Nach beinahe elf Jahren an der Spitze der Bundesbank kündigt Jens Weidmann seinen Abgang zum Jahresende an. Kein Disput, kein Skandal – Weidmann entscheidet aus persönlichen Gründen und hinterlässt damit ein überraschtes Umfeld.


Beitragsbild_Daily_Jens Weidmann Rücktritt

„Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, formuliert Weidmann in einem internen Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bank. Es heißt die Entscheidung seines Abgangs sei schon seit geraumer Zeit getroffen worden, mit der Veröffentlichung habe er jedoch absichtlich bis nach den Bundestagswahlen gewartet. Bis zum Jahresende verweilt Weidmann noch in seinem Amt, ab Januar erwartet ihn dann eine zweijährige Cooling-off-Periode, die eine Annahme von Jobangeboten in der Finanzwirtschaft ausschließt. Er wird somit wie ein politischer Beamter in den Ruhestand gehen.

In seinem Brief lässt er außerdem die letzten Ereignisse seiner Amtszeit Revue passieren: „Die Finanzkrise, die Staatsschuldenkrise und zuletzt die Pandemie haben in Politik und Geldpolitik zu Entscheidungen geführt, die lange nachwirken werden. Mir war es dabei immer wichtig, dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt.“ Diese klare, stabilitätsorientierte Stimme war in den Augen vor allem ihm zu verdanken.

Zu lockere Geldpolitik der EZB

Der promovierte Volkswirt bewegte sich viele Jahre im Bereich der Geldpolitik bevor er Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt, und damit Wirtschaftsberater von Angela Merkel wurde. Daraufhin löste er Axel Weber als Präsident der Deutschen Bundesbank ab und besetzte damit den Posten als Jüngster im Alter von nur 43 Jahren.

Seither galt er als Befürworter einer strengen Geldpolitik. Im Zuge dessen stand er der Europäischen Zentralbank (EZB) durchweg kritisch gegenüber, so bemängelte er deren eher lockere Strategie. „Wie locker soll die Geldpolitik der EZB sein?“ war die Frage, die sich konstant durch Weidmanns Amtszeit zog. Aus diesem Grund wurde unter seiner Führung der geldpolitische Konflikt zwischen „alter Bundesbankschule“ und „neuem EZB-Paradigma“ konstruktiver bewältigt als unter Axel Weber.

Vernachlässigte Inflationsgefahr

Weidmann schreckte nicht davor zurück, auch mal gegen den Strom zu schwimmen: des Öfteren kam es schon zu Differenzen mit dem inzwischen Ex-EZB-Präsidenten Mario Draghi bei einigen geldpolitischen Grundsatzentscheidungen. Weidmann sehnte sich klar und deutlich nach einer Distanzierung von der Nullzinspolitik und dem starken Anleiheankauf, in Befürchtung die Finanzmärkte und die Euro-Staaten würden sich an das billige Geld gewöhnen und über die Inflationsgefahr hinwegsehen.

Trotz der Begründung seiner Entscheidung wird über die Hintergründe seines überraschenden Rückzuges spekuliert. Unter anderem ahnen einige, dass Weidmann Mitstreiter und Gleichgesinnte in Bezug auf die lockere Geldpolitik gemisst haben könnte, die ihm im Ernstfall zur Seite hätten stehen können. Weidmann äußerte sich in seinem Abschied mit einem Ausblick: „Dabei wird es entscheidend sein, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“.

Seit Bekanntgabe des Rücktritts äußerten sich bereits mehrere Stimmen, die ihr tiefstes Bedauern kundgaben. Darunter auch Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er erklärt 2022 als das entscheidende Jahr, in dem sich herauskristallisieren wird, ob die EZB die Inflationsbekämpfung auch ohne Weidemann in Angriff nehmen wird. Fest steht, dass die Neubesetzung der Position eine große Herausforderung für die neue Bundesregierung darstellen wird.

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