„Die Zukunft des Bankings ist persönlich und digital“

Michael Mandel, Mitglied des Vorstandes der Commerzbank im Segment Privat- und Unternehmenskunden, sprach im Interview über die Umsetzung der Strategie Commerzbank 4.0, die Filialstrategie, über die Zusammenarbeit mit Fintechs sowie das gewünschte Kundenwachstum der nächsten Jahre.


Michael Mandel (rechts), Mitglied des Vorstands im Segment Privat- und Unternehmenskunden bei der Commerzbank, erläutert BANKINGNEWS-Herausgeber Thorsten Hahn und Chefredakteur Christian Grosshardt seine Strategie für die kommenden Jahre.

BANKINGNEWS: Multikanalbanking entpuppt sich in vielen Häusern als leere Worthülse – auch bei der Commerzbank?

Michael Mandel: Es gibt viele Worthülsen, auch in unserer Branche. Das bedeutet aber nicht, dass sich nichts ändert. Wir bei der Commerzbank bauen unser Geschäft radikal um: In der Vergangenheit hatten wir mit der Filiale, dem Kundencenter und nicht zuletzt Online bzw. Mobile verschiedene Kanäle nebeneinander. Das ist aber kein Multikanalbanking. Das ändern wir jetzt. Deswegen bauen wir im Moment mit „One“ eine einheitliche Plattform, denn nur wenn Kunden und Berater zwischen den einzelnen Kanälen je nach Bedarf hin- und herspringen können, kann man von einer echten Multikanalbank sprechen. Wir heben unseren jeweiligen Kanalfokus auf und konzentrieren uns auf den Kunden. Dafür benötige ich eine einheitliche Plattform. In der Vergangenheit haben Filialbanken ihre analogen Prozesse digitalisiert und so zusätzlich noch Internet und Mobile bedient. Das hat uns aus Sicht der Kunden nicht wirklich attraktiver gemacht. Mein Ziel ist, dass wir persönlich und digital unseren Kunden alle Leistungen und Angebote auf einer einheitlichen Plattform anbieten. Das ist eine Multikanalbank und dafür müssen wir uns technisch aufstellen. Wir haben „One“ vor etwa eineinhalb Jahren gestartet und wollen bis 2020 alle Anwendungen auf die neue Plattform migrieren. Dann sind wir State of the Art.

„Ich mache meinen Job nicht, um innovativ wirken zu wollen“

Gleichzeitig betonen Sie jedoch in der Öffentlichkeit stets, dass die Filiale bleibt. Ist das nicht etwas anachronistisch?

Ich mache meinen Job nicht, um besonders modern oder innovativ wirken zu wollen. Meine Aufgabe ist es, mit dem Segment Privat- und Unternehmerkunden erfolgreich zu sein. Wir haben uns nicht umsonst auf die Fahne geschrieben, die Kundenbank in Deutschland zu werden. Wenn wir eine Strategie festlegen, betreiben wir zunächst Marktforschung. Und die sagt uns sehr deutlich: Die Zukunft im Banking ist für die meisten Menschen in Deutschland nicht nur digital. Sie ist persönlich und digital. Wir wissen, dass sich einerseits 65 Prozent unserer Kunden vor oder nach dem Beratungsgespräch online weiter informieren. Andererseits wissen wir, dass sich 90 Prozent auch einen persönlichen Ansprechpartner wünschen. Natürlich kommt kein Mensch jeden Tag für eine Wertpapierberatung zu uns. Aber richtig ist auch, dass Menschen auf persönlichen Service nicht verzichten wollen.

Statistisch gesehen, kommen die Menschen weniger als ein Mal im Jahr in die Filiale.

Wir haben am Tag 450.000 Menschen in der Filiale und etwa 700.000 Online-Kontakte über Mobile- und Internet-Banking. Das heißt, wir haben jeden Tag mehr als eine Millionen Kundenkontakte. Ich kenne das Klischee vom Abgesang auf die Filialen, aber den sehe ich nicht. Richtig ist aber, dass sich die Filiale verändern wird. In einer Multikanalbank wird sie selbstredend anders aussehen. Am Ende geht es immer um das Zusammenspiel der verschiedenen Anlaufpunkte für den Kunden. Jetzt denken sogar große digitale Player darüber nach, stationäre Vertriebe aufzumachen. Gleichzeitig herrscht ja geradezu eine Begeisterung in unserer Branche, Bankfilialen zu schließen. Ich hege wiederum eine große Begeisterung für den Gedanken, mit 1.000 Filialen vor Ort zu bleiben. Daneben haben wir noch über 100 Wealth-Management-Standorte und rund 330 Unternehmerkundenzentren.

Bei vielen Banken halte ich die Aussage „der Kunde steht bei uns im Mittelpunkt“ für sehr gewagt.

Bei uns nicht. Wir haben zum fünften Mal den „CityContest“ gewonnen. Wir haben in den ersten Wochen des Jahres etwa 50.000 „KundenKompass“-Gespräche pro Woche geführt. Wir wachsen bei Kunden, Konten und Assets. In der Summe verzeichnen wir für das letzte Jahr mehr als 500.000 Nettoneukunden.

„Die Marktanteile in Deutschland verteilen sich neu“

Im letzten Quartal 2017 konnten allerdings nur 50.000 Kunden gewonnen werden. Das riecht nach einem deutlichen Einbruch.

Wir können unsere Marketingmaschine jederzeit an- und ausschalten. Und das machen wir sehr gezielt. Die Vertriebsschwerpunkte verändern sich im Laufe eines Jahres. Sie sehen ja, wie stark unser Kredit- und Wertpapiergeschäft im Dezember des vergangenen Jahres gewachsen ist. Dort lag zu dieser Zeit der Fokus. Deshalb sind wir beim Kundenwachstum etwas vom Gas gegangen. Jetzt freuen wir uns auf die Fußballweltmeisterschaft im Sommer (die Commerzbank ist einer der Hauptsponsoren der deutschen Fußball-Nationalmannschaft; Anm. d. Redaktion). Wenn Sie ein solches Sponsoring betreiben, müssen Sie es auch optimal nutzen und die Ressourcen zur Verfügung stellen. Hier sind wir sehr gut aufgestellt. Die Marktanteile in Deutschland verteilen sich neu. Und wir wollen davon profitieren.

„Eine historische Dummheit korrigieren“

Zurück zur Filiale: Sie haben mal gesagt, dass Sie nichts davon halten, Filialen zu schließen – aus ökonomischer Sicht. Andere Häuser schließen Filialen gerade eben aus ökonomischer Sicht. Ein Widerspruch?

Natürlich kann ich mich aus der Fläche zurückziehen und spare folglich Kosten. Das ist eine legitime Strategie. Wir haben ein Filialnetz und nahezu 10 Millionen Kunden in der Filialbank, also ohne comdirect. Das sind knapp 10.000 Kunden pro Filiale. Damit sind wir effizient aufgestellt, können bundesweit Marketing betreiben etc. Die Frage ist für mich nicht, ob ich Raumkosten sparen kann. Den größten Teil der Gesamtkosten machen in meinem Geschäft sowieso Personal- und IT-Kosten aus. Die Frage ist: Was sind intelligente Filialmodelle, um eine Flächenpräsenz von 1.000 Filialen aufrechtzuerhalten? Dafür muss ich unter anderem eine historische Dummheit korrigieren und die Automaten aus der SB-Zone wieder in die Filiale holen. Das machen wir mit unserem Cityfilial-Modell.

Anlässlich der Eröffnung der Flagship-Filiale in Berlin hat Martin Blessing gesagt, dass man für den Ausbau des Konzepts eine Milliarde Euro aufbringen will. Danach ist aber wenig passiert, oder?

Es ist sogar sehr viel passiert. Wir haben die Flagships in Stuttgart und Berlin getestet. Das Cityfilialkonzept 1.0 hat unsere Erwartungen nicht erfüllt. Daraufhin haben wir die Reset-Taste gedrückt und ein neues Konzept entwickelt: Cityfiliale 2.0. Dieses Konzept haben wir in Stuttgart und Frankfurt getestet und es funktioniert. Ende des vergangenen Jahres haben wir den Piloten deshalb abgeschlossen und setzen jetzt das Konzept um. Zudem haben wir bisher zwölf Flagships eröffnet. Wir haben jetzt einen klaren Plan. Wenn sich ein Konzept nicht bewährt, muss man auch den Mut haben, das offen zu sagen. Das Problem bei der Umsetzung unserer Filialstrategie ist nicht das Investitionsvolumen, sondern die richtigen Standorte in der richtigen Größe zu finden. Wir haben ein historisch gewachsenes Filialnetz. Deshalb gibt es hier entsprechenden Veränderungsbedarf.

Von Filiale 2.0 zu Commerzbank 4.0, ein Thema, das mit einem erheblichen Personalabbau einhergeht. Machen es sich Aktiengesellschaften wie Sie zu einfach, dieses Problem an die Sozialkassen zu delegieren?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Digitalisierung nicht nur die Bankbranche, sondern alle Industrien nachhaltig verändern wird.

John Cryan sprach hierbei von 50 Prozent Abbau. Was ist Ihre Prognose?

Ich habe keine Prognose. Ich weiß nur, dass dies nicht nur ein Bankthema ist. Was heißt das für uns? Ein Beispiel: Wir haben den Ratenkredit eingeführt, und den Verarbeitungsprozess steuert zu einem großen Teil die Maschine. Das bedeutet, ich benötige weniger Menschen, die diese Kredite produzieren. Die Digitalisierung führt zu einer industriellen Revolution und als Bank müssen wir uns darauf einstellen.

Erwarten Sie mehr politische Beteiligung an dieser Diskussion?

Es gibt eine hohe Sensibilität für das Thema Digitalisierung. Das finden wir sehr gut.

„Aus der Fintech-Revolution wird eine Fintech-Evolution“

Sie haben momentan eine in der Branche hochgelobte Baufinanzierungs-App an den Markt gebracht. Macht der Kunde die Baufinanzierung von morgen innerhalb von Stunden?

Wir stellen fest, dass es zwei Arten von Bankgeschäften gibt: zum einen die klassische Einlage bzw. das Kartengeschäft – dies werden zunehmend digitale Themen. Das andere sind eher anspruchsvolle Leistungen, die Sie ein bis zwei Mal in Ihrem Leben nutzen, etwa die Immobilienfinanzierung. Bei diesen Lebensentscheidungen benötigen Sie eine Beratung. Die BauFi-App ist dafür da, sich mit dem Thema zusätzlich zu dem persönlichen Gespräch auseinanderzusetzen. Wir haben viele Anfragen von anderen Anbietern, die diese App gerne hätten.

Banken sind seit über dreißig Jahren digital. Daher sagen viele Banker, dass sie eigentlich bei einem großen Fintech arbeiten. Schließlich bestehen sie aus Finanzen und Technologien.

Es gibt aus meiner Sicht zwei wichtige Unterschiede zwischen einer klassischen Bank und einem Fintech: Wir sind etwas langsamer, weil wir die gesamte Wertschöpfungskette betrachten, während sich Fintechs in einzelne Teile dieser Kette einloggen. Aber dafür können wir besser und schneller skalieren.

Und Sie haben eine größere Kundenreichweite.

Das stimmt. Wenn man beispielsweise die Nutzerzahlen unseres digitalen Haushaltsbuchs betrachtet – dafür haben sich rund 640.000 Kunden angemeldet – dann kann man einfach konstatieren: Manchmal dauert es etwas länger, aber wenn wir am Start sind, dann sehr kräftig.

„Wir beherrschen die Spielregeln, neue Anbieter nicht“

Die große Fintech-Revolution scheint auszubleiben. Die ING-DiBa kauft nun beispielsweise Lendico. Ist das jetzt der Trend?

Dass der große Hype erst einmal verflogen ist, überrascht mich nicht. Aus der Fintech-Revolution wird eine Fintech-Evolution. Wenn Sie ein Fintech näher betrachten, haben Sie drei Möglichkeiten: Sie können es kaufen oder sich daran beteiligen, dafür haben wir u.a. den Main Incubator und CommerzVentures. Sie arbeiten mit einem Fintech zusammen und binden es in Ihre Wertschöpfungskette ein. Oder Sie schauen, welche Ideen Sie einfach übernehmen können. Wir screenen die Fintechs regelmäßig und entscheiden, welche für uns interessant sind.

„Wir müssen mit dem Begriff Angst aufhören“

Wie stehen Sie zu Kreditmarktplätzen?

Nicht jede gute Idee ist auch erfolgreich. Wir haben uns verschiedene Fintechs angeschaut. Wichtig ist immer, was hinter der Fassade steckt. Es geht im Kern um „Speed and Scale“.

Was droht tradierten Häusern, wenn die Googles und Apples plötzlich eine Strategie gegen das klassische Bankgeschäft fahren? Amazon plant aktuell ein Girokonto mit der Unterstützung von JP Morgan. Ist an dieser Stelle mehr Angst angebracht?

Wir müssen mit dem Begriff Angst an dieser Stelle aufhören. Das hilft nicht weiter. Es gibt neue Technologien mit großem Potenzial für alle Marktteilnehmer. Wir wollen herausfinden, wie wir diese Technologien für unsere Kunden nutzen können. Und es gilt zu klären, wie man mit neuen Partnern in diesem Kontext zusammenarbeiten kann. Dafür haben wir zum Beispiel unser Partnership-Banking, bei dem wir etwa mit TUI, Tchibo, Lufthansa oder der Deutschen Bahn kooperieren. Diese Kooperationen tragen zu unserem Wachstum bei. Und vergessen wir nicht: Unser Markt ist hart reguliert. Wir kennen die Spielregeln und beherrschen sie, neue Anbieter nicht. Wir sind aber mit vielen Firmen im Gespräch. Unsere aktuellen Partnerschaften zeigen, dass wir in der Lage sind, miteinander etwas zu entwickeln.

Als White-Label oder mit eigener Sichtbarkeit?

Das entscheiden wir im konkreten Fall.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass Banken nur noch die Produkte bauen und das Back-up-Banking betreuen?

Wenn Kunden die TUI CARD benutzen, dann wissen sie, dass dies eine Commerzbank-Karte ist. Viele unserer Partner legen großen Wert darauf, dass unsere Marke auf diesen Finanzdienstleistungsprodukten zu erkennen ist. Denn in Zeiten, in denen die Menschen zunehmend ein sensibles Gespür für Daten haben, ist Vertrauen ein echtes Asset von Banken. Das ist eine Stärke unserer Marke, in die wir viel Geld investieren.

Sie investieren auch viel Geld in den Kunden. Vielen Brancheninsidern missfällt, dass eine staatlich gerettete Bank ein Startguthaben-Modell zur Gewinnung von Neukunden betreibt. Wie reagieren Vorstände aus dem Genossenschafts- und Sparkassensektor, denen Sie begegnen?

Zu mir ist man immer sehr nett. Wir haben eine Wachstumsstrategie und es gibt Wettbewerb. Wenn man wachsen will, muss man Marktanteile gewinnen und damit anderen Marktanteile wegnehmen. Dafür haben wir sehr viel Zeit und Geld in eine Marketingstrategie investiert. Hier spielen wir auch unsere Stärke eines bundesweit agierenden Players aus. Ich kenne die Diskussion, auf die Sie anspielen. Aber sie beschäftigt mich nicht.

Glauben Sie an weiteres Wachstum in den nächsten drei Jahren?

Wir wollen von Ende 2016 bis Ende 2020 um zwei Millionen Kunden wachsen. Wir wissen, dass 25 Prozent der Menschen latent bereit sind, ihre Bank zu wechseln. Diese Bereitschaft hat in den vergangenen Jahren zugenommen. In den nächsten Jahren werden etwa 30 Millionen Menschen ihre Filiale aufgrund von Schließungen verlieren. Gleichzeitig wollen die meisten Menschen nicht auf den persönlichen Kontakt verzichten. Es gibt also genug Potenzial für weiteres Wachstum.