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„Wir möchten einen europäischen Markt, auf dem der Verbraucher die Wahl hat“

Fintechs sind aus der Finanzbranche nicht mehr wegzudenken. Trotzdem nehmen sie in vielerlei Hinsicht noch immer eine Sonderrolle ein. Greta Schulte von der European FinTech Association über Fintech-Regulatorik in Europa, Individualisierung von Finanzangeboten und die Konkurrenz durch Big Techs.


Greta Schulte von der EFA im Interview über Regualtorik, Banken und Fintechs

BANKINGNEWS: Für Banken gibt es in Europa einige Verbände. Fintechs hingegen werden auf europäischer Ebene durch die European FinTech Association (EFA) vertreten. Wie gestaltete sich der Gründungsprozess der EFA?
Greta Schulte: Die European FinTech Association wurde 2020 von einer Gruppe europäischer Fintechs gegründet und ist eine grenzüberschreitende, effektive Interessensvertretung auf europäischer Ebene. Im Tech-Bereich und, wie Sie sagten, in der Bankenbranche gibt es viele Verbände, aber die Schnittstelle Technologie und Financial Services war bisher unterrepräsentiert. Im Gründungsjahr hatten wir 22 Mitgliedsunternehmen, 2022 haben wir 39 Mitglieder – eine gute Bilanz, wie ich finde. Insgesamt kommen unsere Mitglieder inzwischen auf eine Bewertung von über 200 Milliarden Euro. Dies spricht einerseits für die Fintechs selbst und andererseits für die Rolle, die sie inzwischen auf dem Markt spielen.

Welche Rolle ist das?
Das Konzept Fintech ist für mich eine Art der Geisteshaltung. Fintechs sind Unternehmen, die den Markt für Finanzdienstleistungen bewusst verändern wollen. Die Mitglieder der EFA kommen unter anderem aus dem Banking-, Payment-, Transfer-, Robo-Advisor- oder Software-as-a-Service-Bereich. Was alle Mitglieder eint, ist der Gedanke, dass europäische Kunden von einer höheren Individualisierung im Sinne zielgerichteter Services profitieren können. Hier hinkt die Finanzbranche hinterher. Das gilt nicht spezifisch für Banken, sondern lässt sich auf Finanzdienstleistungen im Allgemeinen übertragen. Ziel der Fintechs ist es, maßgeschneiderte Leistungen anzubieten: das kann alleine oder in Kooperation mit anderen Unternehmen sein.

Wie würden Sie wiederum Ihre Ziele und Aufgaben beschreiben?
Ein Problem ist, dass der Großteil der Regulatorik aus einer Zeit stammt, in der Fintechs noch keine große Rolle gespielt haben. Weiterhin sehen sich unsere Mitglieder weniger als beispielsweise deutsche oder französische Unternehmen, sondern schlichtweg als europäische Unternehmen. Daher wollen sie auch in allen Märkten aktiv sein. Es gibt jedoch keinen einheitlichen EU-Markt für digitale Finanzleistungen und keine konsistente, das aktuelle Marktumfeld abbildende Regulatorik. Hierzu befinden wir uns in Kontakt mit der Europäischen Kommission und dem Parlament. Ich komme aus der Politikwissenschaft und mir liegt die Europäische Union am Herzen. Entsprechend ist es für mich enorm spannend, an genau dieser Stelle die Gesetzgebung aktiv mitgestalten zu können.

Fintechs sind Unternehmen, die den Markt für Finanzdienstleistungen bewusst verändern wollen.

Sie haben gesagt, Ihre Mitglieder kommen aus verschiedenen Bereichen. Nach welchen Kriterien wählen Sie sie aus?
Generell nehmen wir jeden bei uns auf, der sich für das Ziel eines integrierten EU-Binnenmarktes einsetzen möchte. Wir wählen in dem Sinne nicht aus beziehungsweise sprechen wir die wenigsten Fintechs proaktiv direkt an. Häufig kommt man über eine potenzielle Zusammenarbeit ins Gespräch, weil man sich innerhalb der Branche kennt. Aber eigentlich ist uns vor allem wichtig, dass die Unternehmen, die sich bei uns bewerben, die gleichen Werte und Ziele teilen wie wir. Sie sollten zum Beispiel ihr Geschäft hauptsächlich auf Europa konzentrieren oder Europa zumindest als wichtiges Standbein betrachten. Von kleinen Fintechs bis hin zu Playern wie Klarna, N26, Wise, Stripe oder Revolut ist bei uns alles abgedeckt.

Per Definition setzen sich ja auch traditionelle Kreditinstitute aus Finanzen und Technologie zusammen. Könnte etwa auch die Deutsche Bank bei Ihnen als Mitglied aufgenommen werden?
Wir legen wirklich Wert auf die Intention eines potenziellen Mitglieds. Es muss den Status quo verändern wollen und sich für mehr Innovation und fairen Wettbewerb einsetzen. Die Frage ist, ob sich traditionelle Institute dafür einsetzen würden. Wir können ja immer nur das beurteilen, was wir bislang auf dem Brüsseler Parkett beobachtet haben, und da war das eher nicht der Fall – natürlich lassen wir uns aber auch gerne vom Gegenteil überzeugen. Wir streben danach, dass besonders neuere innovative Player einen Platz auf dem Markt haben.

Wie unterstützt die EFA diese innovativen Player in ihrer Aufbauphase konkret?
Als Verband machen wir hauptsächlich klassische Public-Affairs-Arbeit. Das bedeutet, dass wir politische Entwicklungen und aktuelle Gesetzgebungsverfahren verfolgen. Hierfür ist der Mitgliedsstatus für jüngere Fintechs von Vorteil: Die größeren Unternehmen unter unseren Mitgliedern haben andere Ressourcen, andere Kapazitäten, mit denen sie so etwas begleiten können. Nicht jedes Unternehmen hat jedoch jemanden, der sich explizit mit Public Affairs befasst. In diesem Sinne kann eine Verbandsmitgliedschaft lohnend sein.

Wie ist es Ihnen gelungen, eine Verbandsstruktur zu schaffen, die bei der Vielfalt von Geschäftsmodellen und -feldern auf alle Mitglieder anwendbar ist?
Wir sind in vier Arbeitsgruppen organisiert: Digital Finance, Payments, Anti-Money Laundering und Digital Assets. Es steht jedem Mitglied offen, sich in einer oder in all diesen Gruppen zu beteiligen. Organisiert wird jede Gruppe von einem Fintech, das im Sinne eines Vorstandes fungiert. Natürlich präsentieren wir unseren Mitgliedern immer, was aktuell auf der politischen Agenda steht, welche Konsultationen es gibt oder welche Abstimmungen auf EU-Ebene geplant sind. Aber wenn ein Thema für ein Mitglied besonders wichtig ist, steht es allen Mitgliedern jederzeit offen, sich proaktiv einzubringen. Ziel ist, sich gegenseitig zu unterstützen, auch wenn ein bestimmtes Thema vielleicht nicht unbedingt das eigene Unternehmen betrifft. Dabei kommt es auch mal zu Meinungsverschiedenheiten, größere Konflikte gab es jedoch nie. Das lässt sich auch darauf zurückführen, dass Fintechs aktuell von der Regulatorik noch nicht so sehr erfasst sind.

Könnten Fintechs die fehlende Regulatorik nicht auch als vorteilhaft betrachten?
Ein Hauptziel auf EU-Ebene ist, das vielzitierte „Level Playing Field“ zu schaffen. Wir sehen uns allerdings mit Regulatorik konfrontiert, die zu einer Zeit in Kraft getreten ist, zu der ein Großteil unserer Mitgliedsunternehmen noch nicht existiert hat. Aktuell gilt also ein regulatorischer Rahmen, der dem aktuellen Marktumfeld gar nicht gerecht werden kann – weil es zum damaligen Zeitpunkt in dieser Form noch gar nicht existiert hat. Wir wollen einen Rahmen, der fairen europäischen Wettbewerb ermöglicht. Verbraucher sollen sich im Sinne eines „Level Playing Field“ für den Dienstleister entscheiden können, der für sie die individuell beste Lösung bietet. Das kann ein Fintech, eine traditionelle Bank oder auch eine Kombination aus beidem sein. Für uns ist wichtig, dass der Markt für alle und damit auch für neue Innovationen offen ist.

Wie bewerten Sie die jüngste Entlassungswelle im Fintech-Bereich?
Insgesamt befinden wir uns in einer angespannten wirtschaftlichen Situation – Krieg, Inflation, Zinswende. Natürlich sind auch Fintechs von solchen gesamtwirtschaftlichen Veränderungen betroffen. Einzelne Entlassungen sind Geschäftsentscheidungen, die wir als Verband von außen nicht bewerten können. Uns als Verband bestärkt die aktuelle Situation hingegen umso mehr darin, dass man Verbraucherinnen und Verbraucher besser für solche wirtschaftlichen Lagen rüsten muss. Wer ein besseres Verständnis von Finanzen hat, ist resilienter gegenüber Krisen.

Für uns ist wichtig, dass der Markt für alle und damit für Innovationen offen ist.

Ist der Aufbau von finanzieller Kompetenz ein Auftrag von Banken, Verbänden und Fintechs oder ist es eher ein politischer Auftrag?
Das muss gar kein Entweder-oder sein. Natürlich kann man finanzielle Bildung über Schulbildung angehen, aber auch Unternehmen können Initiativen einleiten. Fintechs wiederum setzen sich über ihre Geschäftsmodelle mit der Thematik auseinander. Wie gestalte ich Benutzeroberflächen, die intuitiv sind und Nutzerinnen und Nutzer mitnehmen? Das ist eigentlich der Hauptpunkt, bei dem Fintechs ihr Steckenpferd finden können. Ziel ist es, Verbraucherinnen und Verbrauchern verschiedene Möglichkeiten zu bieten: Es gibt sicher Menschen, die digitale Services bevorzugen und sich alles selbst zusammenstellen möchten. Manche favorisieren eine Mischform und andere möchten sich damit so wenig wie möglich beschäftigen. Wir möchten einen europäischen Markt, auf dem alle Verbraucher die Wahl haben.

In welchen Bereichen sind Kooperationen von traditionellen Instituten und Fintechs ohne Banklizenz besonders zielführend?
Hier ist gerade die Entwicklung des Themas Open Finance auf europäischer Ebene spannend. Wir verfolgen Open Finance besonders aufmerksam, weil hier viel ungenutztes Potenzial liegt, das den Markt konkret in Richtung Kundenzentrierung verändern kann. Der Prozess dahin ist natürlich nicht einfach und hat viel mit der Frage nach Datensicherheit zu tun. Die Hoheit über die Daten darf wirklich nur bei den Kundinnen und Kunden liegen. Es muss eine absolut wasserdichte Lösung gefunden werden und da sind wir gerade noch in den Kinderschuhen.

Jetzt waren wir unter anderem schon bei Kundenzentrierung und Datensicherheit. Sie haben auch einen Arbeitskreis, der sich mit Geldwäschebekämpfung beschäftigt. Warum?
Es ist ein extrem wichtiges Thema für uns, besonders seitdem der Einkauf im Internet und auf Online-Marktplätzen bedingt durch die Corona-Pandemie zum Alltag der meisten Verbraucherinnen und Verbraucher gehört. Das Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beschäftigt Fintechs an diversen Stellen. Sei es zum Beispiel beim Thema Digitale Identitäten, welches Teil des Anti-Money-Laundering-Komplexes ist und womit wir in Bezug auf KYC-Regelungen täglich konfrontiert sind. Wichtig ist, dass auch in diesem Bereich eine harmonisierte europäische Lösung gefunden wird. So wurde mit dem Geldwäsche-Paket die EU-Geldwäschebekämpfungsbehörde eingeführt. Inwiefern diese dann tatsächliche Kompetenzen hat, wird sich in der konkreten Ausgestaltung zeigen.

Das bestehende System bietet Verbrauchern nicht den bestmöglichen Service.

Was wird sich in Zukunft von Seiten der Regulatorik tun?
Anstatt in die Zukunft zu schauen, sollten wir uns erst darum kümmern, die Grundlage zu schaffen, also ein Grundlevel an Harmonisierung auf europäischer Ebene. Wir wünschen uns zukunftsorientiertere, technologieoffenere Regulierung auf Basis des Prinzips „same activity, same risk, same rules“. Mit dieser Regulierungsbasis kann es gelingen, das Szenario zu vermeiden, mit dem wir uns aktuell konfrontiert sehen: In der Politik passieren Veränderungen sehr langsam, in traditionelleren Finanzunternehmen schneller und in Fintechs wahnsinnig schnell – die geltende Regulatorik kann dem sich verändernden Marktumfeld nicht gerecht werden. Da muss einfach ein zukunftsorientierteres Umdenken stattfinden, denn es wird immer mehr Innovationen geben, hoffentlich. Wir wollen ja alle, dass Europa im globalen Wettbewerb mithalten kann.

Welche Trends werden großen Einfluss auf die Finanzbranche haben?
Zwei der großen Trends, die im Bereich Finanzen wichtig werden, sind Digital Wallets und Digitale Zentralbankenwährung (CBDC). Die EZB ist mit dem Digitalen Euro im Moment noch in der investigativen Phase. Hier sind Asien, der Nahe Osten und Lateinamerika schon deutlich weiter. Und auch im Bereich Digitale Identitäten sollten wir noch einige Schritte nach vorne wagen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Darüber hinaus sind DeFi und Stable Coins wichtige Trends. Daneben bleibt die Cloud interessant. Hier fehlt noch das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, dass gewissermaßen der gesamte Tech-Stack digitalisierter Unternehmen Cloud-basiert sein wird – ohne, dass es aktuell einen wettbewerbsfähigen Cloud-Anbieter in Europa gibt. Bei Gaia-X zum Beispiel gibt es Stimmen, die infrage stellen, ob es sich um ein europäisches Projekt handelt, wenn sich Huawei oder Palantir beteiligen. Ich möchte hier nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Das Problem ist nur, dass immer nach einer europäischen Lösung gerufen wird. Nur kommt die natürlich auch nicht aus dem Nichts. Finanzdienstleistungen werden zunehmend digitalisiert und irgendwann wird der Bedarf nach weiteren Lösungen wachsen. Ebenso wie der Bedarf, die regulatorischen Anforderungen anders abzuwickeln. Dementsprechend glaube ich, dass im Regtech-Bereich auch noch viel Potenzial ist.

Sehen Sie die Tech-Branche als ernstzunehmenden Wettbewerber – sowohl für tradierte Banken als auch für Fintechs?
Sie ist ernst zu nehmen. Big Techs verhalten sich in manchen Bereichen zunehmend wie Financial-Services-Unternehmen. Deswegen ist es ja so wichtig, prinzipienbasierte Regulierung zu schaffen, die den Markt für Wettbewerb offen hält. Hier sollte der Ententest gelten: „If it walks like a duck, and it talks like a duck – it’s a duck.“ Wenn ein Unternehmen Financial Services anbietet und wie ein Financial-Services-Unternehmen agiert, sollte es auch so reguliert werden. Dann haben alle die gleichen Chancen und auch das gleiche Risiko, unabhängig davon, ob es ein Tech-Unternehmen, Finanzdienstleister oder Fintech ist.

Interview: Thorsten Hahn und Fiona Gleim

 

TIPP: Sie möchten wissen mit welchen Experten wir noch gesprochen haben? Dann lesen Sie hier das Interview mit Martin Guse, Sprecher der Geschäftsführung der Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, und hier haben wir uns mit Andreas Schulz, Vorstandsvorsitzender der Mittelbrandenburgischen Sparkasse, unterhalten.