„Über Verbote zu arbeiten, funktioniert meiner Meinung nach nie wirklich gut“

Autobanken erfüllen das Grundbedürfnis nach Mobilität, sagt Benedikt Schell. Der Vorstandsvorsitzende der Mercedes-Benz Bank ist sich daher sicher, dass sein Haus auch den Schritt in die vollelektrische Zukunft erfolgreich meistern wird und spricht im Interview über einheitliche Ökosysteme, explodierende Nutzerzahlen und „coole Sachen“ in einer Bank.


Autobank

BANKINGNEWS: Bei Ihrem Amtsantritt 2019 wurde etwa Ihr Beitrag zur Digitalisierungsstrategie des Dienstleistungsangebots hervorgehoben. Wo setzen Sie hier bei der Mercedes-Benz Bank Ihre Schwerpunkte?
Benedikt Schell: Sicherlich kam der Hinweis zur damaligen Zeit auch, weil wir in Summe bei der Mercedes-Benz Mobility die Automatisierung und Digitalisierung der Kundenprozesse extrem vorangetrieben haben. Digitalisierung ist ja zu einem Buzzword geworden, aber wir digitalisieren nicht zum Selbstzweck. Sondern vor allem deshalb, weil sich die Kundenbedürfnisse in den letzten Jahren signifikant verändert haben und weiterhin verändern werden. Das gilt sehr stark auf der Privatkundenseite und ebenso auf der
gewerblichen Seite.

Wo hat sich denn das Kundenbedürfnis in Zusammenarbeit mit einer Auto-Bank für Sie in Bezug auf die Digitalisierung konkret verändert? Wir treten als vollintegrierter Bestandteil in der sogenannten Customer Journey im geschlossenen Ökosystem von Mercedes-Benz auf. Alles funktioniert als One-Stop-Erlebnis ohne Sollbruchstellen. Kundinnen und Kunden unterscheiden zwischen emotionalen Momenten, die sich in der Regel um das Produkt drehen und Berührungspunkten, wie etwa ein möglichst einfacher und reibungsloser Kreditgenehmigungs- oder Leasing-Entscheidungsprozess oder auch Abo-Modelle mit einer Rate. Da merken wir, dass viele Menschen sich online vorab viel intensiver informieren.

Wie reagieren Sie darauf?
Es geht darum, aus einer Hand das Produkt und das passende Finanzierungs-, Leasing- oder Versicherungsprodukt anbieten zu können. Es ist wichtig, dass man verschiedene Kanäle anbieten kann, online wie offline. Ein Mercedes ist eine Investitionsentscheidung. Wenn wir unseren Anspruch einer „hundertprozentigen Kundenzufriedenheit bei jedem Kundenkontakt“ gerecht werden möchten, müssen wir verstehen, was der jeweilige Kundenwunsch ist. Im Privatgeschäft ist das unter anderem ein Kundenportal, in dem man alle Verträge im Überblick hat und von dort aus auch Geschäftsvorgänge anstoßen kann. Gewerbliche Kundschaft möchte hingegen die Total Cost of Ownership voll transparent machen und braucht dazu Angaben wie Kilometerstände. Auch relevant ist, dass online darauf hingewiesen wird, wenn man über den veranschlagten Kilometern für die Leasinglaufzeit liegt. Dann kann man frühzeitig über einen Ersatz sprechen. Daneben digitalisieren wir auch den Abschluss von Verträgen. Die elektronische Signatur oder Video-Identifikation sind Beispiele, wie wir Prozesse anders einbetten. Es ist eine Prozessvereinfachung für den Handel. Gleichzeitig ist es für unsere Kundinnen und Kunden ein Mehrwert-Erlebnis, weil vieles schneller und einfacher ist.

Ein Mercedes ist immer noch eine Investitionsentscheidung.

Flexible Nutzungsmodelle liegen im Trend, auch aus Nachhaltigkeitsaspekten. Ist diese Marktveränderung für eine Auto-Bank in Zukunft bedrohlich?
Ich nehme den Punkt direkt vorweg: Selbstverständlich bieten wir auch flexible Nutzungsmodelle an. Die individuellen Kundenwünsche sind genauso breit wie das Produktangebot. Deswegen verstehen wir uns als Captive-Organisation im deutschen Markt als Vollsortimenter. Dahinter stehen unterschiedliche Gesellschaften. Wir haben vor Kurzem eine neue Leasing-Gesellschaft gegründet, die sich gezielt um die Innovation des Leasing-Geschäfts und flexible Nutzungskonzepte im deutschen Markt kümmert. Dazu gehört auch unsere Mercedes-Benz Automotive Mobility GmbH, die sich schwerpunktmäßig um Abo-Modelle oder Kurzzeitmiete kümmert. Und dann gibt es die Mercedes-Benz Bank, die das klassische Finanzierungsprodukt für Handel und Endkunden anbietet. Wir werden diese Produktpalette beibehalten, denn für manche Kundinnen und Kunden ist der Besitz wichtig und sie haben kein Problem damit, drei oder vier Jahre in einem Vertrag gebunden zu sein. Andere wiederum möchten grundsätzlich Mobilität haben, wann und wo sie es gerade brauchen, und das möglichst ungebunden. Mit der Elektrifizierung kommt hinzu, dass sie sich zunehmend mit den Vorteilen und den Herausforderungen der neuen Technologien auseinandersetzen wollen. Als wir die ersten vollelektrischen Modelle mit Abo im deutschen Markt eingeführt haben, war die Nachfrage von Beginn an hoch.

Hat Sie das überrascht? Oft wird Elektromobilität doch mit Besitz verbunden.
Nein. Wir sind davon überzeugt, dass gerade flexible Produkte den Einstieg in die Elektromobilität erleichtern. Unsere Stärke als Vollsortimenter ist es, dass wir unseren Kundinnen und Kunden für jede Lebenssituation die passende Mobilität ermöglichen können. Das heißt, Kundinnen und Kunden können im Mercedes-Benz-Ökosystem bleiben, auch wenn sich die Bedürfnisse ändern.

In Deutschland ist die Autoliebe nach wie vor sehr stark ausgeprägt.

Mit Fintechs, Insurtechs und MobilityTechs drängen zunehmend mehr Startup-Unternehmen auf den Markt. Sehen Sie diese als Konkurrenz oder neue Kooperationspartner?
Erst einmal schließen wir keine Kooperationsmöglichkeit aus. Wir wollen uns immer die Möglichkeit offenhalten, mit anderen zusammenzuarbeiten, wenn es einen Mehrwert bringt. Mehrwert sowohl nach außen, als auch nach innen gerichtet. Hier setzen wir zum Beispiel im Kreditentscheidungsprozess stark auf Machine-Learning- und KI-Kompetenzen. Im Sinne von Make or Buy schauen wir uns genau an, wo wir etwas mit einer differenzierenden Dienstleistung selber machen sollten, und bei welchen Themen es im Markt keinen Unterschied macht, wenn sie in einer Kooperation entstanden sind. Generell ist es für uns wichtig, unsere eigenen Stärken und Kompetenzen weiterzuentwickeln, insbesondere im Hinblick auf die tiefe Integration in die Prozesse und Plattformen von Mercedes-Benz

Die EU sieht vor, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden. Wie bewerten Sie den Entschluss?
Für unser Unternehmen passt es natürlich schon, weil wir selber die Strategie in Richtung Vollelektrifizierung verfolgen. Wir haben die Stoßrichtung und das klare Ziel, dass wir diese bis 2030 erreichen, wo es die Marktbedingungen zulassen, und verfolgen das auch konsequent. Damit wären wir ja tatsächlich noch ein Stück vor der EU. Was die Rahmenbedingungen für das Vorhaben der EU betrifft, würde ich sagen, dass dabei die Wirtschaft genauso gefordert ist wie die Politik, eine höhere Akzeptanz der neuen Technologien zu erreichen. Über Verbote zu arbeiten, funktioniert meiner Meinung nach nie wirklich gut. Zielführender wäre es zu schauen, welche Bedingungen es dem Kunden in der täglichen Nutzung tatsächlich erlauben, die Vorteile der Technologie zu erkennen und zu nutzen. Und da ist Ladeinfrastruktur ein großes Thema.

Allein in der Bank treffen im Jahr durchschnittlich fünfstellige Initiativbewerbungszahlen.

Und Reichweite?
Reichweite ist auch ein Thema, ja. Da bin ich allerdings der Meinung, dass wir mit unseren neuen Produkt-Plattformen schon auf einem guten Weg sind. Ich persönlich höre im Kundenkontakt das Reichenweiten-Thema im Vergleich zu den Anfängen immer seltener. Das hat mit zwei Faktoren zu tun. Erstens hat sich die Reichweite der Fahrzeuge erhöht und zweitens ist das Laden leichter geworden, insbesondere auf den Hauptverkehrsachsen. Aus meiner Sicht gibt es im urbanen und im städtischen Umfeld sowie bei der Mehrfamilienhaus-Nutzung noch ein paar Herausforderungen, die aber nicht unüberwindbar sind.

Mercedes möchte bis 2030 vollelektrisch sein. Der deutschen Automobilbranche wird oft vorgeworfen, dass sie die Entwicklung verschlafen hätte. Müssen Sie jetzt über Gebühr Gas geben, um Ihr Ziel bis 2030 zu erreichen?
Ich bin mit dem Spruch groß geworden: Wettbewerb belebt das Geschäft. Ich glaube, dass der starke Wettbewerb innerhalb des Heimatmarktes die Transformation hin zu einer vollelektrischen Zukunft beschleunigt. Ja, ich bin absolut davon überzeugt, dass wir das Ziel bis 2030 erreichen. Und wenn wir es bis 2030 schaffen möchten, müssen wir es jetzt schon umsetzen. Und die Organisation setzt das alles bereits um. Auch in puncto Nachhaltigkeit ist das der richtige Weg, und ich glaube, diese Konsequenz und diesen Fokus braucht es.

Ab 2023 wird die Green Asset Ratio in Kraft treten. Wie gehen Sie mit dem Thema um?
Wir sind selbstverständlich genauso an die Vorgaben gebunden wie alle anderen und müssen daher 2024 in der Lage sein, die Green Asset Ratio zu berichten. Das heißt, wir nutzen jetzt die Zeit zur Vorbereitung, damit wir unseren Datenhaushalt darauf ausrichten können, die Taxonomie-Fähigkeit zu messen und entsprechend berichten zu können. Im Moment spricht nichts dagegen, dass wir das auch erreichen.

Ein weiteres, aktuell sehr relevantes Thema ist der sogenannte Fachkräftemangel. Inwiefern spüren Sie diesen?
Auf der Mercedes-Benz Seite merken wir, dass wir eine hohe Strahlkraft im Markt haben. Allein in der Bank treffen im Jahr durchschnittlich fünfstellige Initiativbewerbungszahlen ein. Darauf sind wir stolz, dürfen uns aber nicht ausruhen. Daher investieren wir zum einen in die Qualifikation und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden. Bei Mercedes-Benz investieren wir 1,3 Milliarden Euro in die Qualifizierung unserer Beschäftigten bis 2030 allein in Deutschland. Wir als Bank haben darüber hinaus jüngst beispielsweise in unser Netzwerk in Richtung Universitäten investiert. Im Rahmen des Deutschlandstipendiums vergeben wir zum Beispiel in Ulm, Stuttgart und München Stipendien an Studierende, um frühzeitig mit potenziellen Mitarbeitenden in Kontakt zu kommen. Bisher können wir alle offenen Stellen gut besetzen.

Abo-Modelle sind kein Risiko, sondern die Chance, Kunden mehr zu bieten.

Ein großes Asset.
Damit sind wir auch überaus zufrieden. Gleichzeitig ist es wichtig, über LinkedIn und andere Medien kontinuierlich zu kommunizieren, was wir für coole Sachen machen. Und das gelingt uns.

Sie sprechen häufig von „wir“ und meinen damit auch Mercedes-Benz als Hersteller. Stellen Sie sich als Bank die Frage nach der Abhängigkeit vom Hersteller? Wie würden Sie die Beziehung definieren?
Jetzt muss ich Sie wahrscheinlich enttäuschen, weil das überhaupt keine Kategorie ist, in der ich denke. Ich spreche hier lieber von einer Symbiose. Das Thema Finanzdienstleistung ist ein integraler Bestandteil von Mercedes-Benz. Es gibt weitere Aspekte, etwa Absatz- und Marketing-Instrumente, die genauso dazugehören. Wir merken, dass Kundinnen und Kunden diese Autos haben möchten und wir mit unseren passgenauen Produkten die Möglichkeit haben, diesen Wunsch zu erfüllen. Insofern ist die Kopplung von Bank und Hersteller aus Sicht unserer Kundinnen und Kunden ein Vorteil. Und aus Konzern-Sicht ist dies nicht nur eine sinnvolle Ergänzung, sondern auch eine profitable Partnerschaft. Ich sehe das als komplementäres Element.

Interview: Thorsten Hahn und Fiona Gleim

Benedikt Schell

Mercedes-Benz Bank AG

Benedikt Schell ist seit Mitte 2019 Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Bank AG. Zuvor war er Vorstand Sales & Marketing und auch in anderen Funktionen in der Organisation tätig, etwa als Chief Experience Officer bei der Daimler Financial Services AG. Der gelernte Bankkaufmann studierte Banken- und Finanzwirtschaft, Marketing, Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität Köln.


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