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„Die starre Aufteilung zwischen Banken- und Nicht-Banken-Welt wird immer weiter verschwinden“ 

Der Zahlungsverkehr ist ein bewegter und hart umkämpfter Markt. Aktuell stehen Banken hier an einem Scheideweg, sagt Payment-Experte Oliver Brüggemann im BANKINGNEWS-Interview. In welche Richtung wird die deutsche Kreditwirtschaft im Zahlungsverkehr also gehen?


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BANKINGNEWS: Herr Brüggemann, im Zahlungsverkehr passiert aktuell viel: SWIFT GPI, Request to Pay, Instant Payment. Welche Entwicklungen sehen Sie hier als zukunftsweisend? 
Oliver Brüggemann: Instant Payment ist in der Tat ein großer Beschleuniger, was die Digitalisierungsbestrebungen von Unternehmen angeht. Bei Request to Pay sehe ich auch einen großen Hebel, sicherlich im ersten Schritt bei größeren Kunden. Viele dieser Entwicklungen werden zunächst im Großkunden-Segment etabliert werden und dann jedoch Stück für Stück die breite Basis unserer Mittelstandskunden erreichen. Pay per Use und Machine-to-Machine-Payment würde ich ebenfalls als zukunftsweisend ansehen. Business- und Use Cases dazu werden bereits erdacht. Generell sehe ich die Entwicklung, dass alle Informationen möglichst transparent, in Echtzeit und mit allen Beteiligten geteilt werden, so wie dies ja von SWIFT GPI vorgesehen ist. Gesellschaftliche Trends wie die Sharing Economy, also das Teilen von Produkten und Dienstleistungen in der Gemeinschaft anstelle von Eigentum des Individuums, sind weitere Treiber von Innovationen im Payment-Umfeld. Ein weiteres Thema, das hat Corona schon gezeigt, ist, dass der Handel künftig mehr und mehr seine Vertriebskanäle miteinander verbindet, um seine Kunden zu erreichen. Diesen   Multi-Kanal-basierten Ansatz können wir als Banken natürlich mit Zahlungsverfahren und Dienstleistungen ergänzen. Zum guten Schluss ist hier sicherlich noch die Regulatorik zu nennen, allen voran die PSD2 samt ihren Folgeversionen. Diese ist meines Erachtens Fluch und Segen und zugleich, allerdings ist gerade die PSD2 ein starker Treiber für die Innovationsfähigkeit und -tätigkeit der Banken.

Kürzlich war vom Maestro-Aus bis 2030 zu lesen. Was heißt das für die girocard?
Diese Information hat mich, wie vermutlich die gesamte Deutsche Kreditwirtschaft, wie ein Donnerschlag ereilt. Im zweiten Schritt kam die unmittelbare Frage, wie wir als Volksbank Rhein-Erft-Köln eG von dieser Entwicklung betroffen sein könnten, obgleich unser Haus girocards mit dem Co-Badging V Pay ausgibt. Aber das ist natürlich ein klares Signal von Mastercard an die Deutsche Kreditwirtschaft und ein Frontalangriff auf das deutsche girocard-System. Und die Frage ist nicht, inwieweit oder nicht, sondern wann Visa einen ähnlichen Schritt gehen wird. Die Botschaften sind jetzt mehr als eindeutig und dies bedeutet, dass die europäische Initiative EPI sich nun schnell und fokussiert auf den Weg machen muss. Trotz der aktuellen Startschwierigkeiten beim Funding und der unterschiedlichen Interessen der europäischen Banken hoffe ich, dass wir uns als europäische Banken geschlossen und tatkräftig den neuen Realitäten stellen, zukunftsweisende Entscheidungen auf den Weg bringen und uns mit innovativen Produkten dem Wettbewerb stellen werden. Wir stehen nun an einem Scheideweg. Die Straße wird jetzt gelegt. Das Maestro-Aus als solches ist dramatisch für die deutsche und europäische Kreditwirtschaft, natürlich besonders für die nun unmittelbar betroffenen Banken, aber die Botschaft, die dahintersteht, ist weit aus tiefgreifender.

Der Zahlungsverkehr ist damit erstmals keine Einbahnstraße mehr.

Also würden Sie sagen, dass so die Chancen für EPI stiegen, weil man jetzt die Dringlichkeit erkennt?
Die Dringlichkeit für EPI war auch bereits vor der Mastercard-Entscheidung vorhanden, allerdings hat diese die Notwendigkeit von EPI nochmals bestätigt. Meines Erachtens ist EPI tatsächlich die letzte erfolgversprechende Initiative, das Blatt für die deutsche und europäische Kreditwirtschaft noch zu wenden. Auf nationaler Seite gab es ja bereits Ansätze, den multinationalen BigTechs etwa mit paydirekt Paroli zu bieten. Der Erfolg blieb leider bislang hinter den Erwartungen zurück, obgleich paydirekt beziehungsweise „giropay neu“ sich durchaus eine respektable Marktposition erarbeiten konnte, aber es hat bis dato nicht ausgereicht, um einen signifikanten Marktanteil zu erreichen. Deswegen bin ich vorsichtig optimistisch, dass der europäisch gebündelte Antritt mit EPI ein Erfolg werden kann. Ziel von EPI muss es sein, unsere Kundenschnittstelle gegenüber den BigTechs und Fintechs langfristig zu verteidigen und Kunden zu gewinnen. Andernfalls sehe ich die Gefahr, dass Banken zu reinen Infrastruktur-Anbietern werden, welche zudem regulatorische Aufgaben (Stichwort KYC) für die Geschäftsmodelle von Mastercard, Visa, PayPal und Co. übernehmen.

Welche Erfolgsfaktoren sind denn bei EPI entscheidend?
Die gleichen, wie bei allen Produkten: Das Produkt muss für den Kunden einen Nutzen und einen Mehrwert stiften, oder kurz gesagt, es muss wettbewerbsfähig sein. EPI sollte sich daher nicht darauf beschränken, nur bestehende Produkte oder Dienstleistungen nachzubauen, sondern es muss einen innovativen Weg gehen. Das große Pfund, was wir Banken haben, ist ja, dass wir vielfältige Informationen zu unseren Kunden haben. Diese Datenquellen sind ein Goldschatz, den EPI bei der Entwicklung eines cleveren Produkts unbedingt berücksichtigen sollte. Der Erfolg von EPI zeigt sich am Ende daran, ob der Kunde im Vergleich zu den etablierten Anbietern aus dem Fintech- und BigTech Umfeld einen größeren Nutzen erfährt oder eben nicht.

Kooperation mit Non-Banks und Fintechs gewinnen massiv an Bedeutung.

Die Convenience ist wichtiger.
Absolut. Convenience steht scheinbar über allen anderen Themen. Es zeigt sich sogar, dass Convenience selbst Sicherheit und den Datenschutz schlägt. Da muss ich immer ein wenig schmunzeln, weil wir Deutschen ja als sicherheitsbewusstes Volk gelten. Aber auf der anderen Seite ist es uns aber egal, wie Facebook oder Google mit unseren Daten umgehen. Da ist eine gewisse Dissonanz vorhanden, die kurios ist, die man aber ein stückweit akzeptieren muss, da dies Ausdruck eines geänderten Kundennutzungsverhaltens ist. Auf der anderen Seite sind wir Banken mit unseren regulatorischen Korsetts eingeengt. Hier darf der Regulator allerdings nicht mit zweierlei Maß messen. Für einen fairen Wettbewerb müssen die gleichen Spielregeln für alle Marktteilnehmer gelten. Hier darf es keine Ausnahmen oder Sonderregelungen für BigTechs und Fintechs geben.

Aktuell ist die Macht der Tech-Konzerne aber doch immer deutlicher zu spüren.
Momentan würde ich die Kundenschnittstelle, besonders im Firmenkundengeschäft, da habe ich den besten Überblick, noch als recht stabil einschätzen. Dennoch ist erkennbar, dass sich Fintechs in den Nischen etablieren und aus den Nischen herauswachsen. Ich möchte daran erinnern, wie Amazon die Grundlage für seinen Erfolg geschaffen hat. Amazon hat mit Büchern, also mit standardisierten Produkten, versucht, einen Markt zu schaffen, diesen zu erschließen und Erfahrungen zu sammeln. Damit haben sie die Grundlage für ihren immensen Erfolg geschaffen. Und in diesem Stadium befinden wir uns hier gerade. Viele Fintechs sammeln jetzt gerade Erfahrungen. Das zeigt sich auch daran, dass unsere PSD2-Schnittstellen vor allem im Privatkundengeschäft zwar genutzt werden, aber nicht so, dass mir derzeit „Angst und Bange“ werden würde. Aber wir stehen am Anfang dieser Entwicklung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das lukrative Firmenkundengeschäft verstärkt in das Interesse dieser Dienstleister rückt und diese dann nicht nur einzelne Finanzierungslösungen anbieten, sondern weitere Teile des Bankgeschäfts abnehmen. In der Folge könnten wir den Kundenkontakt verlieren beziehungsweise aus der Wahrnehmung des Kunden verschwinden. Bestes Beispiel ist sicherlich PayPal, die es geschafft haben, dass der Zahlungsverkehr unserer klassischen Bankkonten bei der Nutzung von PayPal vollständig in den Hintergrund gerückt ist. In der Wahrnehmung wird die Kundennutzung nicht mehr in Verbindung mit einer Bank gesehen. Und das ist das Problem. Die Wahrnehmung der Kunden verschiebt sich auf denjenigen Anbieter, der dem Kunden die Dienstleistung und den Nutzen zur Verfügung stellt. Meines Erachtens sind auch nicht nur die etablierten Anbieter, mit denen Banken jahrelang kooperiert haben, also in erster Linie Mastercard und Visa, die unmittelbaren Konkurrenten, sondern ich würde hier auch noch Anbieter mit auf‘s Radar nehmen, die aktuell nur am Rande der Sphäre ersichtlich sind. Was hindert beispielsweise Alipay daran, in den europäischen Markt einzutreten und hier entsprechend zu agieren? Das ist auch ein Player, über den man sich Gedanken machen sollte, zumal das Geschäftsmodell und die Reichweite von Alipay etwa gegenüber dem von PayPal noch einmal eine ganz andere Stufe ist.

Wer den größten Nutzen bietet, hat den Kunden.

Wie sollten Banken mit der herrschenden Wettbewerbssituation umgehen? 
Wie bereits gesagt, können Banken sich behaupten, wenn diese Produkte entwickeln, die einen spürbaren Kundennutzen bringen. Und da ist es meines Erachtens naheliegend, dass da der Handel und die Industrie mit ins Boot genommen wird. Gerade der Handel hat vom Grunde her oftmals die gleichen Interessen und Kunden wie wir, besonders im Privatkundengeschäft. Kooperationen mit dem Handel sind für mich ein erfolgsversprechender Ansatz, kundenorientierte Produkte gemeinsam zu entwickeln. Die letzte große und überaus erfolgreiche Kooperation zwischen Banken und Handel ist allerdings schon ziemlich lange her, dies war die Entwicklung des ELV-Verfahrens Anfang der 80er Jahre. Doch genau hier sehe ich die Zukunft, da muss richtig investiert werden, genau in diesen Gedanken. Unsere Zentralbank, die DZ Bank AG, sucht und entwickelt in Innovationlabs gemeinsam mit dem Handel und der Industrie zukunftsträchtige Konzepte wie beispielsweise Pay per Use oder Blockchain-Anwendungen.

Um den Bogen zur ersten Frage zu schließen: Was glauben Sie, wie der Zahlungsverkehr in den nächsten 10 Jahren aussehen wird?
Wir werden eine relativ heterogene Bankenlandschaft bekommen. Auf der einen Seite wird es meines Erachtens Institute geben, die sich als Infrastrukturanbieter im Payment-Umfeld etabliert haben. Wir werden aber auch Banken sehen, die die Kundenzentrierung in den Fokus stellen und es mit einer hohen Innovationskraft schaffen, auf Augenhöhe mit den BigTechs und Fintechs zu kommen. In zehn Jahren werden wir Banken sehen, die, zum Beispiel mit Unterstützung von EPI, wettbewerbsfähige Player im Paymentumfeld sind. Der Zahlungsverkehr selbst wird künftig noch mehr in den Alltag der Menschen rücken, allerdings mehr unbewusst als bewusst. Etwa beim Thema Machine-to-Machine-Payment, im Rahmen von Sharing-Economy-Modellen oder bei Pay-per-Use Anwendungen wird zu beobachten sein, dass der Zahlungsverkehr kleinteiliger, schneller und oftmals im Hintergrund abgewickelt wird. Möglicherweise werden wir auch Entwicklungen sehen, dass der klassische Zahlungsverkehr mehr und mehr die Bedeutung eines Public Good erhält. Und das hätte natürlich zur Folge, dass die Banken weitere Teil der Provisionserträge aus dem klassischen Zahlungsverkehr verlieren würden. Klassische Überweisungen oder Lastschriften wird es weiterhin geben. Aber man wird Maschinen-Auslastungen oder auch Kredite mit Pay per Use bezahlen können. Und hier wird die Frage sein, welche Dienstleister welchen Anteil an den künftigen Wertschöpfungsketten haben werden. Sind es Banken, IT-Dienstleister oder Fintechs? Es gibt diese schöne Aussage, die wahrscheinlich jeder Banker einmal gelernt hat: „Wer das Konto hat, hat den Kunden“. Das stimmt in Zukunft nur noch bedingt, da der Kundennutzen künftig das zentrale Kriterium sein wird. Insofern sollte das Credo neu formuliert werden in „Wer den größten Nutzen bietet, hat den Kunden“.

Interview: Laura Kracht

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