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Agile Methoden im Zahlungsverkehr: „Bei uns kam der Impuls dezentral“

Interview aus dem Homeoffice: Tanja Kehl und Hendrik Norbisrath von der TARGO Dienstleistungs GmbH über Auswirkungen der Corona-Krise auf den Zahlungsverkehr, über agiles Arbeiten und Nachhaltigkeit beim bargeldlosen Bezahlen.


Wie die TARGO Dienstleistungs GmbH agile Arbeitsmethoden im Zahlungsverkehr eingeführt hat und wie es mit der Nachhaltigkeit von Bargeld aussieht, erfahren Sie im Beitrag.

BANKINGNEWS: Herr Norbisrath, häufig hört man, dass Corona zum Stresstest für Banken wird. Wie erleben Sie die Krise bei der täglichen Arbeit?

Hendrik Norbisrath: Ich erlebe, dass besondere Herausforderungen besondere Lösungen hervorbringen. Man sieht eine große Solidarität und große Bereitschaft für flexibles Handeln, pragmatische Entscheidungen und viel Mut. Natürlich hat die Corona-Krise sowohl unseren Filialbetrieb als auch die Abläufe in unseren größeren Gebäuden in Duisburg, Düsseldorf und Mainz vor Herausforderungen gestellt. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit unserer Maxime, dem Gesundheitsschutz der Mitarbeiter und Kunden oberste Priorität einzuräumen, sehr gut gefahren sind. Wir haben sowohl kulturell als auch technisch in kurzer Zeit crossfunktional viel auf die Straße gebracht.

Glauben Sie, die Krise wird Ihre Arbeit nachhaltig verändern?

Tanja Kehl: Ich glaube es nicht nur, ich hoffe es sogar. Wenn wir in unserer Organisation heute über die schrittweise und intelligente Besiedlung des Campus nachdenken, sollte es nicht unser Ziel sein, einfach zum Status vor dem Lockdown zurückzukehren. Denn die letzten Wochen haben gezeigt, dass der Shutdown bei allen Einschränkungen auch positive Auswirkungen auf Arbeitsabläufe und Prozesse hatte. Es wäre daher kurzsichtig, wenn wir alle Änderungen nach Corona wieder zurückdrehten.

Norbisrath: Absolut, die Krise hat gezeigt, zu was wir imstande sind. So haben wir zum Beispiel neue Formen der Zusammenarbeit in Realsituationen erprobt. Das werden wir sicher nicht einfach unter Erfahrung buchen. Ich sehe also durchaus auch eine Chance in der aktuellen Situation, gerade für uns als Omnikanal-Bank mit dem Fokus auf stationärer Beratung einerseits und digitalen Lösungen andererseits.

„Agilität ist viel mehr als ein Board“

Herr Norbisrath, als Bereichsleiter Sie sind verantwortlich für die Abteilungen Wertpapier-Service und Zahlungsverkehr. Woran arbeitet das Team gerade mit Hochdruck?

Norbisrath: Grundsätzlich versuchen wir mit dem gesamten Team im Transaction Banking einen Dreiklang herzustellen, in dem das Tagesgeschäft gleichberechtigt mit der agilen Transformation und unseren Projekten stattfindet. Wir agieren bei den Projekten in enger Abstimmung mit den Produktbereichen in Düsseldorf und den IT-Kollegen in Frankreich und treiben die Digitalisierung aller Zahlungsformen weiter voran.

Sie sind vor zwei Jahren gemeinsam mit Kollegen ein „agiles Wagnis“ eingegangen. Wieso haben Sie sich dazu entschlossen, agiles Arbeiten in einer operativen Zahlungsverkehrseinheit einzusetzen?

Norbisrath: Wir sind hier tatsächlich ein bisschen exotisch unterwegs. Normalerweise gibt die IT den Impuls für agiles Arbeiten und es wird etwa ein Scrum Framework für agile Softwareentwicklung eingeführt. Bei uns kam der Impuls dezentral aus verschiedenen Operationseinheiten. Ich bin überzeugt, dass strenge Hierarchien, Top-Down-Entscheidungen und monothematische Sachbearbeitung nicht mehr zeitgemäß sind. Agilität ist für mich viel mehr als nur ein Board. Wir legen den Fokus auf „Being Agile“, also auf das agile Mindset. Es geht uns nicht darum, möglichst viele Kanbans und Post-Its auf unserer Etage zu haben.

Kehl: Es macht es umso schöner, das vom Bereichsleiter zu hören. Das „Being Agile“ in unserem Bereich unterstützen zu dürfen, war für mich eigentlich die Voraussetzung, in die Rolle der Transformationsbeauftragten zu gehen. Meine Rolle wird auch oft als Agile Master oder Coach beschrieben, viele verwechseln das mit einem Methodenfüllhorn. Ich selbst beschreibe meine Rolle lieber als die der „Selbstorganisationszulasserin“. Da gehört die Reflexion der Haltung unserer Kollegen für mich unbedingt dazu. Wir haben Task-Boards und probieren mit immer neuen Methoden aus, wie wir gegenseitig unsere Arbeit transparent machen, kollaborieren und einen Mehrwert aus einer anderen Denke heraus schaffen. Fokussierung und Kommunikation sind dabei wesentliche Faktoren. Aber die Umstellung der Herangehensweise allein ist nicht unser zentrales Ziel.

Sondern?

Kehl: Wir glauben daran, dass wir einen authentischeren Mehrwert schaffen können, wenn wir Mitarbeitern den Rahmen liefern, sich persönlich weiterzuentwickeln – hin zu einem Bereich mit mutigen, selbstorganisierten und reflektierten Mitarbeitern. Ein Ort also, an dem man gerne und zusammen für seine Kunden arbeitet. Und in dem das Credo „Team vor Ego“ zu gemeinsamen Höchstleistungen anspornt. Ich bin der Überzeugung, dass unsere Haltung ein entscheidendes Kriterium für gemeinsamen Erfolg ist.

„Wie bei jedem Change muss man Menschen Zeit geben“

Welche konkreten Erfahrungen haben Sie gemacht?

Norbisrath: Zunächst einmal bedeutet der Schritt in die Welt des agilen Arbeitens ja Veränderung. Menschen stehen Veränderungen aber erst einmal zurückhaltend gegenüber. Also waren die ersten Schritte zur Erweiterung unseres Potenzialraums nicht immer trivial.

Kehl: Unser Bereich brauchte selbst Mut zum Start, der uns half, den neuen Erfahrungsraum außerhalb der Komfortzone zu betreten.

Norbisrath: Umso erfreulicher finde ich zu beobachten, wie mutig Mitarbeiter werden. Sie lernen, ihre eigenen Team-Events zu moderieren. Sie kümmern sich selbstverantwortlich um die Planung ihrer gemeinsamen Aufgaben. Sie arbeiten über Teamgrenzen hinweg miteinander, Entscheidungen entstehen im Dialog. Das ist toll, zu sehen.

Kehl: Für mich ist es wunderbar dabei zu sein, wenn sich in Teams ein Knoten löst. Wenn Kollegen, die überwiegend nebeneinander her arbeiten, spüren, dass sie zusammen als Gestalter Teil einer Lösung sein können. Wenn eine bislang selbstorientierte Einstellung von Mitarbeitern übergeht in ein „Wir akzeptieren unsere Verschiedenartigkeit und kommen dadurch noch besser gemeinsam zum Ziel“.

Welche Herausforderungen gab es?

Kehl: Wie bei jedem Change muss man Menschen Zeit geben und sie im Prozess begleiten. Agile Denk- und Arbeitsweisen müssen sich entwickeln dürfen. Vertrauen zu üben ist sicher eine der größten Herausforderungen – von der Mitarbeiter- und von der Führungsseite. Und aushalten können, dass der Weg zum Ergebnis anders aussieht als der, den man selbst gewählt hätte. Vertrauen haben, dass es gut wird. Lösungsansätze? Kommunikation. Woran es hapert? Kommunikation.

Norbisrath: Wobei Kommunikation auch nicht als Buzzword zu verstehen ist, denn wahrscheinlich werden wir, wenn wir reflektiert bleiben, nie einen Haken darunter machen können und sagen: „Kommunikation fertig, nächstes Thema“.

Was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Erfolgsfaktor, wenn eine Bank agiles Arbeiten im Zahlungsverkehr einsetzen möchte?

Kehl: Sein eigenes „Warum“ zu kennen, ist enorm wichtig. Agilität einzusetzen, nur weil andere es machen, ist sicher der falsche Ansatz.

Norbisrath: Vieles fängt mit der Frage an „Was ist mein Problem, das ich lösen will und was ist die Erwartung der Kunden?“. Dringend abraten würde ich von Schablonen-Lösungen wie „Wir machen jetzt auch das Spotify-Modell“, ohne den eigenen Bedarf und das eigene Ziel analysiert zu haben.

„Der Zusammenhalt ist ein entscheidender Faktor, um in Krisensituationen leistungsstark agieren zu können.“

Über Agilität wird gerade nicht mehr ganz so viel debattiert, dennoch hat das Thema nicht an Relevanz verloren. Inwiefern kann Agilität bei der Bewältigung von Krisen helfen?

Kehl: Wir erkennen deutlich, dass wir schon vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie einiges an verändertem Verhalten und neuen Arbeitsweisen erreicht haben. Das kam uns vor allem in den ersten beiden Wochen zugute, in denen wir Remote gearbeitet haben. Unsere veränderte Kommunikationskultur über Teamgrenzen hinweg half uns, die Teams kurzfristig zu supporten, in denen die Arbeitslast aufgrund der Situation explodierte. Der Zusammenhalt ist meiner Meinung nach ein entscheidender Faktor, um in Krisensituationen besonnen und leistungsstark agieren zu können.

Aufgrund der Krise boomt das kontaktlose Bezahlen. Wie wird der Zahlungsverkehr in Zukunft aussehen?

Norbisrath: Der Anspruch an Convenience gegenüber Bargeld hat sich meines Erachtens durch Covid-19 nicht verändert. Aber die Krise gibt dem kontaktlosen Bezahlen und auch dem Mobile Payment noch einmal einen Schub. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dieses positive Momentum zu nutzen. Dafür müssen wir nicht nur bei Produkten, sondern eben auch auf der Akzeptanz-Seite weiterkommen. Ich kann mittlerweile im Einzelhandel an Stellen mit Karte zahlen, die ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen konnte. Da ist meine Hoffnung, dass Handel und Banken weiter Hand in Hand gute Lösungen für die Kunden forcieren. Ich habe auch mit Händlern gesprochen, die, auch in Verbindung mit teils auch falsch verstandener Bürokratie, weiterhin für sich keinen Zusatznutzen in unbaren Transaktionen sehen. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

„Im Vergleich ist bargeldloses Zahlen mittelbar sicherlich umweltfreundlicher“

Das Thema bargeldloses Bezahlen wird häufig auch im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit debattiert. Wie wichtig ist Nachhaltigkeit im Zahlungsverkehr?

Norbisrath: Persönlich finde ich Nachhaltigkeit sehr wichtig. Deshalb sehe ich den ökologischen Fußabdruck von Papiergeld in seinem gesamten Lebenszyklus durchaus kritisch. Es beginnt bei der Gewinnung der Baumwollfaser und endet mit der Entsorgung der Geldscheine. Dazwischen liegen unzählige Versorgungsfahrten, alles zusammen sind das also riesige CO2-Äquivalente. Im Vergleich dazu ist bargeldloses Zahlen mittelbar sicherlich umweltfreundlicher und sollte auch deswegen weiter ausgerollt werden.

Ihre Bank veranstaltet den „TARGOBANK Run“. Der Run kann 2020 aufgrund der Corona-Krise nicht stattfinden. Wie wichtig ist Ihnen persönlich soziales und gesellschaftliches Engagement?

Norbisrath: Dass der „Run“ nicht stattfinden kann, ist schade, aber auch ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein. Er ist mehr als eine Laufveranstaltung, das gemeinsame Feiern mit den Duisburgern im Anschluss macht mindestens genauso viel Freude wie das Laufen selbst. Deswegen war uns im Organisations-Team aber leider auch recht schnell klar, dass bei verantwortungsvoller Planung keine Alternative zur Absage besteht. Umso mehr freut es mich, dass wir unsere Spendenzusage von über 30.000 Euro an karitative Einrichtungen in Duisburg trotzdem aufrechterhalten. Das strahlt für mich deutlich über die Arbeit hinaus. Ich glaube, dass soziales Leben nur im Miteinander funktioniert.

Kehl: Auch ich bin überzeugt davon, dass das globale „Wir“ zunehmend richtungsweisend für unsere Gesellschaft sein wird. Wir werden alte Denkmuster aufräumen müssen, um nachhaltigere und gerechtere Strukturen in unser Leben zu lassen. Das gilt im Großen wie im Kleinen, also für sich selbst, im Familien- und Freundeskreis, aber vor allem auch im Unternehmenskontext.

 Interview: Laura Kracht

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