Ultraniedrigzins-Politik: „Wie erdraghi das als Anleger?“

Immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr tiefer, setzen die Zentralbänker noch einen drauf. Die Senkung des Leitzinses in der Eurozone auf 0,15% von zuvor 0,25% ist zusammen mit der Einführung eines negativen Einlagesatzes von 0,10% ein historischer Schritt – das kann man so sagen, ohne des Pathos verdächtigt zu werden. Insbesondere war es…


Immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr tiefer, setzen die Zentralbänker noch einen drauf. Die Senkung des Leitzinses in der Eurozone auf 0,15% von zuvor 0,25% ist zusammen mit der Einführung eines negativen Einlagesatzes von 0,10% ein historischer Schritt – das kann man so sagen, ohne des Pathos verdächtigt zu werden.

Insbesondere war es in Zeiten der vielzitierten Alternativlosigkeit eben keine zwingende Maßnahme. Denn nach rund sechs schier endlos erscheinenden Jahren der Finanz-, dann Euro-, dann Staatsschulden-, dann Wirtschaftskrise hätte die EZB auch ein Zeichen der Normalisierung setzen können.

Die Kreditvergabe in den Krisenstaaten stockt nämlich sicher nicht wegen zu hohen Leitzinsen; und auch die Einführung eines „Strafzinses” kann eine rational arbeitende Bank nicht dazu verleiten, an Schuldner mit schlechter Bonität günstige Darlehen auszureichen. Die EZB sollte das eigentlich am allerbesten wissen, übernimmt sie doch im Herbst die europäische Bankenaufsicht und verdammt die Geldhäuser vorher zum „Stresstest”.

Im Gegensatz zum „immer weniger” der Zinspolitik dürfte es bei der Kapitalausstattung der Banken durchaus mal ein „bisschen mehr” sein. Wohlgemerkt Eigenkapitalausstattung. Noch so viele billige Kredite von der Zentralbank können nichts daran ändern, dass Risiken adäquat mit Eigenkapital gedeckt sein müssen. Wer soll es den Banken verdenken, dass sie lieber „sichere” Anleihen kaufen als unsichere Kredite zu vergeben? Staatsanleihen sind per Definition ausfallsicher und mehr oder weniger auch de facto, seit die EZB klargemacht hat, dass der Euro unter allen Umständen „gerettet” wird.

Angesichts der aktuell laufenden Börsenhausse und den anstehenden Ergebnissen des Stresstests im Herbst dürften viele Banken relativ leicht an frisches Kapital kommen. Mit dann hoffentlich solider dastehenden Bilanzen könnte der EZB-Plan der Ankurbelung der Kreditvergabe an die Realwirtschaft sogar klappen. Dies passt auch zusammen mit der Projektion der EZB, dass die neuen geldpolitischen Maßnahmen (inkl. der „TLTROs”) in rund drei Quartalen erste Wirkung zeigen sollten.

Was macht man nun als Anleger? Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Phase extrem niedriger Zinsen noch sehr lange dauern könnte. Der Ex-Fed-Chef Ben Bernanke soll kürzlich vor handverlesenem Publikum ausgeplaudert haben, was des deutschen Sparers Alptraum ist: Dass er selbst in seinem Leben keine deutlich höheren Zinsen mehr erwartet. Er ist Anfang 60. Sollte man nun auf einen draghischen Unfall Bernankes setzen oder seine Anlagestrategie überdenken?

Aktien sind alternativlos, schallt es einem sofort entgegen, stellt man diese Frage in einer kundigen Runde. Das ist auf lange Sicht auch immer richtig gewesen. Dummerweise sind die Finanzmärkte aber bisweilen auch recht effizient. Die Tatsache, dass die Zinsen niedrig sind und wohl auch bleiben, ist allen Marktteilnehmern bekannt und somit „eskomptiert”. Dagegen gibt es einige Risiko-Faktoren, die gerne ignoriert werden. So ist die Profitabilität der Großkonzerne, sieht man von ein paar notorischen Problemfällen ab, auf historisch hohem Niveau. Die KGV-Bewertung der Aktien (DAX, S&P 500) liegt in der Gegend um 15-17. Das ist zwar viel günstiger als beispielsweise 2000, als für US-Aktien ein KGV von gut 25 aufgerufen wurde, aber auch deutlich teurer als der historische Schnitt von ca. 12. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass die Interpretation der Bilanzzahlen immer kreativer wird. Möglichst geringer Gewinn als Grundlage für die Besteuerung, aber wenn es um die Berechnung des KGV geht, wird gerne mal von allerlei Aufwänden behauptet, sie seien einmaliger Natur. Günstig erscheinen Aktien aber dennoch, wenn man das niedrige Zinsniveau einkalkuliert. Der relative Bewertungsvorteil wird offensichtlich, wenn man das „Renten-KGV” betrachtet. Das Renditeniveau einer 10-jährigen Bundesanleihe von 1,35% kann man auch als KGV von 74 sehen. Bei US-Bonds, die 2,55% Rendite abwerfen, sinkt das KGV zwar auf 39, ist aber immer noch viel zu hoch. Hier sieht man übrigens auch klipp und klar, was der Anleger keinesfalls tun sollte: Deutsche Staatsanleihen kaufen. Die kalte Enteignung über eine reale  Nachsteuerrendite von ca. 0% muss man sich nicht geben – außer, man rechnet nach wie vor mit dem Auseinanderbrechen des Euro.

Immobilien? Klar, wenn man selbst drin wohnen will. Es ist nachgewiesen, dass das Eigenheim die Zufriedenheit merklich erhöht. Und das ist noch wichtiger als Rendite. Wer im Ausland kaufen will, kann einen Blick auf die arg gebeutelten Märkte Spaniens und vielleicht auch Griechenlands werfen. Die Wende ist zwar schon da, aber das Niveau noch durchaus verlockend. Es ist anzunehmen, dass die EZB eine Wiedererstarkung der Immobilienmärkte der Krisenstaaten sehr wohlwollend betrachtet…

An der Börse muss das Motto sein, kurzfristig zu agieren. Aktives Depotmanagement und Trading sind das Gebot der Stunde. Kaufen und liegen lassen war früher. Man muss jederzeit bereit sein zu reagieren – sonst stirbt womöglich Bernanke und man kriegt es nicht mit…