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Überschuldung: „Interessant sind Frühindikatoren, auf die Banken keinen Zugriff haben“

Stephan Vila, Geschäftsführer der Creditreform Boniversum, erläutert, wie wichtig es ist, relevante Indikatoren zu erkennen, um den Einstieg in die Überschuldungsspirale früh festzustellen, und erklärt, wie KI bei der Bonitätsbeurteilung helfen kann.


Der Einstieg in die Überschuldung ist oft schleichend und für Banken nicht immer früh genug festzustellen.

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BANKINGNEWS: Die Corona-Krise hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft: Wie wird sich die Lage der Verbraucher im Zuge der Corona-Krise entwickeln?
Stephan Vila: Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Überschuldung im Zuge der Corona-Krise ansteigen wird. Kurzarbeit, steigende Arbeitslosigkeit und Insolvenzen haben Einkommenseinbußen zur Folge. Daraus allein resultiert aber noch nicht zwingend Überschuldung. Durch unsere Erhebungen für den „SchuldnerAtlas“ und aus Daten des Statistikamts wissen wir, dass Arbeitslosigkeit immer noch einer der Hauptauslöser für Überschuldung ist. Im Jahr 2019 lag der Anteil bei 20 Prozent. In den letzten Jahren stieg aber auch die Zahl derer, die durch eine „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ in die Überschuldung geraten sind. Der Anteil dieses Faktors lag bei 14 Prozent. Ein erhöhtes Risiko der Überschuldung besteht deshalb für Verbraucher, die schon vor der Krise „auf zu großem Fuß“ gelebt und jetzt Einkommenseinbußen zu verzeichnen haben. Ratenkredite etwa für Konsumgüter wie Smartphones, Mode oder Reisen können nicht mehr bedient werden und sind der schleichende Einstieg in die Überschuldungsspirale.

Wie können Banken den „schleichenden Einstieg in die Überschuldungsspirale“ rechtzeitig erkennen?
Sicher sind den Banken die meisten Frühindikatoren bekannt und sie können sie auch erkennen, sofern sie das Gehaltskonto ihres Kunden führen. Dann lassen sich Einkommenseinbußen, eine steigende Ausreizung des Dispokredits, nicht eingelöste Lastschriften oder nicht ausgeführte Daueraufträge direkt feststellen. Interessant sind aber auch Frühindikatoren, auf die Banken keinen Zugriff haben. Eine „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ zum Beispiel muss sich nicht sofort in Kontobewegungen widerspiegeln. Zunächst werden Rechnungen nicht bezahlt, Mahnungen werden missachtet und es kommt zu Inkassoverfahren. All dies hat zunächst keine Auswirkungen auf den Geldfluss und kann für Banken unbemerkt bleiben. Wir als Wirtschaftsauskunftei bekommen aber negative Zahlungserfahrungen unserer Kunden oder Inkassoverfahren zurückgespielt und erkennen somit den schleichenden Einstieg in die Überschuldung sehr früh.

Welche Rolle spielt die Region bei der Veränderung der Überschuldungsquote und welche Auswirkungen kann das für Standorte von Banken haben?
Gerade jetzt sehen wir deutlich, wie einzelne Wirtschaftszweige die Wohlstandssituation regional beeinflussen können. Regionen, die stark von Tourismus, Gastronomie oder von anderen durch die Corona-Krise geschwächten Wirtschaftszweigen abhängig sind, drohen Insolvenzen und Standortschließungen. Steigende Arbeitslosigkeit und damit Einkommenseinbußen sind die Folge und können zu Überschuldung führen. Für den Rückgang der Bankfilialen vor Ort gibt es meines Erachtens aber andere, gewichtigere Gründe, wie etwa die zunehmende Digitalisierung der Bankgeschäfte.

Stichwort Digitalisierung: Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf E-Commerce in Deutschland – und damit letztlich auch auf die Banken?
Wir glauben, dass E-Commerce langfristig als Gewinner aus der Corona-Krise hervorgehen wird. Auch diejenigen, die Onlineshopping bisher skeptisch oder unsicher gegenüberstanden, gewinnen Vertrauen in diesen Kanal und werden ihn auch künftig verstärkt nutzen. Und das dürfte analog für Bankgeschäfte gelten und den Druck auf die Banken verstärken, die bisher in der Digitalisierung noch nicht so weit vorangeschritten sind und ein großes Filialnetz betreiben. Ebenso wird der Druck auf Banken durch sich immer weiter ausbreitende Bezahldienste wie PayPal und Co. steigen.

Welche neuen Technologien setzen Sie bei den Bonitätsprüfungen von Privatpersonen ein?
Künstliche Intelligenz ist hier nicht nur das Schlagwort unserer Zeit, sondern genau die Technologie, um die es in Zukunft gehen wird. In die Bonitätsbeurteilung fließen immer mehr Daten ein und machen sie weitaus komplexer. Digitale Beziehungsketten, Kontoinformationen und Daten, die Verbraucher selbst zur Verfügung stellen, etwa um ihren Score zu verbessern, müssen berücksichtigt werden. Regelwerke zur Risikominimierung, wie sie heute noch von Menschen entwickelt und überwacht werden, können künftig nur noch mit KI bewältigt werden. Einen immer wichtigeren Stellenwert nimmt neben der Bonitäts- auch die Identitätsprüfung ein – und das für Anbieter und Verbraucher. Fake-Shops, Identitätsdiebstahl und Betrug nehmen zu und erfordern transparente Prozesse. Nur für eine Person, die eindeutig identifiziert ist, lässt sich eine valide Bonitätsaussage treffen und Betrug auf beiden Seiten verhindern. Neue Technologien ermöglichen es, sich auch bei Online-Geschäften einfach, eindeutig und damit sicher zu identifizieren, Stichwort: „Digitale Identität“.

Interview: Laura Kracht

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