung bei der Schuldenstabilisierung?

Und können damit drastische Zinsanhebungen verhindert werden? Die Antwort auf all diese Fragen ist nein. Eine dauerhaft höhere Inflation kann und darf nicht als notwendiges Übel akzeptiert werden. Denn eine höhere Inflation sichert nicht die Schuldentragfähigkeit von Staaten, wie vielfach angenommen. Im Gegenteil: Weil die Inflationsrate volatiler ist, je höher sie ausfällt, steigen die Inflationsprämien.

Dies bewirkt, dass der langfristige Realzinssatz steigt, denn Investoren möchten für das höhere Risiko ausreichend vergütet werden. Inflation ist also ausschließlich dann eine Lösung, wenn die Märkte von der hohen Inflation überrascht werden, was nur kurzfristig der Fall sein kann. Auf Dauer entstehen nachhaltige Schäden aufgrund von Vertrauensverlusten und steigenden Inflationsprämien

Inverse Zinskurve weiter forcieren

Auch wird es bei einer höheren Inflationsrate kaum bei einem einmaligen Anstieg bleiben. Denn mit Zunahme der Volatilität ist die Basis für tendenziell steigende Inflationserwartungen geschaffen. Und weil die positiven Effekte für die Staatsfinanzierung nur kurzfristig und temporär sind, besteht ein Drang zu einer immer weiter ansteigenden Inflation.

Deshalb sind Prognosen einer langfristig höheren, aber stabilen Inflation nicht schlüssig. Letztlich müssen Zinsen kräftiger steigen, um die Inflation einzufangen. Eine Erfahrung, die auch die Fed Anfang der 80er-Jahre machen musste. Deutliche Zinserhöhungen der EZB stehen also in keinem Widerspruch zur Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten. Vielmehr sichern sie diese durch fest verankerte Inflationserwartungen und relativ niedrige Kapitalmarktrenditen.

Notenbanken sind aktuell gefordert, das Vertrauen der letzten 30 Jahre nicht zu verspielen und eine flache oder sogar inverse Zinskurve durch Zinserhöhungen am kurzen Ende weiter zu forcieren. In den letzten 35 Jahren sind die realen Renditen gesunken, auch weil die Märkte immer weniger eine Inflationsgefahr gesehen haben. Noch immer scheint dieses Vertrauen zu bestehen. Schließlich führen die Zinserhöhungen der EZB zunehmend zu einer Verflachung der Zinskurve.

Das heißt: Die Märkte glauben, dass die Zinsen und damit auch die Inflation langfristig wieder niedriger sind beziehungsweise bleiben werden. Somit ist entscheidend, dass die EZB am kurzen Ende weiter die Zinsen anhebt, gerade damit das lange Ende nicht bedeutend ansteigt und die staatliche Schuldentragfähigkeit gesichert ist. Die IKB erwartet Mitte des Jahres 2023 einen Einlagenzinssatz zwischen 3,5 und 4,0 Prozent. Die langfristige Inflationsprognose für die Euro-Zone liegt bei zwei Prozent. Nicht die Inflation wird langfristig höher liegen, sondern eher der Gleichgewichtszinssatz in der Wirtschaft und damit auch die Zinssätze der EZB.

Dr. Klaus Bauknecht

IKB Deutsche Industriebank AG

Dr. Klaus Bauknecht ist Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG.