Relative Stärke

Börsenkommentar "Marktplatz" von Thorsten Kramer Die Griechenland-Krise belegt einmal mehr, dass an den Märkten vor allem Erwartungen gehandelt werden und nicht die – in diesem Falle dramatische – Realität. Während sich unter dem Eindruck teils gewaltsamer Proteste in Athen und der darauf basierenden Spekulationen über einen Rücktritt des Regierungschefs Giorgos Papandreou die Sorge über den…


Börsenkommentar "Marktplatz" von Thorsten Kramer

Die Griechenland-Krise belegt einmal mehr, dass an den Märkten vor allem Erwartungen gehandelt werden und nicht die – in diesem Falle dramatische – Realität. Während sich unter dem Eindruck teils gewaltsamer Proteste in Athen und der darauf basierenden Spekulationen über einen Rücktritt des Regierungschefs Giorgos Papandreou die Sorge über den Bankrott des kleinen EU-Mitglieds in der nun abgelaufenen Woche von Tag zu Tag vergrößerte, gingen Aktieninvestoren mit dem Thema letztendlich routiniert um. Am Freitag zogen die wichtigen Indizes wie Dax und EuroStoxx50 sogar kräftig an, als Signale aus Berlin und Paris zugunsten der Wiener Initiative für Athen die Hoffnung schürten, dass die erwartete Einigung auf die notwendige Griechenland-Hilfe nun doch schneller kommen könnte als gedacht. Eine Umschuldung ist laut Anlagestrategen ohnehin schon in den Kursen eingepreist.

Vor allem der deutsche Leitindex Dax lieferte damit einen neuen Beleg für seine relative Stärke. Gegenüber dem Jahresbeginn notiert der Index immerhin noch rund 4% höher, allein seit dem Quartalsanfang legte er um 1,9% zu. Der US-Benchmarkindex S&P500 sackte hingegen seit Anfang April um rund 4% ab. Gemessen am Stand von Jahresbeginn behauptet er somit gerade mal ein minimales Plus von etwa 1,5%.

Hauptgrund für die Abkoppelung des deutschen Aktienmarktes vom amerikanischen, die nur selten zu beobachten ist, sind die in den USA grassierenden Konjunkturängste. Viele Frühindikatoren in den Vereinigten Staaten fielen zuletzt schwächer als erwartet aus, sodass nun schon wieder das Gespenst der Rezession an die Wand gemalt wird. In der Tat deuten etwa die negativen Signale vom Immobilienmarkt und der sehr schleppende Aufbau neuer Arbeitsplätze darauf hin, dass der private Konsum, der zwei Drittel der US-Konjunktur trägt, weiterhin schwächeln wird. Die Industrie profitiert allerdings vom Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen, die Produktivität hat deshalb das Vorkrisenniveau längst erreicht. Zudem läuft der Export der US-Unternehmen recht gut, sodass die Konjunktur auch von dieser Seite Unterstützung erhalten dürfte. Bis sich das in den Frühindikatoren abbildet, dürfte der US-Aktienmarkt jedoch weiterhin vergeblich um den Anschluss kämpfen, schließlich gibt die hohe US-Verschuldung vielen Anlegern zunehmend zu denken. Hinzu kommt, dass nun die zweite Runde der quantitativen Lockerung der Fed ausläuft und mit einer dritten Runde, die für einen neuen Liquiditätsschub sorgen würde, zurzeit nicht zu rechnen ist.

An Europas Aktienmärkten, allen voran am deutschen, überwiegt hingegen die Zuversicht, dass die Firmengewinne im zweiten Halbjahr trotz der zurzeit nachlassenden konjunkturellen Dynamik weiter steigen werden und damit zum attraktiven Umfeld für Aktieninvestments beitragen. Die Hoffnung lautet, dass dies mit der Berichtssaison zum zweiten Quartal sichtbar wird und die Notierungen anschließend, aber spätestens im Herbst aufs Neue anziehen. Ist die Einschätzung richtig, dass die Konjunktur aktuell lediglich eine typische Abkühlung zur Mitte eines Zyklus durchläuft, dürften dann auch wieder verstärkt zyklische Aktien gefragt sein. Zuletzt waren vorrangig Papiere aus defensiven Sektoren gefragt, was Pessimisten bereits als Signal für eine anstehende Korrektur auch am deutschen Aktienmarkt werteten. Die Vielzahl der Stimmen, die von steigenden Notierungen zum Jahresende sprechen, deutet aber darauf hin, dass auf Käuferseite genügend Interesse vorhanden ist. Dies hat auch die Kursentwicklung an den vergangenen Tagen gezeigt, als der Dax spätestens dann einen neuen Impuls erfuhr, wenn er unter 7000 Zähler zu rutschen drohte.

Die Sorge über die US-Wirtschaft wird zurzeit auch sehr eindrucksvoll am Ölmarkt deutlich. Am Terminmarkt wuchs der Abstand zwischen den Preisen für ein Fass US-Leichtöl der Sorte West Texas Intermediate und für ein Fass der Nordseesorte Brent auf das Rekordniveau jenseits von 20 Dollar.

Daran hat allerdings auch die Entwicklung in Nahost und Nordafrika einen bedeutenden Anteil. Durch die anhaltenden Kämpfe in Libyen fürchten Marktteilnehmer eine unzureichende Versorgung Europas mit Rohöl hoher Qualität. Der fehlgeschlagene Versuch Saudi-Arabiens, die Opec-Staaten zu einer Anhebung der Fördermenge zu veranlassen, tat dabei ein Übriges. Die Entwicklung in Libyen legt den Schluss nah, dass dieser Konflikt noch länger andauern wird. Damit ist zu erwarten, dass auch die auffällige Differenz am Ölmarkt Bestand haben wird.


Info von Börsen-Zeitung –
www.boersen-zeitung.com
Foto von Denis Vorobyev –
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