DAX-Analyse: Alles halb so schlimm?

Die Rückkehr der Risikofreude bei den Anlegern führte zu einer deutlichen Erholung an den Börsen. Auch DAX-Aktien waren gefragt, der Index nimmt den Widerstand bei 9.600 Punkten ins Visier. Gründe für die Rückkehr der Risikofreude gibt es einige: Vor allem hat der Anstieg beim Ölpreis für eine Entspannung der strapazierten Nerven gesorgt. Dazu kommt eine…


Die Rückkehr der Risikofreude bei den Anlegern führte zu einer deutlichen Erholung an den Börsen. Auch DAX-Aktien waren gefragt, der Index nimmt den Widerstand bei 9.600 Punkten ins Visier.

Gründe für die Rückkehr der Risikofreude gibt es einige: Vor allem hat der Anstieg beim Ölpreis für eine Entspannung der strapazierten Nerven gesorgt. Dazu kommt eine Erholung am chinesischen Aktienmarkt. Zwei der wichtigsten Sorgenkinder der internationalen Anleger bereiten aktuell also weniger Probleme. Der drohende EU-Austritt Großbritanniens (Brexit) konnte die gute Laune (noch) nicht dämpfen.

Die Stimmung hat sich gedreht

„Rückkehr der Risikofreude“ klingt etwas technisch. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Stimmung hat sich weiter von „es droht eine Finanzkrise wie 2008“ auf „alles halb so schlimm“ gedreht. Und wenn alles nicht ganz so schlimm wird, wie vor kurzem noch von den Pessimisten befürchtet, dann suchen die Anleger wieder nach Rendite. Aktien ermöglichen diese Rendite, vor allem wenn die Zinsen für Festgeld und Anleihen so niedrig bleiben wie aktuell. Die DAX-Werte beispielsweise bieten derzeit im Durchschnitt eine Dividendenrendite von 2,8 Prozent.

Deutsche Konjunktur schwächt sich ab

Die zuletzt veröffentlichten Konjunkturdaten konnten allerdings nicht zur positiven Stimmung beitragen, sie lagen zumeist unter den Erwartungen. So wurde z.B. für Februar ein überraschend deutlicher Rückgang bei den Einkaufsmanagerindizes in der Eurozone gemeldet. Vor allem Lage und Stimmung in der Industrie trübten sich ein. In Deutschland sank die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe auf den tiefsten Stand seit 15 Monaten! Verantwortlich dafür sind in erster Linie die schlechteren Auslandsgeschäfte, nicht nur in den Schwellenländern. Die Kurserholung beim Euro lässt die Exporteure zudem weniger zuversichtlich in die Zukunft blicken. Auch der von der EU ermittelte Index des Verbrauchervertrauens rutschte kräftiger als prognostiziert ab, und zwar von -6,3 auf -8,8.

Konsumenten zunehmend verunsichert

Letzteres könnte bedeuten, dass wie von mir befürchtet die Turbulenzen an den Märkten und der Absturz der Aktienkurse immer mehr auch die Konsumenten verunsichern. Die Flüchtlingskrise dürfte ebenfalls zur Stimmungsverschlechterung beigetragen haben. Die konkrete Finanzlage der Verbraucher selbst kann jedenfalls dafür nicht verantwortlich sein, denn die Lage am Arbeitsmarkt und die Entwicklung der privaten Einkommen zeigen EU-weit im Durchschnitt nach oben.
An den Märkten wurden aber die schwachen Konjunkturdaten beiseitegeschoben und zwar nicht, weil die Marktteilnehmer so unrealistisch sind, sondern weil durch den starken Kursrückgang an den Börsen diese Konjunktureintrübung schon vorweggenommen worden war. Kommt jetzt alles nicht so schlimm – z.B. weil sich der Ölpreis wieder erholt und weil sich Chinas Aktienmarkt stabilisiert – dann genügt dies als Grund für eine Kurserholung.

Die Risiken bleiben bestehen

Die Gefahr einer Systemkrise bleibt aber bestehen. Systemkrisen zeichnen sich durch eine negative Eigendynamik aus, die kaum noch zu stoppen ist. In den ersten Wochen des Jahres haben wir einen Vorgeschmack darauf bekommen, was noch drohen könnte. In drei Bereichen ist das Risiko von Kreditausfällen besonders groß: 1. In der Ölbranche in den USA. 2. In rohstoffexportierenden Schwellenländern wie Brasilien, Nigeria, Russland und Südafrika. 3. Bei chinesischen Firmen aus dem Immobilien- und Bausektor.

Eine neue Belastung: Der Brexit

Noch droht es nur am Horizont, aber ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens könnte die allgemeine Verunsicherung an die Märkte zurückbringen. Der britische Premierminister David Cameron stellte sich zwar als glänzenden Sieger des EU-Gipfels dar, aber auf der Insel nehmen ihm das offenbar nur wenige ab. Die britischen Medien haben die Brexit-Debatte sogar noch befeuert. Zu allem Überfluss hat sich Londons populärer Bürgermeister Boris Johnson offen ins Lager der EU-Gegner geschlagen und damit seinem „Parteifreund“ Cameron das Messer in den Rücken gestoßen. Gut möglich, dass durch sein Werben für den Brexit der Austritt Großbritanniens aus der EU deutlich wahrscheinlicher wird.

Abstimmung in Großbritannien am 23. Juni

Laut Umfragen sind ein Drittel der Briten dafür, ein Drittel dagegen – der Rest ist noch unentschieden. Dass ausgerechnet der Londoner Bürgermeister sich für den Brexit stark macht, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Keine Stadt auf der Insel profitiert so vom gemeinsamen Markt wie London und seine Finanzindustrie. Sicherlich käme es zu Abwanderungsbewegungen, wenn das Land nicht mehr EU-Mitglied wäre. Die Profiteure wären Frankfurt und Paris. Doch Sie sehen schon, ich verwende sehr viel Konjunktiv. Hätte, käme, würde – denn sicher ist nichts, weder ob es zum Brexit kommt, noch welche Folgen der genau nach sich ziehen würde. Selbst eine Abspaltung Schottlands könnte dann wieder auf die Agenda kommen. Diese Unsicherheit ist Gift für die Märkte. Vor allem das britische Pfund dürfte hierdurch belastet werden. Bei der Bank of England herrscht daher schon Alarmstimmung. Ob sich der Theaterdonner der Politik am 23. Juni in einer Explosion entlädt, müssen wir abwarten, für Unsicherheit an den Märkten sorgt er allemal.

DAX: Charttechnik deutlich positiver

Der DAX hat mit dem Anstieg über den Widerstand bei 9.330 Punkten in der letzten Woche auch den steilen kurzfristigen Abwärtstrendkanal nach oben verlassen. Besonders positiv: Am Freitag wurde nochmals die 9.330-Punkte-Marke als Unterstützung bestätigt. Auch die charttechnischen Indikatoren zeigen nach oben: Nachdem zuerst der RSI ein Kaufsignal gegeben hatte, hat der MACD-Indikator ebenfalls nachgezogen und hat seine Signallinie überschritten (siehe rote Markierung im Chart). Der DAX steht aber nun im Bereich von 9.550/9.650 Punkten vor einer starken Widerstandszone. Hier verläuft auch die 38-Tagelinie.

Fazit

Die allzu negative Stimmung an den Börsen hat sich gedreht, vorherige Kursübertreibungen nach unten werden korrigiert. Das heißt aber nicht, dass die Belastungsfaktoren nun verschwunden sind. Die verschiedenen Krisenherde können jederzeit wieder aufbrechen. Kurzfristig entscheidet der Widerstand bei 9.600 Punkten darüber, ob sich die Kurserholung fortsetzt. Ein rascher Anstieg über diesen Resist wäre ein positives Zeichen. Die Zwischenrallye dürfte allerdings bald an Schwung verlieren.